- Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten werden in Kroatien systematisch von Grenzschützern misshandelt, ausgeraubt und abgeschoben.
- Trotz solcher haarsträubenden Methoden an der Grenze unterstützt die Europäische Union Kroatien finanziell bei der Grenzsicherung.
- NGOs und ehrenamtliche HelferInnen, die Flüchtlinge unterstützen wollen, werden eingeschüchtert.
- Die EU muss Verantwortung übernehmen und dafür Sorge tragen, dass internationales Recht eingehalten und eine humanitäre Krise verhindert wird.
Der Amnesty-Bericht «Pushed to the edge: Violence and abuse against refugees and migrants along Balkan Route» dokumentiert, wie europäische Regierungen die gewalttätigen Übergriffe der kroatischen Polizei nicht nur ignorieren, sondern sie durch Finanzhilfen sogar unterstützen. Die Sicherung der Grenzen wird höher gewichtet als das Völkerrecht. Dadurch trägt die Europäische Union (EU) zu einer humanitären Krise an ihrer Aussengrenze aktiv bei.
«Die finanziellen Mittel, die für humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, sind nichts im Vergleich zu den Geldern, die in den Grenzschutz fliessen.» Cyrielle Huguenot, verantwortlich für Migration bei Amnesty Schweiz
«Um die Prioritäten der europäischen Regierungen zu verstehen, muss man nur der Spur des Geldes folgen. Die finanziellen Mittel, die für humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, sind nichts im Vergleich zu den Geldern, die in den Grenzschutz fliessen, zum Beispiel in Ausrüstung für die kroatische Grenzpolizei und sogar in deren Gehälter», so Cyrielle Huguenot, verantwortlich für Migration bei Amnesty Schweiz.
«Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, werden von der kroatischen Polizei verprügelt, beraubt und nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschickt, wo sie sich aufgrund des nicht funktionierenden Asylsystems in einem rechtlichen Schwebezustand wiederfinden».
Prekäre Verhältnisse
Derzeit sitzen etwa 5500 Frauen, Männer und Kinder in den kleinen bosnischen Städten Bihać und Velika Kladuša an der Grenze zu Kroatien fest, wo sie in verlassenen Fabrikgebäuden leben und ohne jede Grundversorgung zurechtkommen müssen. Bosnien und Herzegowina kann ihnen weder den nötigen Schutz noch angemessene Lebensbedingungen bieten. Die provisorischen Lager sind unhygienisch, warmes Wasser, medizinische Versorgung und Lebensmittel sind Mangelware.
Bürokratische Hürden, unzureichende Rechtshilfe und eingeschränkte Verwaltungskapazitäten führen dazu, dass die Menschen kaum eine Chance haben, in Bosnien und Herzegowina ein Asylverfahren zu durchlaufen. Die meisten von ihnen versuchen, in andere europäische Länder zu gelangen, doch die Reise ist beschwerlich.
Lebensgefährliche Routen
Wer zuvor über Griechenland und Bulgarien in die EU eingereist war und von dem dortigen Asylsystem im Stich gelassen wurde, verlässt die EU wieder und reist durch die Balkanstaaten weiter. Um nach Slowenien oder Italien zu gelangen, wo der EU-Schengenraum beginnt, müssen zunächst die dichten Wälder Kroatiens durchquert, Flüsse überwunden und an manchen Orten sogar Minenfelder überquert werden.
Von Januar bis Oktober 2018 ertranken mindestens zwölf Personen, zumeist bei dem Versuch, die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien zu überqueren.
Von Januar bis Oktober 2018 ertranken in den westlichen Balkanstaaten mindestens zwölf Personen, zumeist bei dem Versuch, die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien zu überqueren. Viele weitere Menschen starben auf andere Weise.
Fast alle Personen, die sich in einem der Lager in Bihać oder Velika Kladuša befanden und mit denen Amnesty International gesprochen hat, waren aus Kroatien oder Slowenien nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschoben worden. Beinahe ein Drittel gab an, die kroatische Polizei habe Gewalt angewendet. Viele von ihnen sagten, man habe sie geschlagen, ihre Unterlagen zerstört und ihnen ihr Hab und Gut abgenommen. Dies scheint eine systematische Strategie der kroatischen Behörden zu sein, um von zukünftigen Einreiseversuchen abzuschrecken.
HelferInnen und NGOs eingeschüchtert
Mit zunehmenden Vorwürfen über gewaltsame Push-Backs haben die kroatischen Behörden vermehrt Anstrengungen unternommen, die öffentliche Prüfung der Migrationspraxis des Landes zu verhindern. Öffentliche Einrichtungen in Kroatien, die versuchen, den Umgang mit Flüchtlingen und MigrantIinnen an der Grenze zu beobachten, werden abgewiesen und Organisationen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantIinnen einsetzen, werden von den Behörden ins Visier genommen.
Ehrenamtliche HelferIinnen von Nichtregierungs-organisationen wurden drangsaliert und ohne Anklage stundenlang bei der Polizei festgehalten.
Zahlreiche ehrenamtliche HelferIinnen von Nichtregierungsorganisationen sind drangsaliert und ohne Anklage stundenlang bei der Polizei festgehalten worden, wo man ihnen mit Strafverfolgung drohte. Das Innenministerium hat sogar einigen NGOs vorgeworfen, Menschen dabei zu helfen, ohne offizielle Erlaubnis nach Kroatien einzureisen. All dies wirkt abschreckend auf alle, die in der Flüchtlingshilfe arbeiten.
Trotz dieser haarsträubenden Methoden an der Grenze stellt die Europäische Union nach wie vor stattliche Summen bereit, um Kroatien bei der Grenzsicherheitsinfrastruktur zu unterstützen. Darüber hinaus verschliesst die EU weiterhin mutwillig die Augen vor den Defiziten des europäischen Asylsystems, die diese Migrationsströme erst nötig machen.
«Mit steigenden Temperaturen und schmelzendem Schnee wird die Zahl der Menschen, die Kroatien zu durchqueren versuchen, wieder ansteigen. Doch da Bosnien und Herzegowina nicht angemessen ausgestattet ist, um noch mehr schutzsuchende Personen unterzubringen, muss jetzt dringend gehandelt werden, um eine humanitäre Krise an den Aussengrenzen der EU zu verhindern», so Cyrielle Huguenot.
«Die europäischen Staats- und Regierungschefs können sich nicht länger von der Verantwortung drücken, die sie für die Kollektivabschiebungen und gewaltsamen Push-Backs entlang der Balkanroute tragen. Diese Methoden sind ein direktes Resultat einer Politik der Abschottung der EU-Aussengrenzen um jeden Preis, egal welchen Tribut dies von den Menschen fordert».
Hintergrund
Die Migrationsroute durch Bosnien und Kroatien wird immer häufiger begangen, seit Ungarn entlang seiner Grenzen Zäune aufgestellt und damit begonnen hat, Menschen gewaltsam zurückzuschieben. Dies hat dazu geführt, dass Serbien und Ungarn für Flüchtlinge und MigrantIinnen zunehmend unpassierbar geworden sind.