Symbolbild (nach Ablauf der Bildrechte des Originalbildes) © Amnesty International
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Polen Polen lässt Opfer von Hassverbrechen im Stich

17. September 2015
Polens Rechtssystem versagt beim Schutz von Minderheiten wie Obdachlosen und Behinderten sowie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex (LGBTI), die oft Opfer von Hassverbrechen sind. Das stellt Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht fest, zwei Monate vor den anstehenden Wahlen in Polen.

Der Amnesty-Bericht «Targeted by hatred, forgotten by law» zeigt auf, wie der Staat ganze Gemeinschaften aus der Gesetzgebung gegen Hassverbrechen ausschliesst, zum Beispiel Obdachlose, Behinderte oder LGBTI-Menschen.

«Das polnische Rechtssystem misst Straftaten gegen Minderheiten mit zweierlei Ellen: Bestimmte Minderheiten werden gesetzlich speziell geschützt, andere aber aussen vorgelassen», kritisiert Stella Jegher von Amnesty International Schweiz: «Wenn jemand schwul oder lesbisch, obdachlos oder behindert ist und genau deswegen tätlich oder verbal angegriffen wird, behandelt die Polizei den Fall als ganz normales Verbrechen und nicht als Hassverbrechen. Diese Gesetzeslücke hat für viele Menschen fatale Folgen und muss geschlossen werden».    

Die Diskriminierung von Mitgliedern der LGBTI-Gemeinschaft in Polen ist im ganzen Land weit verbreitet und tief verwurzelt. Es gibt zwar keine offiziellen Statistiken, aber eine der wichtigsten LGBTI-Organisationen in Polen, die «Campaign against Homophobia» hat allein in 2014 mindestens 120 homophobe oder transphobe Hassverbrechen registriert. Die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher.

Zu Tode geprügelt und ertränkt

Mitglieder der LGBTI-Community in Stettin berichten zum Beispiel, dass sie in ständiger Angst leben, seit ein 20-jähriger schwuler Mann zu Tode geprügelt wurde, als er im Januar 2014 einen Schwulenclub verliess. Seine Leiche wurde mit heruntergezogener Hose auf einer nahegelegenen Baustelle gefunden, sein Gesicht wies zahlreiche Blutergüsse auf. Möglicherweise starb er am Schluss auch daran, dass sein Gesicht mehrfach in eine Pfütze gepresst wurde.

Die Behörden liessen ausser Acht, dass dieses Verbrechen vermutlich aus Schwulenhass verübt wurde, und das Gericht behandelte den Fall wie ein jedes andere Verbrechen, als es die zwei Schuldigen verurteilte.

Im Mai 2015 wurde der Strassenkünstler und Anti-Nazi-Aktivist Darius in der schlesischen Stadt Seipusch vor einer seiner Malereien, die einen Regenbogen zeigte, getreten, bespuckt und beschimpft. In dem Protokoll der Behörden stand hinterher lediglich, es habe sich um einen gemeinen Angriff gehandelt. Das homophobe Motiv des Angreifers wurde nicht erwähnt.

Gewalt gegen Obdachlose

In Polen wurden in den vergangenen Jahren auch viele Obdachlose verprügelt oder gar angezündet. Obwohl klar ersichtlich war, dass diese Angriffe allein deshalb geschahen, weil die Opfer arm waren und auf der Strasse lebten, wurden auch diese Vorfälle wie gewöhnliche Verbrechen verfolgt.

«Polen hat bereits Einiges getan, um Hassverbrechen wegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu verurteilen. Es gibt keinen Grund,, warum Gewalt gegen andere Minderheiten, die dieselben Ängste ausstehen und denselben Angriffen ausgesetzt sind, nicht mit derselben Priorität bekämpft und bestraft wird», sagt Stella Jegher.

«Polen ist völkerrechtlich verpflichtet, alle Minderheiten gleichermassen vor Diskriminierung zu schützen», so Jegher weiter. «Die Tatsache, dass die Behörden das nicht tun, ist in sich schon eine Diskriminierung.»

Amnesty International fordert die polnische Regierung auf, diese Gesetzeslücke zu schliessen. Es müssen zudem institutionelle Mechanismen geschaffen werden – wie speziell geschulte Strafverfolger und Spezialabteilungen der Polizei –, die für hassmotivierte Angriffe gegen körperlich oder geistig Beeinträchtigtesozial Schwache  oder gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder zuständig sind. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass solche Hassverbrechen verhindert, alle bekannten Fälle untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ausserdem müssen die Vorfälle von staatlicher Seite statistisch erfasst werden, um das Ausmass des Problems zu erkennen.

Gescheiterte Reformversuche

Bisherige Versuche, das Strafrecht diesbezüglich zu reformieren, wie zuletzt 2012, sind am heftigen Widerstand einiger Teile der Bevölkerung gescheitert. Ein Mitglied des Parlaments bezeichnete den Reformversuch sogar als Versuch eine kranke Gender-Ideologie zu etablieren, die sexuelle Abnormalitäten fördert».

Vor den Wahlen am 25. Oktober werden solche verbalen Attacken wohl eher zunehmen. Die kommende Regierung und das dann neu gewählte Parlament müssen dem Thema Menschenrechte, auch dem Schutz vor Diskriminierung, oberste Priorität einräumen.