Marina Ovsyannikova störte am Abend des 14. März 2022 die Abendnachrichten im russischen Staatsfernsehen. Die Redakteurin platzte in die Live-Nachrichtensendung und hielt ein Plakat in die Kamera: «Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen!» Dazu rief sie mehrmals laut: «Stoppt den Krieg!» Marina Ovsyannikova wurde danach festgenommen. Nach Angaben der russischen Nichtregierungsorganisation OVD-Info machte die Polizei über Nacht keine Angaben über ihr Wohlergehen und ihren Verbleib, auch nicht darüber, ob sie in Haft ist oder nicht.
Am 15. März berichteten russische Medien, dass sie der «Organisierung einer nicht genehmigten öffentlichen Veranstaltung» beschuldigt werde. Ausserdem würden die Behörden erwägen, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sie einzuleiten. Die Drohung wurde glücklicherweise bislang nicht umgesetzt: Marina Ovsyannikova wurde aber zu einer Geldstrafe von 30'000 Rubel (260 CHF) verurteilt.
Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International sagte zu den Ereignissen: «Niemand sollte allein wegen einer Meinungsäusserung inhaftiert werden, geschweige denn ohne Kontakt zur Aussenwelt. Sie darf für ihre mutige Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäusserung nicht bestraft werden. Marina Ovsyannikova hat gezeigt, dass der Mut, für Gerechtigkeit einzutreten, stärker ist als die staatliche Propaganda – selbst bei denen, die sie verbreiten sollen. Sie hat ein eindrucksvolles Beispiel dafür gegeben, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, um trotz der brutalen Unterdrückung im heutigen Russland die Wahrheit zu sagen.»
Marie Struthers weiter: «Der Kreml kriminalisiert weiterhin jede Form von Dissens und Antikriegsprotest. Er ist wild entschlossen, die massiven Folgen seiner mutmasslichen Kriegsverbrechen für die Menschen in der Ukraine zu verbergen. Marina Ovsyannikova hat keine Straftat begangen. Vielmehr bringt ihr trotziger Protest etwas Licht in eine Situation, in der die russischen Behörden versucht haben, totale Dunkelheit zu erzwingen.»