Ende September 2015 verabschiedete das Parlament das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG), mit dem die Überwachungsmöglichkeiten in der Schweiz stark ausgebaut werden sollen. Die Organisationen, die das Referendum dagegen ergriffen hatten, brachten in kürzerster Zeit die nötigen Unterschriften zusammen. Mehr als 57'000 Unterschriften wurden durch die Gemeinden beglaubigt, die am 14. Januar 2016 der Bundeskanzlei übergeben werden konnten. Die Abstimmung findet voraussichtlich im September 2016 statt.
Das neue Nachrichtendienstgesetz gibt dem Nachrichtendienst des Bundes Mittel an die Hand, mit Hilfe derer das Recht auf Privatsphäre massiv beeinträchtigt wird. Der Geheimdienst soll beispielsweise mit Wanzen private Räume überwachen können oder mit Trojanern in fremde Computer eindringen dürfen.
Fragen und Antworten zur Überwachung (pdf)
Wann ist Überwachung rechtmässig? Was sagt Amnesty zum neuen Nachrichtendienstgesetz? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema finden Sie hier: Download Q&A, 6 Seiten.
Aus menschenrechtlicher Sicht ist besonders die sogenannte Kabelaufklärung bedenklich. Mit ihrer Hilfe kann der Nachrichtendienst «grenzüberschreitende Signale aus leistungsgebundenen Netzen» erfassen. Das heisst, er kann dann alle Datenströme anzapfen, die von der Schweiz ins Ausland fliessen und diese nach Stichworten durchsuchen. Da der Grossteil der Internetaktivitäten in der Schweiz über Server und Netzwerke im Ausland stattfinden, wären grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger von dieser Überwachung betroffen. Der Nachrichtendienst hätte Zugriff auf die Metadaten und auf sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation wie Mails, Suchanfragen oder Internet-Telefonate.
«Die Kabelaufklärung ist eine Form der präventiven Massenüberwachung, ohne dass ein bestimmter Verdacht gegen einzelne Personen vorliegt. Das ist ein unverhältnismässiger Eingriff in unsere Grundrechte, deshalb lehnen wir das neue Nachrichtendienstgesetz strikt ab», sagt Patrick Walder von Amnesty International Schweiz.
«Die Kabelaufklärung ist eine Form der präventiven Massenüberwachung, ohne dass ein bestimmter Verdacht gegen einzelne Personen vorliegt.»
Patrick Walder, Amnesty International Schweiz.
Mehrere Grundrechte betroffen
Die verdachtsunabhängige Massenüberwachung kollidiert mit mehreren Grundrechten aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Neben dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und dem Fernmeldegeheimnis sind auch die freie Meinungsäusserung und die Unschuldsvermutung betroffen. Bei einer Überwachung von Ärzten, Rechtsanwältinnen, Pfarrern und Journalistinnen sind ausserdem die Schweigepflicht sowie der Quellenschutz gefährdet.
«Wir begrüssen es, dass das Nachrichtendienstgesetz nach anhaltender Kritik etwas nachgebessert wurde und nun einige Einschränkungen für die Nutzung der gewonnen Informationen und Kontrollmechanismen enthält», sagt Patrick Walder. «Doch wir bleiben bei unserer grundsätzlichen Kritik, dass Datenströme angezapft und gescannt werden. Überwachung beginnt beim Sammeln und nicht erst bei der Auswertung von Daten. Zudem sind Aufsicht und Kontrolle von Geheimdiensten erfahrungsgemäss schwer durchzusetzen, das zeigen viele Beispiele – auch in der Schweiz».