Das SEM begründet die geplante Aufhebung von bis zu 3200 vorläufigen Aufnahmen von Eritreerinnen und Eritreern mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von August 2017. Darin hatte das Gericht trotz ausdrücklich eingestandener unsicherer Informationslage entschieden, dass eine Einberufung in den jahrelangen «Nationaldienst» und/oder eine Inhaftierung für gewisse Personenkategorien «unwahrscheinlich» und die Rückkehr von Eritreerinnen und Eritreern daher zumutbar sei. Amnesty hatte das Urteil aufgrund der grossen Unsicherheiten scharf kritisiert.
«Das SEM wäre aufgrund dieses Urteils nicht verpflichtet, bereits verfügte vorläufige Aufnahmen wieder aufzuheben. Die Menschenrechtslage in Eritrea hat sich in den letzten Monaten nicht verbessert; vielmehr kam es in den letzten Wochen zur Niederschlagung von Protesten und Massenverhaftungen», sagt Reto Rufer, Kampagnenverantwortlicher für Afrika von Amnesty Schweiz.
Die Praxis der Schweiz gegenüber eritreischen Asylsuchenden ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie Deutschland oder Grossbritannien bereits heute hart, und die Asylgesuchszahlen sinken.
«Der Versand von 3200 Briefen mit angedrohter Aufhebung des Schutzstatus an vorläufige aufgenommene Eritreerinnen und Eritreer ist daher als Konzession an den innenpolitischen Druck in Sachen Eritrea zu sehen», so Reto Rufer. «Während die Schweiz auf der internationalen Bühne – konkret am 12. März 2018 im Menschenrechtsrat in Genf – Besorgnis über die Menschenrechtslage äussert und den schwierigen Zugang zu unabhängigen Informationen explizit kritisiert, markiert sie innenpolitisch auf Basis derselben Informationslage Härte.»
Leidtragende sind die völlig unvorbereitet betroffenen Eritreerinnen und Eritreer. Da kaum jemand zurückkehren wird, drängt sie das SEM zu Hunderten in die unhaltbare und unmenschliche Situation der Nothilfe und in die Illegalität. «Da das SEM niemanden zwangsweise nach Eritrea zurückführen kann, muss es auch nicht befürchten, dass zahlreiche EritreerInnen, die nun aus dem Schutzstatus der vorläufigen Aufnahme gestossen werden, nach ihrer Zwangrückführung in Asmara verhaftet oder in den Nationaldienst eingezogen werden. Die Nagelprobe, ob wirklich niemand der Betroffenen gefährdet ist, bleibt dem SEM so erspart, die Massnahme ist primär eine Abschreckungspolitik zulasten der Betroffenen», so Reto Rufer.
Mit Blick auf diese Realität fordert Amnesty das Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartment (EJPD), bzw. das SEM auf, die angedrohten Massenaufhebungen von vorläufigen Aufnahmen nicht umzusetzen.
Neben dem SEM steht auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unter erheblichem innenpolitischem Druck, die Beziehungen zum Regime in Asmara auszubauen. Hauptsächlich geht es dabei um den Abschluss eines Rückübernahmeabkommens. Eine kohärente Aussenpolitik müsste indes zuerst bei der Verbesserung der Menschenrechtslage ansetzen: «Bevor nicht mindestens das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Zugang zu den eritreischen Gefängnissen erhält, wäre die Eröffnung einer Botschaft oder ein offizieller Besuch von Bundesrat Cassis in Asmara lediglich ein weiterer Kniefall vor dem innenpolitischen Trommelfeuer und könnte dem Regime zur Legitimierung dienen», so Reto Rufer.