Symbolbild. © Stephen Barnes / shutterstock.com
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Neue Anti-Terror-Gesetze Schweiz Auf Kollisionskurs mit Kinderrechten und Genfer Konventionen

Medienmitteilung 5. März 2020, London/Bern – Medienkontakt
Präventiver Freiheitsentzug ohne Tatverdacht, Polizei-Massnahmen gegen 12-jährige Kinder, Kriminalisierung von humanitärer Hilfe – das sind nur drei der Bestimmungen in den neuen Anti-Terror-Gesetzen, die auf Kollisionskurs mit Grundrechten, Kinderrechten und selbst den Genfer Konventionen gehen. Vor der Beratung der Gesetzesentwürfe im Ständerat präsentiert die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz konkrete Vorschläge wie die Vorlagen geändert werden müssten.

Kürzlich wurde auch in der Schweiz das dreissigjährige Jubiläum der Uno-Kinderrechtskonvention gefeiert, mit der Rede eines Bundesrats und einer Feier auf dem Bundesplatz. Im laufenden Politikbetrieb hingegen zählen die eben noch gerühmten Prinzipien offenbar weniger. Die «Polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) sollen selbst gegen 12-jährige Kinder eingesetzt werden, empfahl kürzlich die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates.

«Wer gegen Kinder und Jugendliche polizeiliche Zwangsmassnahmen einsetzt und sie als terroristische Gefährder stigmatisiert, wirft die Grundsätze der Kinderrechte mutwillig über Bord.» Rahel Wartenweiler,  Netzwerk Kinderrechte Schweiz

«Der Schutz der Kinderrechte darf nicht nur in Sonntagsreden gelten», kommentiert Rahel Wartenweiler vom Netzwerk Kinderrechte Schweiz den Kommissionsentscheid. «Wer gegen Kinder und Jugendliche polizeiliche Zwangsmassnahmen einsetzt und sie als terroristische Gefährder stigmatisiert, wirft die Grundsätze der Kinderrechte mutwillig über Bord. Der Vorrang des Kindeswohls muss in allen staatlichen Massnahmen garantiert werden.»

Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz hatte sich mit einer Stellungnahme an die Kommissionmitglieder gewendet und gefordert, dass die geplanten polizeilichen Massnahmen wie Kontaktverbot, Meldepflicht und elektronische Überwachung nicht gegen Minderjährige eingesetzt werden.

Freiheitsentzug ohne Grenzen und Ausnahmen

Bei einer anderen Bestimmung geht die vorberatende Kommission sogar über den bereits problematischen Vorschlag des Bundesrates hinaus. Bei der schärfsten Massnahme, dem Hausarrest, streicht die Kommission die vom Bundesrat vorgesehene zeitliche Begrenzung: Diese Form des präventiven Freiheitsentzugs soll jeweils um drei Monate verlängert werden können. Und Ausnahmen sollen allein aus medizinischen Gründen möglich sein.

«Es ist irritierend zu sehen, wie sorglos die Politik mit den Grundrechten umgeht.» Patrick Walder, Amnesty International Schweiz

«Es ist irritierend zu sehen, wie sorglos die Politik mit den Grundrechten umgeht», stellt Patrick Walder von Amnesty International fest. «Freiheitsentzug zur allgemeinen Gefahrenabwehr ist nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Das wissen die Politikerinnen und Politiker, denn es steht auch klar und deutlich in einem vom Bund beauftragten Gutachten. Aber das scheint nicht weiter zu kümmern.»

Das Rechtsgutachten von Professor Donatsch der Universität Zürich hält fest, dass eine präventive Inhaftierung oder Eingrenzung auf eine Liegenschaft «nur zulässig sein kann, wenn die Annahme berechtigt ist, es stehe eine nach Ort, Zeit und potenziell Verletzten bestimmte Straftat» bevor. Jemanden zu inhaftieren oder unter Hausarrest zu stellen, weil von ihm «eine allgemeine Gefahr ausgeht» sei dagegen nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Das Gutachten war vom EJPD und dem KKJPD in Auftrag gegeben worden; das kritische Resultat wurde dann allerdings nicht im Gesetzesentwurf berücksichtigt. Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz fordert die Streichung des Hausarrests in der Vorlage zum Polizeigesetz.

Keine Ausnahmeregel für das IKRK

Auch beim zweiten Gesetzesentwurf, der Vorlage «Terrorismus und organisierte Kriminalität», bleibt die Kommission auf Kollisionskurs – wobei nicht einmal auf Institutionen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Rücksicht genommen wird. Das IKRK hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass mit der im Gesetz vorgeschlagenen Kriminalisierung der «Unterstützung einer terroristischen Organisation» (Art. 260ter) auch die humanitäre Hilfe in bewaffneten Konflikten verboten und verfolgt werden kann. Dabei seien die Staaten durch die Genfer Konventionen verpflichtet, «humanitäre Hilfe an die Konfliktparteien – auch an bewaffnete Gruppen, die als Terroristen betrachtet werden – zu respektieren».

Um die Kriminalisierung humanitärer Hilfe im neuen Gesetz zu verhindern, braucht es entweder eine Beschränkung auf «verbrecherische» Tätigkeiten bei der Unterstützung einer terroristischen Organisation. Oder eine explizite Ausnahmeregel für humanitäre Organisationen wie es vom IKRK gefordert wird. Die Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates wollte von beidem nichts wissen.

Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz präsentiert konkrete Änderungsvorschläge, damit die Gesetze den in der Schweiz garantierten Grund- und Menschenrechten entsprechen:

Der Ständerat behandelt die Vorlagen als Erstrat am 9. März 2020; anschliessend geht das Geschäft in die zuständige Kommission des Nationalrates.

Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz ist ein Zusammenschluss von mehr als 80 schweizerischen Nichtregierungsorganisationen. Die Organisationen setzen sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Schweiz und im Ausland ein.