Eine externe Untersuchung durch Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer hat verschiedene Mängel in den Bundesasylzentren offengelegt, die bereits Amnesty International in einem Recherchebericht kritisiert hatte, namentlich die Problematik der Auslagerung von Sicherheitsaufgaben an Dritte, mangelhafte Ausbildung des Sicherheitspersonals und die Anwendung der sogenannten «Besinnungsräume» in den Bundesasylzentren.
«Was aus unserer Sicht fehlt, ist eine funktionierende Anlaufstelle und ein effektiver Schutz für Whistleblower*innen, die Missstände in den Zentren melden. Es braucht einen wirklich unabhängigen Beschwerdemechanismus für die Opfer von Gewalt. Zudem sollten Behördenvertreter*innen bestimmt werden...» Alexandra Karle, Geschäftsleiterin Amnesty Schweiz
«Es ist jetzt wichtig, dauerhaft sicherzustellen, dass Gewalt in den Bundesasylzentren verhindert wird und Übergriffe sanktioniert werden. Ziel muss es sein, dass solche Sonderuntersuchungen künftig nicht mehr nötig sind», sagt Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz.
Amnesty begrüsst die Stossrichtung der weiteren Massnahmen, die Alt-Bundesrichter Oberholzer dem SEM vorschlägt. Allerdings gehen die Massnahmen nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation zu wenig weit.
«Was aus unserer Sicht fehlt, ist eine funktionierende Anlaufstelle und ein effektiver Schutz für Whistleblower*innen, die Missstände in den Zentren melden. Es braucht einen wirklich unabhängigen Beschwerdemechanismus für die Opfer von Gewalt. Zudem sollten Behördenvertreter*innen bestimmt werden, die spezifisch für die Überwachung und Durchsetzung der Menschenrechte in den Bundesasylzentren verantwortlich sind», sagt Alexandra Karle.
«Das SEM ist verantwortlich für die Sicherheit und die Einhaltung der Menschenrechte in den Zentren. Die Mandatierung privater Sicherheitsfirmen nimmt die Behörden nicht aus der Verantwortung. Der Staat muss das Wohl der Asylsuchenden sicherstellen», sagt Alexandra Karle. «Auch die verbreiteten Vorurteile in den Reihen von Sicherheitskräften, insbesondere gegenüber Asylsuchenden aus Nordafrika, müssen angegangen werden. Die Asylsuchenden müssen vor rassistischen Übergriffen geschützt werden. Zudem sollte der Bund keine unbegleiteten Minderjährigen mehr in den Bundesasylzentren zusammen mit Erwachsenen unterbringen.»
Amnesty International hatte in einem Bericht vom Mai 2021 schwerwiegende Missstände in den Bundesasylzentren offengelegt, die auf strukturelle Versäumnisse der Behörden hinweisen. Die von ihr dokumentierte Gewalt durch Sicherheitspersonal gegen Asylsuchende war so schwerwiegend, dass sie in einzelnen Fällen an Folter oder andere Misshandlungen reichen könnte. Amnesty International hält an dieser Einschätzung fest.
Alt-Bundesrichter Oberholzer bezieht sich auf teils ältere Berichte des UNHCR und der NKVF, die vor der Recherche von Amnesty veröffentlicht wurden und weder den gesamten Zeitraum noch alle von Amnesty aufgedeckten Fälle umfassen. Amnesty hat Gewaltvorfälle zwischen Januar 2020 und April 2021 dokumentiert. Es gilt besonders hervorzuheben, dass Hinweise über Missstände der Menschenrechtsorganisation zunächst von Angestellten in den Bundesasylzentren selbst und dann auch von Betroffenen gemeldet wurden.