Das Protest-Lager auf dem Mormont-Hügel bei Eclépens (VD) wurde von der Polizei geräumt und 150 Umweltaktivist*innen wurden vorübergehend festgenommen. © Dodoïste /wikicommons
Das Protest-Lager auf dem Mormont-Hügel bei Eclépens (VD) wurde von der Polizei geräumt und 150 Umweltaktivist*innen wurden vorübergehend festgenommen. © Dodoïste /wikicommons

Schweiz Haftstrafe gegen Umweltaktivist*innen: Unverhältnismässig und menschenrechtswidrig

Medienmitteilung 8. September 2021, Bern – Medienkontakt
Dutzenden von Menschenrechtsaktivist*innen im Kanton Waadt droht Haft, weil sie sich friedlich gegen die Erweiterung eines Steinbruchs des Zementherstellers Holcim gewehrt haben. Ihre strafrechtliche Verfolgung stellt eine unverhältnismässige Einschränkung der Meinungsäusserungs-, Gewissens- und Versammlungsfreiheit dar.

Der Entscheid der Behörden, den Aktivist*innen die Möglichkeit zu verweigern, gegen das Urteil Einsprache zu erheben, verstösst nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation zudem gegen das Recht auf ein faires Verfahren.

Die Polizei hatte am 1. April ein Protest-Lager auf dem Mormont-Hügel bei Eclépens (VD) geräumt. Rund 150 Umweltaktivist*innen wurden vorübergehend festgenommen und 43 von ihnen wegen Hausfriedensbruch, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen und Hinderung einer Amtshandlung angeklagt. Auf der Polizeiwache hatten sich mehrere Aktivist*innen geweigert, ihre Ausweispapiere vorzuzeigen, aber die Behörden nahmen Fingerabdrücke und DNA-Proben und fotografierten sie, bevor sie sie freiliessen.

Mindestens 37 Personen wurden anschliessend per Strafbefehl zu 60 bis 90 Tagen Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft verweigert ihnen das Recht, gegen diese Strafbefehle Einsprache einzureichen, weil sie sich zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung nicht ausweisen wollten. Der Entscheid wurde am 20. August von einem Gericht bestätigt. Die Aktivist*innen können nun jederzeit verhaftet werden.

Akt des zivilen Ungehorsams

Amnesty International ist der Ansicht, dass es sich bei den Aktionen der Menschenrechtsverteidiger*innen um Akte des zivilen Ungehorsams handelt, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt sind.

«Die Aktivist*innen haben mit ihrer Besetzung des Mormont-Hügels zwar vorsätzlich gegen nationales Recht verstossen. Sie handelten aber aus Gewissensgründen.» Alicia Giraudel, Juristin bei Amnesty International Schweiz

«Die Aktivist*innen haben mit ihrer Besetzung des Mormont-Hügels zwar vorsätzlich gegen nationales Recht verstossen. Sie handelten aber aus Gewissensgründen und in der Überzeugung, dass ihre Aktionen der effektivste Weg waren, um die Öffentlichkeit auf die Auswirkungen der Erweiterung des Steinbruchs auf die Umwelt und die Menschenrechte aufmerksam zu machen», so Alicia Giraudel, Juristin bei Amnesty International Schweiz.

Die Behörden haben die Gründe für diese Akte des zivilen Ungehorsams nicht berücksichtigt. Die gegen die Aktivist*innen erhobenen Anklagen und die verhängten Sanktionen schränken ihre Rechte unverhältnismässig ein. Sie lassen ausser Acht, dass ihre Handlungen nicht zu dauerhaften Schäden oder grösseren Störungen geführt haben.

«Die Behörden erheben weiterhin Anklage gegen die Aktivist*innen wegen Hausfriedensbruch, obwohl Holcim die Strafanzeige zurückgezogen hat. Dies stellt eine unverhältnismässige Einschränkung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit dar.»  Alicia Giraudel

«Darüber hinaus erheben die Behörden weiterhin Anklage gegen die Aktivist*innen wegen Hausfriedensbruch, obwohl Holcim die Strafanzeige zurückgezogen hat. Dies stellt eine unverhältnismässige Einschränkung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit dar, wird doch nach schweizerischem Recht Hausfriedensbruch nur auf Antrag des/der Berechtigten geahndet.»

Den Aktivist*innen die Möglichkeit zu verweigern, Einsprache gegen den Strafbefehl zu erheben, nur weil sie sich weigerten, Ausweispapiere vorzulegen, stellt eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren dar. «Das Recht auf Beschwerde ist ein wesentliches Element eines fairen Verfahrens und kann nur unter aussergewöhnlichen Umständen eingeschränkt werden, so namentlich bei Bagatelldelikten. In diesem Fall wurden die Aktivist*innen aber wegen Straftaten verurteilt, die mit Gefängnis geahndet werden. Den Aktivist*innen muss daher das Recht auf einen Rechtsbehelf gewährt werden», sagte Alicia Giraudel abschliessend.