Anlässlich des internationalen Frauentags am 8. März demonstrierte eine Gruppe von ca. 250 Frauen und LGBTI*-Personen in Basel. Laut Zeugenaussagen, die von Amnesty gesammelt wurden, verlief die Versammlung friedlich. Dennoch kesselte die Polizei die Demonstrant*innen ein und feuerte Gummigeschosse auf sie ab. Die Polizei hatte zuvor per Medienmitteilung angekündigt, dass es ein grosses Polizeiaufgebot geben und sie Identitätskontrollen durchführen würde.
Amnesty ist sehr besorgt über die Haltung der Polizei gegenüber unbewilligten Demonstrationen. Gemäss Völkerrecht sollten Versammlungen keiner Bewilligung bedürfen, da es sich um die Ausübung eines Grundrechts handelt. Darüber hinaus rechtfertigt das Fehlen einer Bewilligung nicht die Auflösung einer friedlichen Demonstration und entbindet die Behörden nicht von der Pflicht, Demonstrationen zu ermöglichen und die Teilnehmer*innen zu schützen.
«Einkesselungstaktiken, bei denen die Polizei einen Teil der Teilnehmer*innen umzingelt und abriegelt, dürfen nur gegen jene Demonstrant*innen eingesetzt werden, von denen tatsächliche Gewalt oder eine unmittelbare Bedrohung ausgehen. Wird Einkesselung wahllos oder als Strafe eingesetzt, verletzt sie die Versammlungsfreiheit und kann auch andere Rechte wie das Recht auf Schutz vor willkürlicher Freiheitsentziehung und das Recht auf Bewegungsfreiheit verletzen», sagte Alicia Giraudel, Juristin und Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz.
Auf Videoaufnahmen der Demonstration in Basel ist zu erkennen, wie Polizeikräfte auf die Demonstrant*innen zu rennen, ihnen ein Transparent aus den Händen reissen und aus wenigen Metern in die Menge schiessen. Eine Demonstrantin erzählte Amnesty International, dass Polizeikräfte losschossen, als die Gruppe sich im Zuge der Einkesselung friedlich auf Teile der Polizei zubewegte. Die Demonstrantin selbst zog sich nach eigenen Angaben Hämatome zu, andere hätten grosse Beulen davongetragen. Sie wurde auch Zeugin, wie mindestens eine Person von einer Gummipatrone am Kopf getroffen wurde.
«Mehrfachgeschosse – wie sie die Basler Polizei und auch andere Polizeikorps in der Schweiz verwenden − sind per se unpräzise: Es ist unmöglich vorherzusagen, wie weit sie sich ausbreiten werden. Sie können auch andere Personen in der Nähe treffen und bergen ein besonders grosses Risiko, Augen- und Gesichtsverletzungen zu verursachen. Da Verletzungen nicht ausgeschlossen werden können, sollten solche Mehrfachgeschosse grundsätzlich verboten werden. Dasselbe gilt für den Einsatz von Wuchtgeschossen, die willkürlich auf die Menge gerichtet werden oder auf den Boden, so dass das Projektil vom Boden abprallt», sagte Alicia Giraudel.
«Allgemein dürfen Gummigeschosse nie wahllos in eine Menschenmenge geschossen oder gegen Personen eingesetzt werden, die keine Gewalt ausüben. Die Waffe sollte nie auf den Oberkörper gerichtet werden, um schwerere Verletzungen, insbesondere an Kopf, Gesicht oder Augen, zu vermeiden. Beim Abfeuern von Gummigeschossen aus zu geringer Entfernung besteht die Gefahr des Eindringens in die Haut oder eines Aufpralls, der Verletzungen wie innere Blutungen oder Knochenbrüche verursacht.»
Amnesty International fordert eine unabhängige und wirksame Untersuchung der Vorfälle in Basel am 8. März sowie ein vollständiges Verbot des Einsatzes von Mehrfachgeschossen. Die Organisation erinnert die Polizei an Ihre Verpflichtung, das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten und auch unbewilligte friedliche Demonstrationen zu schützen. Das Bewilligungserfordernis widerspricht dem Völkerrecht. Die Polizei darf friedliche Demonstrationen nicht aufgrund fehlender Bewilligung auflösen oder die Demonstrierenden zum Zweck der Identitätskontrolle einkesseln.
25 Regeln für den Einsatz von Gummigeschossen
Als Reaktion auf die zunehmende Zahl friedlicher Demonstrant*innen, die weltweit durch den missbräuchlichen Einsatz von Gummigeschossen und anderen Projektilen dauerhaft verletzt oder getötet werden, veröffentlicht Amnesty International 25 Regeln, um Menschenrechtsverletzungen durch den unsachgemässen Einsatz dieser Waffen zu verhindern. Die 25 Regeln, begleitet von einem Positionspapier, beruhen auf den UNO-Grundprinzipien für den Einsatz von Gewalt und Schusswaffen durch Polizeikräfte und sollen Regierungen und Polizeibehörden dabei helfen, menschenrechtskonforme Gesetze, Richtlinien und Strategien für den Einsatz von Gummi- und Plastikgeschossen (sogenannte «kinetic impact projectiles») zu entwickeln.
Amnesty International appelliert an die Staaten, das Recht auf friedliche Versammlung und Protest zu schützen und fordert ein Abkommen, das Herstellung und Handel von gewissen Ausrüstungsgegenständen für Polizeikräfte verbietet oder streng reguliert.