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Schweiz Parlament muss Einhaltung der Menschenrechte durch Sportverbände sicherstellen

Medienmitteilung 6. Juni 2023, Bern – Medienkontakt
Es braucht griffige Massnahmen, um sicherzustellen, dass Sportverbände mit Sitz in der Schweiz ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einhalten, sagt Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation fordert das Schweizer Parlament gemeinsam mit der globalen Koalition Sport & Rights Alliance auf, zwei politische Vorstösse zu unterstützen, welche Sportverbände als Unternehmensakteure in Einklang mit ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte bringen wollen.

Die Schweiz ist stolze Heimat von über 50 internationalen Sportverbänden, deren kommerzielle Aktivitäten und im Ausland erwirtschafteten Umsätze jenen von mittelgrossen Konzernen in nichts nachstehen. Die Fifa mit Sitz auf dem Zürichberg hat mit der jüngsten Ausgabe der Fussball-Weltmeisterschaft der Männer einen Rekordumsatz von 7.5 Milliarden eingefahren. Das in Lausanne beheimatete Internationale Olympische Komitee (IOK) spielt umsatzmässig in einer ähnlichen Liga. Der Gewinn der Sportverbände nimmt von Turnier zu Turnier zu, deren Menschenrechtsbilanz verbessert sich jedoch nur zaghaft, wenn überhaupt. Bisher fehlen wirkungsvolle Massnahmen und eine Überprüfung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Sportverbänden in der Schweiz.

«In der Schweiz reichen die aktuellen Instrumente und Massnahmen bei Weitem nicht aus, um Sportverbände mit Sitz in der Schweiz zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu verpflichten» Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz

«In der Schweiz reichen die aktuellen Instrumente und Massnahmen bei Weitem nicht aus, um Sportverbände mit Sitz in der Schweiz zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu verpflichten», sagt Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz. «Die Verbände nehmen auch ihre Pflicht, Betroffene von – durch die Verbände mitverantwortete – Menschenrechtsverletzungen angemessen zu entschädigen, nur ungenügend wahr. Ein gutes Beispiel dafür ist die Fussball-WM der Männer in Katar, die zur Ausbeutung Hunderttausender von Arbeitsmigrant*innen führte, weil die Fifa lange Zeit keine Menschenrechtsmassnahmen vorsah. Viele der Ausgebeuteten sind bis heute nicht angemessen entschädigt worden. Die Winterspiele in Peking haben zudem gezeigt, dass Versprechen zur Gewährleistung der Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit wirkungslos bleiben, wenn das IOK diese nicht aktiv einfordert.»

Amnesty International und die Sport & Rights Alliance (SRA), eine globale Koalition, die sich für die Verankerung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption im Weltsport einsetzt, fordern den in einem offenen Brief Nationalrat auf, tätig zu werden und zwei Postulate anzunehmen, welche sich mit der menschenrechtlichen Verantwortung von Sportverbänden befassen. Die Postulate 21.4444, ‘Wie sorgt der Bundesrat dafür, dass die Fifa und das IOC ihren Verpflichtungen nachkommen?’; und 22.4206 ‘Sportdiplomatie. Grossveranstaltungen sollen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erfüllen’ sollen am 8. Juni zur Abstimmung kommen.

Der Bundesrat wird dabei aufgefordert, in einem Bericht darzulegen, ob und inwiefern die FIFA und das IOC die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) einhalten. Zudem soll eine Strategie für den Umgang der Schweiz mit internationalen Sportgrossveranstaltungen in Bezug auf die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erarbeitet werden.  Amnesty International und die Sport & Rights Alliance unterstützen diese Forderungen und die Notwendigkeit, dass die Schweizer Regierung Sportverbände besser überwacht und sie für ihr Handeln zur Rechenschaft zieht.

«Es ist an der Zeit, dass die Schweiz ihrer Rolle als Sitzstaat der grössten und einflussreichsten Sportverbände der Welt gerecht wird», sagte Andrea Florence, Direktorin der Sport & Rights Alliance. «Als Vertreterin derjenigen, die am stärksten von Missbrauch im Sport betroffen sind, wurden wir viel zu oft Zeugin von vermeidbaren Menschenrechtsverletzungen in den Ländern, die von den Verbänden als Austragungsort für ihre Sportgrossveranstaltungen auserkoren wurden. Wir fordern die Schweizer Regierung auf, wirkungsvolle Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globalen Sportverbände ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht werden.»

Bevölkerung fordert griffige Massnahmen

Der Bedarf an griffigen Massnahmen zur Sicherstellung der Sorgfaltspflicht für Menschenrechte wird zunehmend anerkannt und nachgefragt. Gemäss einer im August 2022 von YouGov im Auftrag von Amnesty International durchgeführten Meinungsumfrage, sind 68 Prozent der Bevölkerung der Schweiz der Ansicht, dass Menschenrechte ein Hauptkriterium bei der Vergabe von sportlichen Veranstaltungen wie den Fussball-Weltmeisterschaften oder den Olympischen Spielen sein müssen. Dieser Wert war höher als für jedes andere angebotene Kriterium – recht viel höher beispielsweise als die Qualität der Infrastruktur – und höher als in jedem anderen der 15 untersuchten Länder. Er spiegelt die hohen Erwartungen wider, welche die Schweizer Bevölkerung an hiesige Sportverbände stellt, und steht im Einklang mit der Unterstützung eines verbindlichen Gesetzes zur Konzernverantwortung durch die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2020, welches von den Kantonen jedoch ablehnt wurde.

«Für uns ist klar: Wenn Unternehmen und Sportverbände weiterhin viel Geld im Ausland verdienen wollen, darf dies nicht auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt geschehen», sagt Lisa Salza. «Die zahlreichen Menschenrechtsversäumnisse der WM in Katar oder der Olympischen Winterspiele in Peking zeigen, dass die existierenden Massnahmen, Sportverbände für ihre Sorgfaltspflicht zur Verantwortung zu ziehen, nicht greifen. Viele der für die WM in Katar ausgebeuteten Arbeitsmigrant*innen warten noch heute auf eine angemessene Entschädigung – trotz der mit Stolz angepriesenen Menschenrechtspolitik der Fifa.»

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre die Annahme der zwei Postulate, welche diese Woche im Parlament zur Debatte stehen und darauf abzielen, dass «Sportkonzerne» ihrer Verantwortung nachkommen. Amnesty International fordert den Bundesrat zudem auf, sein Versprechen wahrzumachen, punkto Konzernverantwortungsgesetz mit der EU gleichzuziehen. Um dieses Versprechen einzuhalten, muss die Schweiz ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz erlassen, denn die EU steht kurz vor der Verabschiedung eines potenziell wirkungsvollen Gesetzes zur Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht.