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Abstimmung über die Demonstrationsfreiheit Argumente gegen die SVP-Initiative

10. Januar 2024
Die SVP-Initiative und der Gegenvorschlag im Kanton Zürich bedrohen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die im Völkerrecht und in der Bundesverfassung garantiert sind. Amnesty International empfiehlt deshalb ein doppeltes Nein für die kantonale Abstimmung am 3. März.

Beide Vorlagen – die SVP-Initiative und der Gegenvorschlag – fordern im Wesentlichen eine generelle Bewilligungspflicht für Demonstrationen sowie die Überwälzung der Kosten für Polizeieinsätze auf die Organisator*innen und Teilnehmer*innen nicht bewilligter Demonstrationen. Weitere Informationen über die SVP-Initiative und den Gegenvorschlag im Kanton Zürich auf der Webseite des Kantons.

Amnesty International lehnt beide Vorlagen ab, da diese die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die im Völkerrecht und in der Bundesverfassung garantiert sind, gefährden. Die Argumente von Amnesty gegen die Vorlagen.

Einschränkung der Meinungsfreiheit

Friedliche Demonstrationen gehören zu einer lebendigen Demokratie. Viele Errungenschaften unserer Zeit haben ihren Ursprung in Demonstrationen, so das Frauenstimmrecht oder die Altersversicherung. Demonstrationen sind ein Mittel, um den Willen der Bevölkerung auszudrücken, aber auch ein Sprachrohr für Menschen ohne Stimmrecht, für Secondos und Jugendliche. Die SVP-Initiative und der Gegenvorschlag wollen unsere demokratischen Grundrechte massiv einschränken.

Völkerrechtswidrige Bewilligungspflicht

Friedlich demonstrieren ist ein grundlegendes Menschenrecht, keine Gefälligkeit und kein Privileg. Laut Völkerrecht darf die Ausübung dieses Rechts nicht von einer Genehmigung der Behörden abhängig gemacht werden. Auch spontane und unbewilligte Demonstrationen sind grundrechtlich geschützt. Die friedliche Teilnahme an solchen Demonstrationen darf weder kriminalisiert noch sanktioniert werden.

Meldepflicht statt Bewilligungspflicht

Zulässig ist laut Völkerrecht lediglich eine Meldepflicht, die dem Zweck dient, den Behörden die Möglichkeit zu geben, ihrer Pflicht des Schutzes und der Erleichterung des Rechts auf Protest nachzugehen, um zum Beispiel die Beeinträchtigung des Verkehrs zu minimieren und andere Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen.

Auch «unbewilligte» Demonstrationen sind geschützt

Solange eine Demonstration friedlich durchgeführt wird, ist sie vom Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt, auch wenn sie unbewilligt ist. Dies gilt auch dann, wenn Demonstrationen stören oder zu gewissen Beschränkungen des täglichen Lebens führen. Auch das Bundesgericht hat festgehalten, dass die Behörden gegenüber solchen friedlichen Versammlungen eine gewisse Toleranz an den Tag legen müssen, damit die Versammlungsfreiheit (Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK) nicht ausgehöhlt wird.

Strafen und Gebühren wegen «unbewilligter» Demonstrationen sind unzulässig

Das Versäumnis, eine Versammlung den Behörden zu melden (oder sie bewilligen zu lassen), macht die Teilnahme an der Versammlung nicht rechtswidrig und darf nicht als Grundlage für die Auflösung der Versammlung,  für die Verhaftung der Teilnehmer*innen oder für die Verhängung unangemessener Strafen dienen. Gleiches gilt für Sanktionen in Form der Überwälzung der Kosten von Polizeieinsätzen: Es ist unzulässig den Organisator*innen und Teilnehmer*innen von grundrechtlich geschützter Demonstrationen diese Ausgaben zu überwälzen, weil damit die Ausübung des Grundrechts durch die Furcht vor negativen Folgen vereitelt wird.

Sicherheit ist die Aufgabe der Polizei

Es ist grundsätzlich die Aufgabe des Staates und nicht der Organisator*innen, an Demonstrationen für die Gewährleistung der Sicherheit zu sorgen. Den Organisator*innen sollten laut Uno-Menschenrechtsausschuss keine finanziellen Kosten entstehen für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen während einer Versammlung, wie zum Beispiel für Polizeieinsätze und andere Sicherheitsmassnahmen.

Drohende Kosten: Einschüchterung von friedlich Demonstrierenden

Die von beiden Vorlagen geforderte Überwälzung von Kosten für Polizeieinsätze auf Organisator*innen und Teilnehmer*innen von Demonstrationen ist willkürlich und abschreckend. Sie trifft auch Organisator*innen und Teilnehmer*innen von Demonstrationen, die grundrechtlich geschützt sind. Friedlich Demonstrierende oder unbeteiligte Passant*innen könnten mit hohen Kosten belastet werden.

Abschreckende Wirkung bedroht Grundrechte

Die vorgesehene Kostenüberwälzung für Organisator*innen und Teilnehmer*innen führt zu einem sogenannten «Chilling Effect»: Die Bevölkerung wird durch drohende Kosten von der Ausübung ihrer Grundrechte abgehalten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der Uno-Menschenrechtsausschuss und das Bundesgericht haben anerkannt, dass der «Chilling effect» eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung darstellen kann, indem er die Ausübung dieser Rechte verhindert oder einschränkt.

Lesen Sie die ausführliche rechtliche Analyse der SVP-Initiative und des Gegenvorschlags (PDF, 5 Seiten)