Die Demonstrationen an Schweizer Universitäten, wie hier in Lausanne, sollten nicht durch repressiven Massnahmen seitens der Universitäten behindert werden. © Keystone, Noemi Cinelli
Die Demonstrationen an Schweizer Universitäten, wie hier in Lausanne, sollten nicht durch repressiven Massnahmen seitens der Universitäten behindert werden. © Keystone, Noemi Cinelli

Schweiz / Israel-Gaza Die demonstrierenden Student*innen dürfen nicht durch Einschüchterungstaktiken zum Schweigen gebracht werden

Medienmitteilung 16. Mai 2024, Bern – Medienkontakt
Um die Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza auf ihrem Gelände zu unterbinden, haben mehrere Universitäten und Hochschulen Ultimaten gestellt und friedlichen Demonstrant*innen mit akademischen Sanktionen und/oder Strafanzeigen gedroht. Diese Methoden sind nichts anderes als Einschüchterungstaktiken und widersprechen der Pflicht der Universitäten, die Meinungsfreiheit zu garantieren.

«Die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen ist ein grundlegendes Menschenrecht, das in der Verfassung und in internationalen Menschenrechtsverträgen, insbesondere in der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK, garantiert wird. Jede Person oder Behörde, die eine staatliche Aufgabe wahrnimmt, wie beispielsweise eine Universität oder Hochschule, ist somit verpflichtet, das Recht auf Protest zu schützen, zu respektieren und zu seiner Verwirklichung beizutragen», sagt Anita Goh, Kampagnenkoordinatorin für die Kampagne «Protect the Protest» bei Amnesty Schweiz.

Das Recht auf Protest, welches sowohl die Versammlungs- wie auch die Meinungsäusserungsfreiheit umfasst, muss unabhängig vom Ort, der Form oder der Dauer der Demonstration garantiert werden, solange es nicht zu allgemeiner Gewalt oder zu Aufrufen zu Gewalt, Diskriminierung oder Hass kommt. Dies gilt umso mehr in Räumlichkeiten, die zum Staatseigentum gehören, und wenn die Botschaften der Demonstrant*innen in direktem Zusammenhang mit dem gewählten Ort stehen. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Demonstrationen «sich an Gruppen stösst, oder diese verärgert, die gegenüber den Ideen oder Forderungen, welche jene fördern will, feindlich gesinnt sind». 

Medienberichten zufolge, die Amnesty International gesammelt hat, haben die Demonstrant*innen darauf geachtet, für jede Demonstration Chartas zu erstellen, die Gewalt oder Aufrufe zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung verbieten. Darüber hinaus konnte den Demonstrationen insgesamt keine Gewalt oder Aufrufe zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung angelastet werden. Amnesty International geht daher davon aus, dass es sich bei den Protesten an den Universitäten um friedliche Demonstrationen handelte, die durch die Bundesverfassung und das Völkerrecht geschützt sind.

«Universitäten und andere Hochschulen müssen in diesem Zusammenhang ein gewisses Mass an Störung tolerieren», sagt Anita Goh. Den durch Amnesty gesammelten Informationen und Medienberichten zufolge, scheinen die durch die Demonstrationen verursachten Beeinträchtigungen an den Universitäten und Hochschulen jedoch minimal zu sein: Die Demonstrant*innen haben weder den Zugang von Mitgliedern der akademischen Gemeinschaft oder der breiten Öffentlichkeit zu Gebäuden, Unterrichtsräumen oder Fluchtwegen gestört, noch haben sie sich auf das tägliche Leben der allgemeinen Bevölkerung ausgewirkt.  

«Dennoch drohten mehrere Universitäten und Hochschulen den friedlichen Demonstrant*innen öffentlich mit akademischen Sanktionen und/oder Strafanzeigen und ignorierten dabei die Tatsache, dass sie ein Grundrecht ausübten. Dies ist eine inakzeptable Einschüchterungstaktik», sagt Anita Goh.   

«Wir fordern die Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen, an denen friedliche Demonstrationen stattfinden, auf, sich an ihre Verpflichtungen zu halten, das Recht auf Protest zu respektieren und zu schützen und die Polizei nur dann aufzubieten, wenn es im Rahmen der Proteste zu Gewalt kommt», sagt Anita Goh.

Ergänzende Informationen

Das Recht auf Protest ist nicht absolut und die Polizei kann Einschränkungen beschliessen, sofern diese die Grundsätze der Legalität, Legitimität und Notwendigkeit einhalten und eine sorgfältige Abwägung der Interessen vorgenommen wird. Darüber hinaus sollte die Entscheidung, eine friedliche Demonstration aufzulösen, nur als letztes Mittel getroffen werden.

Die Androhung oder Einreichung einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs oder einer anderen Verletzung des Schweizer Rechts kann kein automatischer Grund für die Auflösung einer Demonstration sein und würde gegen das Recht auf Protest und die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen der Schweiz verstossen. Das bedeutet nicht, dass aufgrund einer solchen Anzeige keine Sanktionen verhängt werden können, wenn eine Verletzung nachgewiesen werden kann. Die rechtlichen Konsequenzen müsssen jedoch von der Durchführung der friedlichen Demonstration getrennt behandelt werden. 

Bei der Verfolgung von Verstössen während einer Demonstration muss die Anklage in einem angemessenen Verhältnis zu der begangenen Straftat stehen. Die spezifischen Aspekte der Demonstration, einschliesslich ihrer Absicht und ihrer Gesamtauswirkung, müssen berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass es zu keiner unverhältnismässigen Einschränkung der Rechte auf Gewissensfreiheit, freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung kommt.