«Das Scheitern der Konferenz ist ein weiterer Schlag gegen das Völkerrecht und ein Verrat an den Opfern schwerwiegender Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht im besetzten palästinensischen Gebiet und in Israel», sagte die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callamard.
«Die Staaten haben eine entscheidende Gelegenheit verpasst, sich für Menschenrechte und den Schutz des Völkerrechts einzusetzen.» Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International
«Alle Staaten haben sich verpflichtet, die Einhaltung der vierten Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in besetzten Gebieten sicherzustellen. Doch sie haben politische Opportunität über den Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg gestellt. Die Staaten haben eine entscheidende Gelegenheit verpasst, sich für Menschenrechte und den Schutz des Völkerrechts einzusetzen. Stattdessen zeigen sie eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Zivilbevölkerung.»
Israel hat im Konflikt mit der Hamas erneut die Einfuhr jeglicher humanitären Hilfe nach Gaza blockiert. Zudem wurde die Stromversorgung im Küstenstreifen gekappt. Im Westjordanland sind zuletzt Tausende von Palästinenser*innen gewaltsam vertrieben worden. Die Verletzungen der vierten Genfer Konvention und des humanitären Völkerrechts durch Israel sind angesichts der Zerstörungen und des Genozids in Gaza offenkundig. Umso stossender ist die Passivität europäischer Staaten, die im Fall der Ukraine in den letzten Wochen noch lautstark ihr Engagement für das Völkerrecht und die regelbasierte Ordnung beteuert hatten.
Schweiz hat Scheinerklärung vorgelegt
Die Vorbereitung der Konferenz durch die Schweiz und die Verhandlungen über die vorgesehene Erklärung waren nicht transparent und fanden unter weitgehendem Ausschluss der Zivilgesellschaft statt. «Der von der Schweiz in Umlauf gebrachte Entwurf einer Erklärung versäumte es in beschämender Weise, das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Juli 2024 anzuerkennen, in dem die Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands, einschliesslich Ost-Jerusalems, durch Israel für rechtswidrig erklärt wird», kritisierte Agnès Callamard. «Der Vorschlag beinhaltete nicht einmal grundlegende Forderungen an die Achtung des humanitären Völkerrechts.»
«Minimaler Respekt vor den Genfer Konventionen würde heissen, dass die Staaten zumindest Waffenlieferungen an die Konfliktparteien einstellen und die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs und der Uno-Untersuchungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete unterstützen.»
Hintergrund
Die Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen war im September 2024 von der Uno-Generalversammlung aufgerufen worden, 2025 eine Konferenz der Hohen Vertragsparteien der vierten Genfer Konvention einzuberufen. Die Konferenz sollte sich auf «Massnahmen zur Durchsetzung der Konvention im besetzten palästinensischen Gebiet, einschliesslich Ostjerusalem, und zur Gewährleistung der Einhaltung des gemeinsamen 1. Artikels der Genfer Konventionen» konzentrieren. Darin verpflichten sich die Vertragsparteien, «das Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen.»
Am Abend vor der geplanten Konferenz kündigte die Schweiz ihre Absage an und verwies auf «grosse Differenzen zwischen den Hohen Vertragsparteien». In einer Stellungnahme kritisierte die Organisation für Islamische Zusammenarbeit den Erklärungsentwurf, der «das vereinbarte Mandat nicht erfüllt» und «dem Ernst der Lage nicht gerecht wird». Zu Beginn der Woche hatte Israel bereits angekündigt, nicht an der geplanten Konferenz teilzunehmen, und andere Staaten zum selben Schritt aufgefordert.