© pizzazz.studio: Katharina Hofer, Brigitte Lampert
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Kritik nach dem Klimaurteil des EGMR Unsere Argumente für die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK

14. August 2024
Warum braucht die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)? Wie kann sie die Menschenrechte in Europa mitgestalten? Und warum sendet die Drohung, ein Urteil des Gerichtshofs nicht umzusetzen, ein gefährliches Signal an Unrechtsstaaten?

Das Verhältnis zwischen Landesrecht und Völkerrecht führt in der Schweiz immer wieder zu Diskussionen. 2018 lehnten die grosse Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten und alle Kantone die «Selbstbestimmungsinitiative» der SVP ab und sprachen sich für einen starken Menschenrechtsschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aus.

Seit dem Klimaseniorinnen-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom April 2024 steht der EGMR erneut in der Kritik. In einer Erklärung kritisieren beide Kammern des Parlaments den EGMR und fordern den Bundesrat dazu auf, dem Klima-Urteil «keine weitere Folge» zu leisten.

Debatten über das Völkerrecht sind begrüssenswert, auch Kritik an einzelnen Gerichtsurteilen kann konstruktiv sein. Aber die Erklärung des Parlaments stellt die Kompetenz des EGMR in Frage und schwächt das wichtigste Instrument für den Schutz der Menschenrechte in Europa. Amnesty Schweiz setzt sich dafür ein, dass die EMRK geschützt und die Urteile des EGMR umgesetzt werden.

Die EMRK schützt uns alle       

Die EMRK und der EGMR bieten uns Schutz vor staatlicher Willkür: Der EGMR kann von allen Menschen in der Schweiz angerufen werden, die ihre Menschenrechte verletzt sehen. Ein Fall kann jedoch erst dann vor den EGMR gelangen, wenn alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft sind.

Lesen Sie hier drei Geschichten aus der Schweiz von Menschen, die ihre Rechte am EGMR eingeklagt haben. 

Die in der EMRK festgehaltenen Rechte sind seit 1999 auch in der Bundesverfassung festgehalten. Aber sie können nicht garantiert werden, weil die Verfassung durch Volksinitiativen jederzeit geändert werden kann. So können sowohl Verfassungsartikel wie Bundesgesetze im Widerspruch stehen zu Völkerrecht. Die EMRK bietet dagegen einen gewissen Schutz, von dem wir alle profitieren.

Die Schweiz kann mitgestalten

Die Mitgliedstaaten des Europarates, zu denen die Schweiz gehört, können die EMRK und die Handlungsweise des EGMR mitgestalten. Die Schweiz ist mit Alt-Bundesrat Alain Berset als neuem Generalsekretär des Europarates und den Schweizer Richtern (Andreas Zünd als Vertreter für die Schweiz und Alain Chablais als Vertreter Liechtensteins) überproportional gut vertreten. Zudem repräsentieren 12 Parlamentarier*innen von allen grossen Parteien die Schweiz im Parlament des Europarats. Diese starke Präsenz bietet viel Potenzial für Mitgestaltung. Die Schweiz sollte dies nutzen, um gemeinsam mit den anderen Mitgliedsstaaten den Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Europa zu stärken.

Europa braucht einen Schutzwall für die Menschenrechte

Die Werte des Europarates – Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit –, welche die Schweiz auch in ihrer Verfassung hochhält, sind durch Krieg und autoritäre Regierungen in Europa stark unter Druck geraten. Jeder Versuch, die wichtigste Institution zum Schutz dieser Werte in Europa zu schwächen, stärkt jene Staaten, die mit dem Völkerrecht gebrochen haben oder mit einem Bruch liebäugeln. Wenn die Schweiz droht, ein nicht-genehmes EGMR-Urteil nicht umzusetzen, oder sich gar aus der EMRK zurückzuziehen, sendet sie ein gefährliches Signal an Unrechtsstaaten. Die Länder mit repressiven Tendenzen und mangelhafter Gewaltentrennung werden gestärkt, was zu einer Erosion rechtsstaatlicher Leitplanken in Europa führen kann. Eine «à-la-carte»-Umsetzung von EGMR-Urteilen, oder gar eine Kündigungswelle der EMRK, würde nicht nur die gemeinsame Wertebasis gefährden und den Menschenrechtsschutz schwächen, sondern auch zu grösserer Unsicherheit und Instabilität in Europa führen.