Im Abstimmungskampf zur Selbstbestimmungsinitiative ist der Uno-Migrationspakt auch in der Schweiz in den Fokus gerückt. Obwohl es sich dabei explizit nicht um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt, wurde der Pakt als Beispiel für angeblich «überbordendes» Völkerrecht ins Feld geführt. Gleichzeitig schürt eine Kampagne auch in anderen europäischen Ländern Ängste vor einer «globalen Personenfreizügigkeit», die weder Inhalt noch Absicht des Migrationspaktes ist. Eine Klärung tut not, was der Migrationspakt ist und was nicht.
Aus menschenrechtlicher Sicht sind in der kommenden Session zudem die Kriegsmaterialexporte, der Vertrag für ein Atomwaffenverbot sowie der Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität (Mo. Reynard) von besonderem Interesse.
Nachfolgend finden Sie unsere Kurzanalyse zu ausgewählten Vorstössen. Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und eine spannende Wintersession!
National- und Ständerat
Ständerat
13.407 Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung (Pa. Iv. Reynard)
Uno-Migrationspakt
Ständerat (29.11.), Nationalrat (6.12.)
In beiden Räten steht die Motion der SPK zur Debatte, die verlangt, dass der Bundesrat dem Uno-Migrationspakt am 10./11. Dezember 2018 an der intergouvernementalen Konferenz in Marokko vorerst nicht zustimmen soll. Das Parlament soll zunächst die Möglichkeit haben, sich vertieft mit den möglichen Folgen für die Schweiz zu beschäftigen und schliesslich in Form eines Bundesbeschlusses über eine Zustimmung zu befinden (Mo. SPK. 18.4103 und 18.4093). Die Motionen (18.3935) von Ständerat Hannes Germann (SVP/SH) und 18.3838 von Nationalrat Thomas Aeschi (SVP/ZG) verlangen, dass die Schweiz sich aus dem Abkommen zurückzieht.
Migration und Flucht gehören zu den zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Der Uno-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration GCM) soll zu einer verbesserten Zusammenarbeit der Staaten führen. Namentlich der Menschenhandel und moderne Formen der Sklaverei sollen bekämpft, der Schutz von Migrantinnen und Migranten erhöht und Massnahmen zur Eindämmung der Ursachen irregulärer Migration ergriffen werden. Internationale Abkommen dieser Art, die ausdrücklich nicht völkerrechtlich bindend sind, zeigen vor allem eines: die Bereitschaft von Staaten, in den kommenden Jahren wichtige Herausforderungen zu diskutieren und gemeinsame Lösungen zu finden. «Kein Staat kann die Herausforderungen der Migration alleine angehen, es braucht internationale Zusammenarbeit», heisst eines der zehn Leitprinzipen des Paktes. (Das Schlussdokument auf Englisch findet sich hier: http://undocs.org/en/A/CONF.231/3).
Entgegen anderslautender Behauptungen wird keine Zunahme oder Abnahme der Migration verlangt. Zudem sollen die Staaten weiterhin souverän bestimmen, wer in ein Land legal einreisen darf. Der Uno-Migrationspakt hält ausdrücklich fest, dass es sich um ein rechtlich nicht bindendes Dokument handelt. Es gibt drei explizite Souveränitätsklauseln (eine in der Präambel Absatz 7, eine weitere in den Leitprinzipien Absatz 15 und eine weitere in Ziel 27 Absatz 27). So bekräftigt beispielsweise Absatz 15 «das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln». Der Migrationspakt wird den gleichen Charakter wie ein Beschluss der Generalversammlung haben. Entsprechend unterzeichnen die Staaten den Pakt auch nicht, sie stimmen während der Konferenz in Marrakesch dafür, dagegen oder enthalten sich der Stimme. Der Migrationspakt steht in klarem Zusammenhang mit den Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals SDG), die von allen Uno-Mitgliedsstaaten unterstützt wurden.
Der Uno-Migrationspakt ist ein Kompromiss. Das Dokument ist zwar ambitioniert, Bekenntnisse zur Umsetzung bleiben jedoch vage. Auf Antrag verschiedener Länder und Staatengruppen wurden diverse Aspekte im Verlauf der Verhandlungen erheblich abgeschwächt, namentlich was konkrete Massnahmen zum Schutz von Migrantinnen und Migranten anbelangt. Dennoch bringt die Schlussfassung des Dokuments wichtige Fortschritte. So werden faire und ethische Standards bei der Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften gefordert (insbesondere Ziffer 22 f, g, j). Zudem wird erstmals anerkannt, dass in einem hochrangigen internationalen Dokument die humanitäre Hilfe für Menschen, die von den Folgen des Klimawandels und damit verbundener Naturkatastrophen betroffen sind, verankert werden muss. Menschen, die die aufgrund von Naturkatastrophen «gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen» oder unter negativen Auswirkungen des Klimawandels und Umweltzerstörung leiden, benötigen spezifische Schutzmassnahmen.
Der Migrationspakt fordert, auf die Beendigung der Praxis der Kinderhaft im Rahmen der internationalen Migration hinzuarbeiten. Auch Amnesty International ruft die Staaten auf, nach Alternativen zur Administrativhaft für Minderjährige zu suchen und sich für die Beendigung der Inhaftierung von Kindern aus migrationsrechtlichen Gründen einzusetzen. Die Ausschaffungshaft für Minderjährige bleibt gemäss Uno-Migrationspakt allerdings ein Instrument, das die Staaten weiterhin brauchen dürfen, sofern diese grundsätzlich verhältnismässig und nicht willkürlich angewendet wird. Die Schweiz erlaubt die Administrativhaft von Minderjährigen zwischen 15 und 18 Jahren, wobei Zwangsmassnahmen bei Familien und Minderjährigen nur im Ausnahmefall angeordnet werden und viele Kantone bereits heute alternative Lösungen umsetzen. (Siehe Haltung der Schweiz zum Migrationspakt, PDF).
Kritisiert wird am Uno-Migrationspakt auch jener Punkt, der rassistischer und hetzerischer Berichterstattung in den Medien entgegenwirken will. Diese Kritik irritiert. Das schweizerische Recht kennt klare strafrechtliche und zivilrechtliche Grenzen und Sanktionen für rassistische Äusserungen. Nach Ansicht des Bundesrats besteht auch hier «kein interner Handlungsbedarf». «Die Medienfreiheit als Basis der demokratischen Ordnung der Schweiz wird in keiner Art und Weise vom Migrationspakt tangiert», hält das Aussendepartment fest (siehe Haltung der Schweiz zum Migrationspakt, PDF).
Die Schweiz hat sich als Co-Facilitator bei den Verhandlungen engagiert. Im Rahmen des offiziellen Beitrags zum Bericht des Uno-Generalsekretärs vom 19. September 2017 hat sie sich ausdrücklich für einen «ehrgeizigen», «ambitionierten» und «politisch verbindlichen» Pakt ausgesprochen. Es wäre für den internationalen Ruf der Schweiz schädlich, sich von einem Pakt zurückzuziehen, an dessen Ausarbeitung sie beteiligt war und den sie während der gesamten Verhandlungen unterstützt hat.
Amnesty International hat sich während den Verhandlungen zum Uno-Migrationspakt für umsetzbare Empfehlungen eingesetzt und erachtet das Schlussdokument trotz gewisser Schwächen als Fortschritt. Amnesty empfiehlt dem Parlament, den Uno-Migrationspakt zu unterstützen und dem Bundesrat in seiner Absicht beizupflichten, dem Handlungsrahmen zuzustimmen. Mit der Zustimmung zum Uno-Migrationspakt setzt die Schweiz ein wichtiges Zeichen für die internationale Zusammenarbeit und die Verlässlichkeit der Schweizer Diplomatie.
Ständerat (28.11.)
13.407 Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung (Pa. Iv. Reynard)
Amnesty International unterstützt diese Initiative und erachtet sie als gutes Mittel zur Bekämpfung der Diskriminierung von LGBTI-Menschen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die in diesem Jahr ihren 70. Jahrestag feiert, und die beiden Uno-Pakte zu ihrer Umsetzung verurteilen alle Formen der Diskriminierung. Amnesty International begrüsst deshalb auch den Änderungsvorschlag der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats, welcher verlangt, nicht nur die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, sondern auch aufgrund der geschlechtlichen Identität unter Strafe zu stellen. Amnesty empfiehlt ausdrücklich, diese Initiative in ihrer aktuellen Form anzunehmen.
Ständerat (29.11.)
17.4241 n Mo. Nationalrat (Carlo Sommaruga). Den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und ratifizieren und 18.4097 s Mo. APK. Vertrag über das Verbot von Kernwaffen
Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen ist ein rechtsverbindliches Instrument, das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 7. Juli 2017 mit 122 Stimmen (inkl. Schweiz) bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen wurde. Obwohl die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (und führenden Atommächte) weder an der Schlussdebatte noch der Abstimmung teilgenommen haben, ist dieser Vertrag ein wichtiger Schritt in Richtung einer Welt ohne Atomwaffen; die tödlichsten und wahllosesten Waffen überhaupt. Dieser Vertrag könnte das Gegenmittel gegen die Politik der Entwicklung, Lagerung und letztendlich des Einsatzes von Atomwaffen sein.
Auch die Schweiz muss diesen Vertrag ratifizieren und sollte sich nicht von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft isolieren. Der Bundesrat sagt selbst, dass er das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen teilt. Amnesty International versteht deshalb nicht, warum er die Unterzeichnung dieses Vertrages hinauszögert. Der Vertrag ist derzeit schlicht die beste Option, um die Welt vor den verheerenden Gefahren von Atomwaffen zu schützen. Die APK-S ist der Auffassung, dass «viele Fragen offen sind», ohne zu präziseren, welche. Ihre Motion, die verlangt, die Situation in zwei Jahren zu überprüfen, folgt der Haltung des Bundesrates. Amnesty sieht darin eine unnötige Verzögerung und einen Kompromiss, der weder den Bundesrat, der bis 2025 mit der Überprüfung der Situation warten will, noch die Befürworter einer raschen Unterzeichnung zufrieden stellen wird.
Wir empfehlen Ihnen, die Argumente der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) und des IKRK zu lesen, und sich für die Unterzeichnung und Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrag auszusprechen.
Ständerat (6.12.)
Mo. 18.3394 Verbreiterung der demokratischen Basis von Waffenexporten und Mo. 18.4084 Waffenexporte. Kontrollen verstärken
In den letzten Monaten wollte der Bundesrat die Kriegsmaterialverordnung lockern, um Exporte in Bürgerkriegsländer zu ermöglichen. Der zivilgesellschaftliche Druck und die Androhung einer Volksinitiative, hat den Bundesrat veranlasst, seine Position vorerst zu überdenken.
Weil die derzeitige Kontrolle der Waffenausfuhren ernsthafte Mängel aufweist, wie auch der Bericht der Eidg. Finanzkontrolle aufzeigt, ist Amnesty International der Ansicht, dass beide Vorstösse unterstützt werden sollten.
Der Bundesrat entscheidet derzeit eigenverantwortlich über den Inhalt der Kriegsmaterialverordnung und die Schweizer Exportpraxis. Selbst das Parlament hat in dieser Angelegenheit kein Mitspracherecht. Die Hauptfolge der Motion der BPD-Fraktion (18.3394) wäre, dass die Waffenexportkontrollen nicht mehr auf Verordnungsebene, sondern auf Verfassungs- und Gesetzesstufe geregelt würden. Dies gäbe dem Parlament und den Stimmbürgerinnen und -bürgern (via Referendum) mehr Mitspracherecht, und es würde mehr Transparenz gewährleisten, was uns angesichts des sensiblen Charakters der Entscheidungen als notwendig erscheint.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat angekündigt, auf eine Lockerung der Kriegsmaterialverordnung zu verzichten – dies aber nur vorübergehend. Die beiden Vorstösse sind deshalb weiterhin von Bedeutung, und Amnesty International empfiehlt ihre Annahme.