Schliesslich stehen im Dezember auch die Bundesratswahlen an. Deshalb an dieser Stelle nochmals der Hinweis – an Parlament und zukünftige Minister*innen – zu unserer Menschenrechtsagenda für die kommende Legislatur. Ob Klimaschutz, neue Technologien, Diskriminierungsschutz oder Aussenpolitik: Die Herausforderungen, die in der nächsten Legislatur auf die gewählten Politiker*innen zukommen, sind gross. Amnesty Schweiz hat daher eine Broschüre herausgegeben, die die wichtigsten menschenrechtlichen Herausforderungen skizziert und klare Empfehlungen ausspricht.
Im Anschluss finden Sie Amnesty’s Position zu konkreten Geschäften zu diesen Themen.
Übersicht (Nach Themen)
Aussenpolitik
Israel / besetzte palästinensische Gebiete
Asyl und Migration
23.4241 Motion NR - Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen
23.4247 Motion SR - Die Anpassung der Praxis bei Asylanträgen afghanischer Bürgerinnen korrigieren
23.4246 Motion SR - illegale Migration von männlichen Afghanen unterbinden
Weitere Asylpolitische Geschäfte
23.3096 Motion NR - Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25
Waffenexporte
23.3585 Motion NR - Änderung des Kriegsmaterialgesetzes
Aussenpolitik
Israel / besetzte palästinensische Gebiete
Mehrere der parlamentarischen Vorstösse konzentrieren sich auf die Behandlung der Hamas durch die Schweiz. Es fehlt aber bis jetzt ein klares Einstehen des Parlaments für eine kohärente Menschenrechtsaussenpolitik angesichts der Gewalteskalation.
Amnesty International hat die Feuerpause und die Freilassung von Geiseln und Gefangenen im Grundsatz begrüsst, fordert aber weitaus mehr Massnahmen, um das anhaltende Leid und die Ungerechtigkeit zu beenden. Alle Beteiligten sollten sich dafür einsetzen, dass diese humanitäre Pause zu einem dauerhaften Waffenstillstand verlängert wird.
Zudem fordert Amnesty international erneut alle bewaffneten Gruppen auf, sofort alle Zivilpersonen freizulassen, die weiterhin im Gazastreifen als Geiseln gehalten werden. Und die israelischen Behörden sollen alle unrechtmässig inhaftierten Palästinenser*innen freilassen, einschliesslich derjenigen, die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Administrativhaft gehalten werden.
Amnesty International dokumentiert seit Jahren massive Menschenrechtsverletzungen im Konflikt. So zum Beispiel wie die Hamas und andere bewaffnete Gruppen am 7. Oktober 2023 wahllos Raketen auf Israel abfeuerten und Kämpfer entsandten, die Kriegsverbrechen wie vorsätzliche Massentötungen von Zivilist*innen begingen und zahlreiche Menschen als Geiseln verschleppten. Am 20. Oktober hat Amnesty International erdrückende Hinweise für Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte bei ihrer Gaza-Offensive veröffentlicht, darunter wahllose Luftangriffe, die zu massenhaften Opfern unter der Zivilbevölkerung führten, ganze Familien auslöschten und Wohnviertel zerstörten.
Die Schweiz hat angesichts der aktuellen Gewalt-Eskalation eine zwiespältige Rolle gespielt. Einerseits ist es positiv zu werten, dass sich die Schweiz im Uno-Sicherheitsrat und in der Vollversammlung für das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte einsetzt, so wie sie es mit der Unterstützung einer humanitären Waffenruhe getan hat. Als Depositarstaat der Genfer Konventionen sollte die Schweiz zudem eine dringende Konferenz der Hohen Vertragsparteien der Genfer Konvention einberufen. Falls die Schweizer Regierung hier nicht vorangeht, wäre ein entsprechender Vorstoss des Parlamentes gefragt.
Andererseits hat die Schweiz bedauerlicherweise die finanzielle Unterstützung für palästinensische und israelische Menschenrechts-NGOs hinterfragt oder sogar eingestellt. Dies ist inkonsequent und widerspricht den eigenen Leitlinien des EDA zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen. Gerade in der Krise ist die Arbeit der Zivilgesellschaft essenziell. Anstatt mit vager Begründung die Stigmatisierung von kritischen Akteuren mitzutragen, sollte die Schweiz dazu beitragen, den bereits jetzt gefährlich eingeschränkten Raum der Zivilgesellschaft in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zu schützen und weiter zu stärken. Auch hier sollte das Parlament korrigierend eingreifen.
Asyl und Migration
Sondersession Afghanistan
Sowohl der Ständerat und der Nationalrat werden sich im Rahmen einer Ausserordentlichen Session zum Thema «Asylpraxis in Bezug auf Afghaninnen» mit mehreren Vorstössen beschäftigen. Das Staatssekretariat für Migration hat im Sommer 2023 entschieden, dass weibliche Asylsuchende aus Afghanistan sowohl als Opfer diskriminierender Gesetzgebung als auch einer religiös motivierten Verfolgung betrachtet werden. Folglich sei ihnen im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dieses Vorgehen erfährt nicht nur in der Schweiz, sondern auch in verschiedenen europäischen Ländern eine breite Akzeptanz.
Die Motionen 23.4247 und 23.4241 fordern, die Praxisänderung des Staatssekretariats für Migration in Bezug auf Frauen und Mädchen rückgängig zu machen. Die Motion 23.4246 mit Fokus auf männliche Afghanen fordert gar, reichlich realitätsfremd, dass der Bundesrat Afghanistan als «safe country» bezeichnen und mit der Taliban-Regierung eine Migrationspartnerschaft aushandeln soll.
Den genannten Vorstössen im National- und Ständerat gemeinsam ist, dass sie die aktuelle Lage in dem Land vollumfänglich verkennen. Die Menschenrechtssituation in Afghanistan ist aufgrund zahlreicher dokumentierter Menschenrechtsverstösse weiterhin prekär. Seit der Machtergreifung der Taliban hat sich besonders die Situation für Frauen und Mädchen kontinuierlich verschlechtert. Frauen und Mädchen werden systematisch verfolgt und ihre Rechte strikt eingeschränkt. Die Lage vor Ort hat sich nach Naturkatastrophen wie dem Erdbeben im Oktober dieses Jahres zusätzlich verschärft. Auch im Nachbarland Pakistan finden Geflüchtete keinen Schutz. Die pakistanischen Behörden verstossen gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, in dem Afghan*innen schikaniert, inhaftiert und massenweise abgeschoben werden.
Amnesty International empfiehlt eine Ablehnung aller drei Motionen zu Afghanistan, und fordert die Fortführung der Praxis des SEM als Reaktion auf die unverändert schlechte Menschenrechtssituation.
Nationalrat - Dienstag, 19. Dezember 2023
Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen
23.4241 / Motion
Aus den erwähnten Gründen empfiehlt Amnesty International die Ablehnung der Motion.
Ständerat - Mittwoch, 20. Dezember 2023
Die Anpassung der Praxis bei Asylanträgen afghanischer Bürgerinnen korrigieren
23.4247 / Motion
Aus den erwähnten Gründen empfiehlt Amnesty International die Ablehnung der Motion.
Illegale Migration von männlichen Afghanen unterbinden
23.4246 / Motion
Aus den erwähnten Gründen empfiehlt Amnesty International die Ablehnung der Motion.
Weitere Asylpolitische Geschäfte
Nationalrat - Dienstag, 19. Dezember 2023
Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25
23.3096 / Motion
Motion 23.3096 fordert den Bundesrat auf, das zweijährige Resettlement-Programm 2024-2025 auszusetzen. Das Resettlement-Programm ist oft die einzige Möglichkeit, diejenigen Geflüchteten zu schützen, die am meisten gefährdet sind. So zum Beispiel Menschen, die gefoltert wurden oder Frauen, die von Missbrauch bedroht sind. Ein sicherer und legaler Fluchtweg kann für Geflüchtete den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Das Resettlement-Programm hat sich als weltweiter Solidaritätsmechanismus in den letzten Jahren bewährt, um dauerhafte Lösungen für betroffene Geflüchtete zu schaffen. Auch das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betont immer wieder die Wichtigkeit des Resettlement.
Amnesty International empfiehlt die Ablehnung der Motion.
Bei häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach Artikel 50 AIG garantieren
21.504 / Parlamentarische Initiative
Die Parlamentarische Initiative bezweckt, dass Opfer häuslicher Gewalt bei der Auflösung der Ehe oder Familiengemeinschaft besser vor dem Verlust ihrer Aufenthaltsrechte geschützt werden. Die Härtefallregelung im AIG soll so geändert werden, dass im Falle von häuslicher Gewalt auch Personen mit einer Aufenthalts- oder einer Kurzaufenthaltsbewilligung sowie vorläufig Aufgenommene einen besseren Schutz erhalten.
Amnesty International begrüsst deshalb grundsätzlich die Änderung des Artikels 50 im Ausländer- und Integrationsgesetz und sieht diese als Chance, mehr Rechtsgleichheit unter Gewaltbetroffenen und einen besseren Opferschutz im Sinne einer ungebundenen Aufenthaltsmöglichkeit zu schaffen. Die vorgeschlagene Anpassung könnte eine präventive Wirkung auf die Täter*innen haben und den Betroffenen den Zugang zu Opferhilfestellen vereinfachen, deren Existenz sie bislang allzu oft nicht einmal kennen. Amnesty International ist davon überzeugt, dass die Initiative einen wirksamen Schutz für Migrant*innen, die häusliche Gewalt erleben, darstellen kann. Gleichzeitig könnten so die Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt werden.
Amnesty International empfiehlt die Annahme der Parlamentarischen Initiative.
Waffenexporte
Nationalrat - Montag, 18. Dezember 2023
Änderung des Kriegsmaterialgesetzes
23.3585 / Motion
Die Motion 23.3585 der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats verlangt, dass der Bundesrat von den Kriterien zur Bewilligung von Kriegsmaterialgeschäften abweichen kann. Dies würde es ermöglichen, dass Kriegsmaterialexporte selbst dann bewilligt werden können, wenn das Empfängerland die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt, oder wenn im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird.
Amnesty International empfiehlt die Ablehnung der Motion 23.3585.