Die Initiative «Ja zur Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)», die der Schweizer Bevölkerung am 4. März 2018 zur Abstimmung vorgelegt wird, sieht vor, dass der Bund keine Rundfunk- oder Fernsehsender mehr finanziert. Die Annahme der Initiative könnte zur Folge haben, dass der Bevölkerung weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um auf eine Vielfalt an Informationen und Meinungen zuzugreifen. Dies würde eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung und Meinungsfreiheit und insbesondere eine Verletzung der Verpflichtung darstellen, sprachlichen Minderheiten und Menschen mit einer Behinderung einen nicht diskriminierenden Zugang zu Informationen zu gewährleisten.
Gewährleistung eines freien Meinungsaustausches
Das Recht auf freie Meinungsäusserung verpflichtet Staaten, den freien Austausch von Informationen und Meinungen aller Art zu garantieren, damit jede Person ihre eigenen Gedanken und Meinungen äussern und die Gesellschaft insgesamt diese Informationen suchen und erhalten kann.
Der Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass eine freie Presse und andere freie Informationsmedien, die keiner Zensur und keinen Behinderungen unterliegen, wesentlich sind, um die freie Meinungsäusserung und Meinungsfreiheit sowie die Ausübung anderer Menschenrechte zu gewährleisten. Der Ausschuss macht insbesondere deutlich, dass Staaten verpflichtet sind, die unabhängige Arbeit von Rundfunk und Fernsehstationen sicherzustellen. Sie müssen ihnen Finanzmittel zur Verfügung stellen, die gewährleisten, dass ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet ist.
Ein Verbot der staatlichen Subventionierung von Radio- und Fernsehstationen, wie es die Initiative vorsieht, würde die Existenz bestimmter Medien gefährden und sich somit nachteilig auf die freie Meinungsäusserung und den freien Meinungsaustausch in der Schweiz auswirken.
Schutz der freien Meinungsäusserung von sprachlichen Minderheiten
Wie vom Ausschuss für Menschenrechte festgelegt, müssen Staaten sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu unabhängigen und vielfältigen Medien haben, damit das Recht auf freie Meinungsäusserung ohne Diskriminierung wirksam gewährleistet ist. Der Staat muss daher in besonderer Weise die Förderung von Medien sicherstellen, um das Recht der Nutzer zu schützen, eine Vielfalt an Informationen und Meinungen zu erhalten. Dies schliesst auch Angehörige ethnischer und sprachlicher Minderheiten mit ein.
Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten, dem die Schweiz ebenfalls beigetreten ist, verpflichtet die Staaten vor allem sicherzustellen, dass Angehörige einer nationalen Minderheit in Bezug auf ihren Zugang zu Informationen nicht diskriminiert werden. In dem Übereinkommen wird insbesondere gefordert, dass die Staaten in ihren nationalen Rechtsvorschriften über Rundfunk und Fernsehen Angehörigen nationaler Minderheiten die Möglichkeit gewähren, eigene Medien zu schaffen und zu nutzen.
Die Bundesverfassung sieht ebenfalls besondere Pflichten gegenüber sprachlichen Minderheiten vor. In Artikel 70 ist festgelegt, dass «der Bund [...] Massnahmen der Kantone Graubünden und Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache [unterstützt]». Durch das Verbot der Subventionierung sämtlicher audiovisueller Medien (sowohl der SRG als auch regionaler Rundfunk- und Fernsehsender) könnte die Initiative dazu beitragen, dass der Bund an der wirksamen Erfüllung seiner Aufgabe, die Rechte von ethnischen und sprachlichen Minderheiten zu schützen, gehindert wird.
Die Staaten müssen jegliche Form von Diskriminierung bekämpfen. Dazu gehören auch Fälle, in denen ein scheinbar neutrales Vorgehen oder Gesetz ohne stichhaltige Begründung zu einer unverhältnismässigen Benachteiligung einer bestimmten Gruppe führt. Die französisch-, italienisch- und rätoromanischsprachigen Regionen könnten in besonderer Weise vom Wegfallen der staatlichen Finanzierung der SRG sowie privater regionaler Rundfunk- und Fernsehsender betroffen sein. Diese Regionen profitieren gegenwärtig in hohem Masse von der Rundfunk- und Fernsehgebühr: 70 Prozent der Gebühren werden in der deutschsprachigen Schweiz eingenommen, davon werden jedoch nur 45 Prozent zur Finanzierung deutschsprachiger Medien verwendet, der übrige Betrag fliesst in die Minderheitsregionen.
Zugang zu Informationen für Menschen mit einer Behinderung
Die Schweiz hat im Zusammenhang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen auch besondere Pflichten, den Zugang behinderter Menschen – zum Beispiel von Menschen mit Hörbehinderung – zu Massenmedien zu gewährleisten. Ohne staatliche Finanzierung wäre nicht mehr sichergestellt, dass private Medien ihre Programme in Gebärdensprache übersetzen können.
Art der Medienfinanzierung
Die Schweizer Sektion von Amnesty International nimmt hier lediglich Stellung zu den Auswirkungen, die sich durch die «No Billag»-Initiative auf die Menschenrechte ergeben könnten, und trifft keine Feststellung zur Art und Weise, wie die Schweiz die Finanzierung staatlicher oder privater Medien regeln sollte. Das bedeutet, dass Amnesty International Schweiz weder die Gebühr als solche noch die gegenwärtige Art der Subventionierung der SRG und regionaler Rundfunk- und Fernsehsender kommentiert und sich insbesondere nicht zu der Frage äussert, ob die Finanzierung auf andere Weise geregelt werden sollte.
Aber unabhängig davon, wie jeder Staat seine Medienfinanzierung regelt, besteht die Verpflichtung, Mittel bereitzustellen, damit jede Person Informationen und Meinungen aller Art frei suchen, erhalten und verbreiten kann. Diese Verpflichtung ist dem Ausschuss für Menschenrechte zufolge bindend für jeden Staat in seiner Gesamtheit, das heisst auch für Kantone und Gemeinden.
Aufgrund der Gefahren für die freie Meinungsäusserung und den Meinungsaustauschempfiehlt die Schweizer Sektion von Amnesty International, die «No Billag»-Initiative abzulehnen, und fordert die Schweizer Behörden auf, alle geeigneten Massnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass alle Menschen in der Schweiz, auch sprachliche Minderheiten und behinderte Menschen, Zugang zu vielfältigen Informationen haben und ihr Recht auf freie Meinungsäusserung ohne Diskriminierung ausüben können.
Quellen
Uno-Menschenrechtsausschuss, General Comment 34, Juli 2011: docstore.ohchr.org (pdf)
Europarat: Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten: www.admin.ch (pdf)