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Stellungnahme von Amnesty Schweiz zu Änderungen im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) Einschränkungen für Reisen ins Ausland und Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme

23. November 2019
Die Schweizer Sektion von Amnesty International (AICH) erachtet ein grundsätzliches Verbot bzw. zu-sätzliche Restriktionen von Auslandreisen für Asylsuchende und «vorläufig» Aufgenommene als zu starken und unverhältnismässigen Eingriff in die persönliche Freiheit und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Menschenrechtsorganisation lehnt die vorgesehenen Änderungen deshalb entschieden ab.

Personen mit einem Ausweis F verbleiben oft sehr lange als Schutzbedürftige in diesem Status und können nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Ihr Status kann daher de facto in vielen Fällen nicht als «vorläufig» bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund würde es sich im Hinblick auf eine Erleichterung der Integration aufdrängen, ihnen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Sozial-hilfe, zum Kantonswechsel und zu grundlegenden Rechten wie Familiennachzug und Reisefreiheit zu gewähren. Die vom Bundesrat präsentierten zusätzlichen Restriktionen betr. Auslandreisen gehen genau in die gegenteilige Richtung.

Auslandreisen werden Asylsuchenden und «vorläufig» Aufgenommenen bereits heute nur unter sehr restriktiven Bedingungen gestattet; AICH betrachtet bereits diese als problematisch. Mit den vorgesehenen grundsätzlichen Verboten bzw. Restriktionen würde nun sogar in Frage gestellt, ob eine vorläufig Aufgenommene der Beerdigung ihres Vaters im Heimatland beiwohnen, ein Asylsuchender seine im Sterben liegende Schwester in einem Drittstaat besuchen oder Kinder an Schulreisen oder Sportanlässen im nahen Ausland teilnehmen könnten. Damit greift der Vorschlag des Bundesrates insbesondere in das in der Verfassung und EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie in die Kinderrechte ein und stellt eine starke Einschränkung Bewegungsfreiheit dar.
Ein hinreichender Grund für diese schwerwiegenden Eingriffe ist nicht ersichtlich: Bereits heute dürfen nur vergleichsweise wenige Asylsuchende und «vorläufig» Aufgenommene ins Ausland reisen, und Missbräuche sind – gemessen an der Zahl der Asylsuchenden und «vorläufig» Aufgenommenen – eine Randerscheinung. Diese können zudem bereits heute durch Entzug der Bewilligung geahndet werden. Es besteht deshalb kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, in elementare Grundrechte aller Asylsuchenden und «vorläufig» Aufgenommener einzugreifen. Die vorgesehenen Reiseverbote bzw. –restriktionen sind daher als verfassungs- und völkerrechtswidrig sowie als unverhältnismässig zu bezeichnen.


AICH begrüsst es, dass erwerbstätige «vorläufig» Aufgenommene neu bei Erfüllen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Bewilligung eines Kantonswechsels haben sollen. Problematisch ist indes diesbezüglich das  Erfordernis vollumfänglicher Sozialhilfeunabhängigkeit, könnte doch gerade die Arbeitsaufnahme in einem anderen Kanton zum Austritt aus oder zur Reduktion der Abhängigkeit von Sozialhilfe führen.


AICH bedauert schliesslich, dass der Bundesrat keine weiteren Massnahmen im Hinblick auf eine erleichterte Integration «vorläufig» Aufgenommener vorsieht. Die Menschenrechtsorganisation denkt dabei insbesondere an eine längst fällige Erleichterung des Rechts auf Familiennachzug, aber auch an eine neue, realitätsgerechtere Bezeichnung des «Status F»: Gerade die de facto oft irreführende Bezeichnung «vorläufig» verhindert oft eine Integration in den Arbeitsmarkt; Bezeichnungen wie z.B. «humanitäre Aufnahme» wären realitätsgerechter und integrationsfreundlicher.

Für die detaillierte Kritik an den bundesrätlichen Vorschlägen zu den angesprochenen Änderungen im AIG und den konkreten Anträgen betr. die einzelnen Gesetzesartikel verweist AICH auf die Vernehmlassungsschrift der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH; diese ist als integraler Bestand-teil der Stellungnahme von AICH zu betrachten.