Der Rapper Pablo Hasél, den man 2014 wegen Verherrlichung des Terrorismus in seinen Youtube-Videos zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt hatte, wird momentan wegen seiner Songtexte und Tweets verfolgt.
Der Rapper Pablo Hasél, den man 2014 wegen Verherrlichung des Terrorismus in seinen Youtube-Videos zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt hatte, wird momentan wegen seiner Songtexte und Tweets verfolgt.

Spanien Antiterror-Gesetz führt zur Zensur von Kunst und Satire

Medienmitteilung 13. März 2018, London/Madrid/Bern – Medienkontakt
Wegen eines drakonischen Gesetzes, das die «Verherrlichung des Terrorismus» verbietet, werden immer mehr Menschen in Spanien strafrechtlich verfolgt. Die freie Meinungsäusserung im Netz sowie Kunst und Satire geraten ins Visier der Terror-Ermittler, wie ein Bericht von Amnesty International zeigt. Auch in anderen EU-Staaten und in der Schweiz drohen im Namen der Terrorbekämpfung schwere Eingriffe in die Grundrechte.

Der Bericht «Twittere... wenn Du es wagst: Wie Gesetze zur Terrorismusbekämpfung die Meinungsfreiheit in Spanien einschränken», zeigt auf, dass in Spanien zahlreiche normale Social Media-Nutzer, aber auch Künstlerinnen, Künstler und Medienschaffende aus Gründen der nationalen Sicherheit strafrechtlich verfolgt werden.

Das Vorgehen der Justiz hat eine abschreckende Wirkung: Menschen in Spanien haben zunehmend Angst, umstrittene Ansichten zu äussern oder kontroverse Witze zu machen. «Politische Satire wird kriminalisiert, Rapper werden für ihre Songtexte ins Gefängnis gesteckt. Das zeigt wie wenig heute in Spanien noch toleriert wird», sagt Esteban Beltrán, Direktor von Amnesty International Spanien.

«Menschen können strafrechtlich verfolgt werden, nur weil sie etwas sagen, twittern oder singen, das als geschmacklos oder schockierend angesehen wird. Das darf nicht sein! Spaniens weit gefasstes und vage formuliertes Terrorgesetz hat zur Folge, dass die freie Meinungsäusserung und die Freiheit der Kunst in Frage gestellt sind».

Artikel 578

Wer Terror «verherrlicht» oder «die Opfer des Terrorismus oder ihre Angehörigen demütigt», dem drohen gemäss Artikel 578 des spanischen Strafgesetzbuches Geldstrafe, Berufsverbot im öffentlichen Dienst und sogar Gefängnis. Die Zahl der nach diesem Artikel angeklagten Personen stieg von 3 im Jahr 2011 auf 39 im Jahr 2017. Allein in den letzten zwei Jahren wurden fast 70 Personen verurteilt.

Seit 2014 führten vier koordinierte Polizeieinsätze in Spanien – genannt «Spinnen-Operationen» – dazu, dass zahlreiche Personen verhaftet wurden, weil sie Nachrichten auf Social Media-Plattformen, vor allem auf Twitter und Facebook, veröffentlicht hatten.

Klima der Selbstzensur

Rechtsanwalt Arkaitz Terrón sagte Amnesty International, er sei wegen neun Tweets «wie ein Terrorist behandelt» worden. Er hatte auf Twitter unter anderem einen Witz über die Ermordung von Premierminister Luis Carrero Blanco durch die ETA während der Franco-Diktatur 1973 gemacht. Arkaitz Terrón wurde wegen «Verherrlichung des Terrorismus» angeklagt, später aber freigesprochen.

Ein anderer Mann, J.C.V., der wegen 13 Tweets zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, sagte zu Amnesty International: «Das Ziel der Behörden ist es, ein Klima der Selbstzensur in der Bevölkerung zu schaffen. Und sie hatten Erfolg mit mir.»

Cassandra Vera, eine 22-jährige Studentin, wurde 2017 zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil sie die Opfer des Terrorismus «erniedrigt» habe. Auch sie hatte auf Twitter Witze über Luis Carrero Blanco gemacht, der vor 44 Jahren durch eine Bombe der ETA getötet wurde, die sein Auto 20 Meter in den Himmel hob. «Die ETA hatte nicht nur eine Dienstwagen-Politik, sondern auch ein Raumfahrtprogramm», scherzte sie. Die Strafe führte zum Verlust ihres Universitätsstipendiums und sie erhielt für sieben Jahre Berufsverbot im öffentlichen Dienst.

Gefängnis für Rapper

Im Kampf gegen den Terror und zum Schutz der nationalen Sicherheit kann die Einschränkung der Meinungsfreiheit in bestimmten Fällen legitim sein. Das umfassende und vage formulierte Gesetz gegen die «Verherrlichung des Terrorismus» und die «Erniedrigung» seiner Opfer führt in Spanien jedoch auch zur Einschränkung der künstlerischen Freiheiten.

Im Dezember wurden zwölf Rapper des Kollektivs «La Insurgencia» zu jeweils mehr als zwei Jahren Gefängnis und Geldstrafen verurteilt. Der Vorwurf: Sie hätten die kommunistische Untergrundgruppe GRAPO «verherrlicht», eine Organisation, die – wie die ETA – heute gar nicht mehr aktiv ist. Auch andere Kultur- und Medienschaffende sind in Spanien wegen Artikel 578 ins Visier der Terror-Ermittler geraten.

Einschränkungen der Meinungsfreiheit auch in der Schweiz

Bis September 2018 soll europaweit eine EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung umgesetzt werden, welche unter anderem die «Verherrlichung» von Terror als Straftat taxiert. «Die Lehre aus Spanien muss lauten, dass vage definierte Terrorbestimmungen das Recht auf freie Meinungsäusserung ernsthaft gefährden», sagt Patrick Walder, verantwortlich für Sicherheit und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz.

Auch die Schweiz hat mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz ein weitgehendes Propaganda-Verbot für Terrorismus eingeführt, was in der Öffentlichkeit noch kaum bemerkt wurde. Das Nachrichtendienstgesetz, das seit September 2017 in Kraft ist, hält fest: Wer für eine verbotene Organisation oder «für ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert» wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft (Artikel 74).

«Verboten wird also nicht nur die direkte Aufforderung zu Gewalt, was zulässig ist, sondern auch Propaganda für die Ziele einer verbotenen Organisation, was problematisch ist. Denn die Ziele solcher Organisationen können durchaus legitime Anliegen sein, wie z.B. ein kurdischer Staat», sagt Patrick Walder. «Regierungen sollen die direkte Aufforderung zu Gewalt unter Strafe stellen. Aber sie dürfen die freie Meinungsäusserung nicht mit vagen Definitionen wie ‹Terror-Propaganda› kriminalisieren. Das Beispiel Spanien zeigt deutlich, wohin das führen kann.»

Das problematische Propaganda-Verbot soll neu auch im Strafgesetz eingeführt werden, zumindest fordert dies eine Parlamentarische Initiative (15.407), die im Parlament diskutiert wird. Das Verbot würde damit noch einmal massiv ausgeweitet. Auch das Gesetz über Polizeimassnahmen gegen sogenannte «Gefährder», das der Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt hat, basiert auf schwammigen Definitionen, die zu massiven Eingriffen in die Freiheitsrechte von Personen führen können, welche die Polizei für «potentiell gefährlich» hält.