Tausende versammelten sich in Istanbul zu Protestkundgebungen, als bekannt wurde, dass die Türkei die Istanbul Konvention verlassen will. © Amnesty International
Tausende versammelten sich in Istanbul zu Protestkundgebungen, als bekannt wurde, dass die Türkei die Istanbul Konvention verlassen will. © Amnesty International

Türkei Austritt aus der Istanbul-Konvention gefährdet Frauen und Mädchen

11. Mai 2021
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat im März den Austritt aus der Istanbul-Konvention beschlossen, die Frauen in der Türkei vor sexualisierter und häuslicher Gewalt schützt. Zum 10. Jahrestag der Konvention ist dies für den Schutz von Frauen und Mädchen ein fatales Signal.

Die ehemalige stellvertretende Direktorin der UN-Frauen, Lakshmi Puri, hatte die Istanbul-Konvention einst als «Goldstandard» für den Frauenrechtsschutz bezeichnet.  Der türkische Präsident Erdoğan sieht in ihr stattdessen einen Verstoss gegen «traditionelle Werte» und den Versuch «Homosexualität zu normalisieren».

Das «Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt», kurz Istanbul-Konvention, hat vor allem ein Ziel: Konsequent gegen Gewalt an Frauen und Mädchen vorzugehen. 

Die Konvention wurde am 11. Mai 2011 zur Unterzeichnung aufgelegt, 2014 trat sie in Kraft. Sie ist auf europäischer Ebene das erste juristisch bindende Instrument zum Schutz von Frauen und Mädchen gegen jede Form der Gewalt. Wegweisend ist sie unter anderem, weil sie Femizide, sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen als strukturelles, gesellschaftliches Problem betrachtet.

Die Türkei gehörte mit Österreich, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland und anderen Staaten zu den ersten, die den Vertrag 2011 unterzeichneten. Insgesamt 34 Staaten haben ihn inzwischen ratifiziert, so dass dessen Bestimmungen in nationale Gesetze und Strategien zum Schutz von Frauen umgesetzt werden können.

Dazu gehören beispielsweise bessere Beratungs- und Hilfsangebote, Schulungen und Weiterbildungen für Fachkräfte in sozialen Einrichtungen, für Richter*innen und Staatsanwält*innen sowie die Anpassung von Gesetzen und Definition, um zum Beispiel Fälle von sexueller Belästigung oder Stalking besser zu erfassen.

Dass die Türkei das Abkommen nun wieder verlässt, hat drastische Konsequenzen für den Schutz von Frauen und Mädchen im Land. Zahlreiche Frauenrechtsorganisation in der Türkei machen gegen den Austritt mobil.

«In der Türkei gab es bereits einen Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt. In einer Zeit, in der Frauen am dringendsten Schutz brauchten, unternimmt die Regierung genau das Gegenteil.» Elif Şafak, Schriftstellerin

Zunahme der Femizide

Die türkische Schriftstellerin Elif Şafak sprach im April in einem Interview des TIME-Magazin von einem grossen Rückschlag für die Frauenrechte im Land: «Es bricht mir das Herz, weil es in einem Moment passiert, in dem die Femizide zunehmen. In der Türkei gab es bereits einen Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt. In einer Zeit, in der Frauen am dringendsten Schutz brauchten, unternimmt die Regierung genau das Gegenteil.» 

Nach Angaben des türkischen Innenministeriums wurden 2020 insgesamt 266 Frauen durch geschlechtsspezifische Gewalt getötet. Frauenorganisationen gehen jedoch von weitaus höheren Zahlen aus.

Auch in anderen Staaten in Gefahr

Abwehrreflexe gegenüber der Konvention, welche angebliche «Gender-Ideologie» verbreite, zeigt nicht nur die türkische Regierung. Auch in anderen europäischen Staaten wie in Polen, Ungarn oder der Ukraine deuten Regierungen die Konvention als Angriff auf das «traditionelle Familienbild» um. Oftmals bemühen sie dabei LGBTI*-feindliche Argumente, um einen Austritt aus der Konvention zu rechtfertigen.