Der Bericht ‘Trampling humanity: Mass arrests, disappearances and torture since Iran’s 2019 November protests’ (PDF, englisch, 77 Seiten) enthält erschütternde Berichte von Dutzenden Protestierenden, Passantinnen und Passanten sowie weiteren Personen, die im Iran willkürlich inhaftiert oder zum Verschwinden gebracht wurden. Die Opfer wurden in der Haft wochen-, zum Teil monatelang von der Aussenwelt isoliert und erlitten schweren Formen der Folter und Misshandlung.
Nach den von Amnesty International gesammelten Informationen wurde Folter zur Bestrafung, Einschüchterung und Erniedrigung von Gefangenen eingesetzt; sie diente auch als Verhörtaktik, um selbstbelastende Aussagen und «Geständnisse» zu erpressen; die Gefolterten sollten nicht nur ihre Beteiligung an den Protesten zugeben, sondern auch Informationen liefern über ihre angeblichen Verbindungen zu Oppositionsgruppen, MenschenrechtsverteidigerInnen, JournalistInnen und Medien ausserhalb des Iran sowie zu ausländischen Regierungen.
Zeugnisse des Schreckens
Die Gefangenen gehören zu den 7000 Männern, Frauen und Kindern, die im Kontext der brutalen Unterdrückung der Proteste vom November 2019 festgenommen wurden. Amnesty International liegen die Namen und weitere Informationen von mehr als 500 Protestierenden und anderen Personen vor, darunter JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen, die in diesem Zusammenhang unfairen Verfahren ausgesetzt waren.
Amnesty International hat Interviews mit 60 Opfern von willkürlicher Festnahme, Verschwindenlassen, Folter und anderen Misshandlungen bzw. mit deren Verwandten oder engen Bekannten geführt. Die Organisation sprach zudem mit 2 Protestierenden, die sich versteckt halten, und 14 weiteren Personen, die Kenntnisse über das Geschehen hatten. Ausserdem lagen Amnesty schriftliche Stellungnahmen von hunderten Menschen im Iran vor. Es wurden ausserdem Videoaufnahmen, Stellungnahmen der Behörden und Gerichtsunterlagen analysiert.
Erzwungene «Geständnisse» unter brutaler Folter
Die Opfer wurden mit Kapuze oder Augenbinde vermummt, bevor man sie schlug, trat und/oder auspeitschte. Geschlagen wurden sie mit Stöcken, Gummischläuchen, Messern, Schlagstöcken und Kabeln.
Am häufigsten wurde berichtet, dass die Opfer mit Kapuze oder Augenbinde vermummt wurden, bevor man sie schlug, trat und/oder auspeitschte. Geschlagen wurden sie mit Stöcken, Gummischläuchen, Messern, Schlagstöcken und Kabeln. Die Opfer mussten schmerzhafte Positionen einnehmen – manchmal sogar hängend. Ihnen wurde Nahrung und Trinkwasser vorenthalten und sie verbrachten längere Zeit, manchmal Wochen oder sogar Monate, in Einzelhaft.
Amnesty International erhielt Informationen aus erster Quelle über Vernehmungsbeamte, die Gefangene entkleidet und mit kaltem Wasser besprühten hatten; Gefangene, darunter auch Kinder, wurden über einen längeren Zeitraum extremen Temperaturen und/oder Licht- oder Schallbombardements ausgesetzt; man zog ihnen gewaltsam die Nägel aus den Fingern oder Zehen, traktierte sie mit Pfefferspray oder verabreichte ihnen unter Zwang chemische Substanzen. Zudem wurde von Elektroschocks, Waterboarding und Scheinhinrichtungen berichtet – Methoden, die Foltermustern entsprechen, wie sie schon früher für den Iran dokumentiert wurden.
In allen von Amnesty International aufgedeckten Fällen waren die Betroffenen zudem verschiedenen Formen psychologischer Folter ausgesetzt worden. Gefangene mussten erniedrigende Beleidigungen und Obszönitäten anhören und man drohte ihnen damit, Familienangehörige zu inhaftieren, zu foltern, zu töten oder ihnen anderweitig Schaden zuzufügen. Sicherheitskräfte drohten Gefangenen, sie oder weibliche Angehörige zu vergewaltigen.
Zu den Opfern gehören sogar zehnjährige Kinder.
Zu den Opfern gehören sogar zehnjährige Kinder. Auch wurden Demonstrierende und PassantInnen mit Schussverletzungen aus Spitälern abgeführt und in der Haft misshandelt. Betroffen waren auch MenschenrechtsverteidigerInnen, JournalistInnen und Personen, die an Gedenkveranstaltungen für bei den Protesten Getötete teilgenommen hatten.
Hunderte Menschen wurden nach in höchstem Masse unfairen Prozessen zu Haft- und Prügelstrafen verurteilt, einige auch zum Tode. Die Verfahren fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter dem Vorsitz von voreingenommenen Richtern statt. Oft dauerten sie nicht einmal eine Stunde und basierten in den meisten Fällen auf durch Folter erlangten «Geständnissen».
Richter und Staatsanwaltschaft decken die Folter
«In den Tagen nach den Massenprotesten war die Welt über Videoaufnahmen schockiert, die zeigten, wie Irans Sicherheitskräfte vorsätzlich unbewaffnete Protestierende und Passanten töteten oder verletzten. Viel weniger sichtbar war die Liste der Grausamkeiten, die die iranischen Behörden an Gefangenen und deren Familien hinter verschlossenen Türen begingen», erklärt Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
«Anstatt die Vorwürfe über Fälle von Verschwindenlassen, Folter, andere Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen gegen Gefangene zu untersuchen, haben sich Angehörige der iranischen Staatsanwaltschaft an der Kampagne der Unterdrückung beteiligt: So wurden gegen Hunderte von Personen Anklagen wegen Verstössen gegen die nationale Sicherheit erhoben – dabei hatten sie lediglich ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen. Und die Richter fällten ihre Schuldsprüche auf Grundlage der unter Folter erpressten 'Geständnisse'.»
Propaganda-Videos im staatlichen Fernsehen
Diese lange Reihe an Verbrechen und Verstössen, die in uneingeschränkter Straflosigkeit begangen werden konnten, wurden von zahlreichen im Fernsehen gezeigten Propaganda-Videos von «Geständnissen» und grotesken Stellungnahmen hochrangiger Behördenvertreter begleitet, die den Geheimdienst und die Sicherheitskräfte für ihre Rolle beim brutalen Vorgehen gegen die Proteste lobten.
Im Fernsehen wurden Propaganda-Videos von «Geständnissen» gezeigt.
Die Haftstrafen gegen die Verurteilten lagen zwischen einem Monat und zehn Jahren, einige wurden zum Tod verurteilt. Die Schuldsprüche bezogen sich auf vage und fadenscheinige Anklagepunkte, darunter «Versammlung und Vereinbarung von Straftaten gegen die nationale Sicherheit«, «Verbreitung von Propaganda gegen das System», «Störung der öffentlichen Ordnung» oder «Beleidigung des Obersten Religionsführers».
Mindestens drei Angeklagte, Amirhossein Moradi, Mohammad Rajabi und Saeed Tamjidi, wurden wegen «Feindschaft zu Gott» (moharebeh) durch Vandalismusakte zum Tode verurteilt. Einem weiteren Angeklagten, Hossein Reyhani, droht ebenfalls die Todesstrafe.
Die Recherchen von Amnesty International haben ergeben, dass viele Inhaftierte über Wochen oder sogar Monate «verschwunden» waren, während sie in geheimen Einrichtungen der Sicherheitskräfte oder der Geheimdienste, einschliesslich des Geheimdienstministeriums und der Revolutionsgarden, festgehalten wurden. Andere Gefangene waren in überbelegten Gefängnissen oder Polizeiwachen, Militärkasernen, Sportstätten oder Schulen inhaftiert.
Die Behörden hätten sich geweigert, den Familien Informationen über das Schicksal oder den Verbleib ihrer Angehörigen zu geben.
Besorgte Familienangehörige erzählten Amnesty International, dass sie sich in Spitälern, Leichenschauhäusern, auf Polizeiwachen, bei der Staatsanwaltschaft und Gerichten sowie Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen nach ihren vermissten Verwandten erkundigten. Die Behörden hätten sich allerdings geweigert, ihnen Informationen über das Schicksal oder den Verbleib ihrer Angehörigen zu geben. Stattdessen habe man ihnen gedroht, sie festzunehmen, falls sie sich weiter erkundigten oder die Fälle öffentlich machten.
Amnesty fordert Stellungsbezug und Untersuchung der Uno
Amnesty International fordert die Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats und das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte auf, gegen die anhaltende systematische Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen im Iran vorzugehen. Dazu gehört auch die Unterstützung einer von den Vereinten Nationen geleiteten Untersuchung, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen ermittelt und vor Gericht gestellt werden und sich solche Taten nicht wiederholen.