Attackierte Schule in Yemen © Amnesty International
Attackierte Schule in Yemen © Amnesty International

Jemen Strafgerichtshof muss Beteiligung von Rüstungsfirmen an Kriegsverbrechen untersuchen

Medienmitteilung 12. Dezember 2019, London/Bern – Medienkontakt
Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) muss die Rolle von europäischen Rüstungsfirmen bei Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht, die Kriegsverbrechen darstellen könnten, untersuchen. Mit dieser Forderung schliesst sich Amnesty International einem offiziellen Antrag des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) an den ICC an.

Mit der Unterstützung von fünf NGOs hat das ECCHR der Anklagebehörde des ICC ein 300-seitiges Schreiben und entsprechendes Beweismaterial vorgelegt. Darin wird der internationale Strafgerichtshof aufgefordert zu untersuchen, ob hochrangige Vertreterinnen und Vertreter sowohl europäischer Unternehmen als auch Regierungen strafrechtlich für die Lieferung von Waffen verantwortlich sein könnten, die von Mitgliedern der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführten Koalition bei möglichen Kriegsverbrechen im Jemen verwendet wurden. Das ECCHR fordert insbesondere eine Untersuchung der möglichen Beteiligung von Rüstungsfirmen an 26 Luftangriffen, bei denen rechtswidrig Zivilpersonen getötet oder verletzt und Schulen, Spitäler und andere geschützte Objekte zerstört oder beschädigt wurden.

«Eine Untersuchung durch den ICC wäre ein historischer Schritt, um Rüstungsfirmen und ihre Führungsriegen für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft zu ziehen. Schliesslich ist jeder, der an dem Verkauf von Waffen an die von Saudi-Arabien angeführte Koalition beteiligt ist, mitverantwortlich dafür, wie diese Waffen eingesetzt werden. Dazu gehören sowohl Führungskräfte in den Unternehmen als auch Angehörige der Regierungen», sagte Patrick Wilcken, Experte für Rüstungshandelskontrolle bei Amnesty International. «Die Anklagebehörde des ICC kann deutlich machen, dass sie Unternehmen für eine Beteiligung an diesen schweren Verbrechen zur Rechenschaft ziehen wird.»

Eklatanter Verstoss gegen Waffenhandelsabkommen 

Trotz der Fülle an Beweisen, dass in den fast fünf Jahren des Konflikts im Jemen schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, setzen einige europäische Staaten ihre Rüstungsexporte an Mitglieder der Koalition, die Schulen, Häuser und Spitäler bombardiert hat, weiter fort. Diese Exporte stellen einen eklatanten Verstoss gegen das internationale Waffenhandelsabkommen sowie gegen europäische und nationale Gesetze dar.

Für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen sind die Regierungen verantwortlich, und viele Rüstungsunternehmen sehen sich dadurch von der Verantwortung befreit. Eine Genehmigung durch die Regierung entbindet die Unternehmen jedoch nicht davon, ihrer eigenen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit nachzukommen, auch indem sie keine Waffen exportieren, die für Verbrechen nach dem Völkerrecht eingesetzt werden könnten.

Strafgerichtshof eingeschaltet

«Jede Führungskraft kann in der Zeitung nachlesen, dass einige europäische Regierungen in der Einschätzung des Risikos für die Menschenrechte katastrophal versagt haben», sagt Patrick Wilcken. «Die Unternehmen hatten reichlich Zeit und Zugang zu vielen zuverlässigen Informationen, um ihre Entscheidungen zur Belieferung der Koalition vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse im Jemen neu zu bewerten. Sich hinter fehlerhaften Regierungsentscheidungen zu verstecken, funktioniert nicht – jetzt könnten sie vor einem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden.»

Die Mitteilung konzentriert sich auf die Rolle der folgenden Unternehmen: Airbus Defence and Space S.A. (Spanien), Airbus Defence and Space GmbH (Deutschland), BAE Systems Plc. (UK), Dassault Aviation S.A. (Frankreich), Leonardo S.p.A. (Italien), MBDA UK Ldt. (UK), MBDA France S.A.S. (Frankreich), Raytheon Systems Ltd. (UK), die Rheinmetall AG (Deutschland) über ihre Tochtergesellschaft RWM Italia S.p.A. (Italien) und Thales France.

Hintergrundinformationen

Das ECCHR und seine Partner (Mwatana for Human Rights, Amnesty International, Campaign Against Arms Trade – CAAT, Centre Delàs und Rete Disarmo) fordern die Anklagebehörde des ICC auf, die Verantwortung hochrangiger Führungskräfte in den Unternehmen und den für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen zuständigen Behörden hinsichtlich einer möglichen Beteiligung an diesen mutmasslichen Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen.

Das Dokument des ECCHR nennt vor allem Unternehmen aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Grossbritannien, die den grössten europäischen Anteil an den Rüstungsexporten an die Koalition haben. Das Dokument liefert sachliche Informationen zu 26 Luftangriffen – auf Wohngebäude, Schulen, Spitäler, ein Museum und Weltkulturerbestätten –, die nach dem Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Kriegsverbrechen darstellen könnten.

Der ICC kann seine strafrechtliche Zuständigkeit für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die in einem Gebiet begangen werden, das der Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaats unterliegt (alle EU-Staaten und die Schweiz sind Vertragsparteien des Römer Statuts), oder für dessen Staatsangehörige ausüben, wo immer Verbrechen begangen werden.