© Amnesty International
© Amnesty International

Saudi-Arabien Sonderstrafgericht unterdrückt kritische Stimmen

Medienmitteilung 6. Februar 2020, London/Bern – Medienkontakt
Ein neuer Bericht von Amnesty International deckt auf, wie ein Sonderstrafgericht in Saudi-Arabien systematisch kritische Stimmen zum Schweigen bringt. Menschenrechtsverteidiger, Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Reformbefürworter, Aktivistinnen und Angehörige der schiitischen Minderheit werden in unfairen Verfahren zu langen Haftstrafen oder gar zum Tod verurteilt. Grundlage sind oft vage Terrorismus- oder Cyberkriminalitätsvorwürfe.

Das Sonderstrafgericht (Specialized Criminal Court, SCC) wurde im Oktober 2008 eingerichtet, um Personen den Prozess zu machen, denen terrorismusbezogene Straftaten vorgeworfen werden. Seit 2011 wird das Sonderstrafgericht systematisch dazu genutzt, Menschen auf der Grundlage vager Anklagen vor Gericht zu stellen, wobei friedliche politische Aktivitäten oftmals mit terrorismusbezogenen Straftaten gleichgesetzt werden. Das Anti-Terrorgesetz beinhaltet unangemessen weit gefasste und vage Definitionen der Begriffe «Terrorismus» und «terroristische Straftat» und enthält Bestimmungen, mit denen die friedliche Meinungsäusserung kriminalisiert wird.

Friedliche politische Aktivitäten werden oftmals mit terrorismusbezogenen Straftaten gleichgesetzt.

«Die saudische Regierung instrumentalisiert das SCC, um ihrem Missbrauch der Anti-Terrorgesetze zur Unterdrückung von Kritikerinnen und Kritikern den Anstrich der Legalität zu geben. Aber in jeder Verfahrensphase des SCC kommt es zu Menschenrechtsverstössen. Das fängt damit an, dass die Angeklagten keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand und keinen Kontakt zur Aussenwelt haben und endet damit, dass sie schliesslich aufgrund von ‹Geständnissen› verurteilt werden, die unter Folter erzwungenen wurden», so Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Die reformfreundliche Rhetorik der Regierung, die seit der Ernennung des Kronprinzen Mohammed bin Salman an Fahrt aufgenommen hat, deckt sich nicht mit der tatsächlichen Menschenrechtslage im Land. «Unsere Recherchen zeigen, dass in Saudi-Arabien trotz aller Bemühungen, sich in einem frischen und reformfreundlichen Licht zu zeigen, Gerichte wie das SCC von der Regierung als Repressionsinstrument gegen diejenigen eingesetzt werden, die mutig genug sind, anderslautende Meinungen zu äussern», sagt Heba Morayef weiter.

Unfaire Gerichtsverfahren zur Unterdrückung friedlicher Stimmen

Amnesty International hat in ihrem neuen Bericht «Muzzling critical voices: Politicized trials before Saudi Arabia’s Specialized Criminal Court» acht SCC-Verfahren gegen insgesamt 95 Personen untersucht: 27 Personen, die aufgrund ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit und der Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit strafverfolgt wurden, sowie 68 schiitische Angeklagte, von denen die meisten wegen ihrer Beteiligung an regierungskritischen Demonstrationen vor Gericht standen. In allen Fällen kam Amnesty International zum Schluss, dass die Prozesse nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen.

Mindestens 20 Schiiten sind vor dem SCC auf der Basis solcher «Geständnisse» zum Tode verurteilt worden, und 17 dieser Todesurteile wurden bereits vollstreckt. Auch unabhängige Stimmen in Saudi-Arabien wie z. B. MenschenrechtlerInnen, SchriftstellerInnen oder Geistliche verbüssen entweder lange Haftstrafen, zu denen sie vom SCC oder anderen Gerichten verurteilt wurden. So sind beispielsweise alle elf Gründungsmitglieder der saudi-arabischen Organisation für bürgerliche und politische Rechte (ACPRA) wegen ihrer Menschenrechtsarbeit vor Gericht gestellt und verurteilt worden.

Dringender Reformbedarf

Amnesty International fordert die umgehende und bedingungslose Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen sowie eine grundlegende Reform des SCC, damit sichergestellt wird, dass die Verfahren fair sind und die Angeklagten vor willkürlicher Inhaftierung sowie vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden. Darüber hinaus müssen alle von Inhaftierten erhobenen Folter- und Misshandlungsvorwürfe unabhängig untersucht werden. Menschen, die Opfer von Folter oder anderen Menschenrechtsverletzungen wurden, müssen vollumfänglich entschädigt werden.

«Wenn der König und der Kronprinz zeigen wollen, dass es ihnen mit den Reformen wirklich ernst ist, dann sollten sie alle gewaltlosen politischen Gefangenen umgehend und bedingungslos freilassen.» Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

«Wenn der König und der Kronprinz zeigen wollen, dass es ihnen mit den Reformen wirklich ernst ist, dann sollten sie als ersten Schritt alle gewaltlosen politischen Gefangenen umgehend und bedingungslos freilassen und dafür sorgen, dass ihre Schuldsprüche und Strafen aufgehoben werden. Ausserdem sollten sie ein offizielles Hinrichtungsmoratorium verhängen mit dem Ziel, die Todesstrafe ganz abzuschaffen», fordert Heba Morayef.

Im März und September 2019 verabschiedete der Uno-Menschenrechtsrat Stellungnahmen zu Saudi-Arabien, in denen eine Reihe von Punkten für wichtige menschenrechtliche Reformen angeführt werden. Die Schweiz war nicht dabei. Von den Reformpunkten ist bisher jedoch noch kein einziger umgesetzt worden. Die Mitglieder des Menschenrechtsrats müssen dafür sorgen, dass die Lage weiterhin überwacht wird, u.a. durch einen Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus zur Menschenrechtslage.