© Amnesty International / Dominika Ożyńska
© Amnesty International / Dominika Ożyńska

Syrien Geheimdienste foltern zurückgekehrte Flüchtlinge

Medienmitteilung 7. September 2021, London/Bern – Medienkontakt
Syrische Geheimdienste haben zurückgekehrte Flüchtlinge inhaftiert, gefoltert und verschwinden lassen – das dokumentiert ein Bericht von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation fordert die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, Menschen aus Syrien internationalen Schutz zu gewähren und keine Abschiebungen nach Syrien durchzuführen.

Syrische Geheimdienste haben Syrer*innen, die nach ihrer Flucht in ihre Heimat zurückgekehrt sind, inhaftiert, gefoltert und verschwinden lassen, schreibt Amnesty International im Bericht «You're going to your death» – Violations against syrian refugees returning to Syria (PDF 51 Seiten englisch).  Dokumentiert werden darin schwerste Menschenrechtsverletzungen, die syrische Geheimdienstangehörige an 66 Zurückgekehrten, darunter 13 Kinder, begangen haben. Neben sexualisierter Gewalt und anderen Misshandlungen dokumentierte Amnesty International fünf Todesfälle; in weiteren 17 Fällen ist der Verbleib der Menschen bis heute unbekannt.

Die Kämpfe in Syrien haben in den letzten drei Jahren deutlich abgenommen und die syrische Regierung kontrolliert inzwischen mehr als 70 % des Landes. Vor diesem Hintergrund haben die syrischen Behörden Geflüchtete öffentlich zur Rückkehr aufgefordert. Viele Aufnahmeländer haben angefangen, den Schutzstatus für Menschen aus Syrien in Frage zu stellen.

In Deutschland wurde der Abschiebungsstopp nach Syrien bereits Ende 2020 nicht verlängert. In Dänemark sitzen Syrer*innen in Abschiebungshaft, nachdem ihr Schutzstatus widerrufen wurde. Im Libanon und in der Türkei, wo Flüchtlinge unter prekären Bedingungen leben und Diskriminierung ausgesetzt sind, üben die Regierungen zunehmend Druck auf Syrer*innen aus, damit sie zurückkehren.

«Die militärischen Feindseligkeiten mögen nachgelassen haben, aber die massiven Menschenrechtsverletzungen der syrischen Regierung sind weiterhin an der Tagesordnung. Folter, Verschwindenlassen und willkürliche oder unrechtmässige Inhaftierungen, die viele Syrer*innen dazu gezwungen haben, im Ausland Asyl zu suchen, sind in Syrien nach wie vor weit verbreitet. Darüber hinaus reicht allein die Tatsache, aus dem Land geflohen zu sein, um von den Behörden ins Visier genommen zu werden», sagte Marie Forestier, Expertin für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen bei Amnesty International.

In dem neuen Bericht dokumentiert Amnesty International schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung an Flüchtlingen, die zwischen Mitte 2017 und Frühjahr 2021 aus dem Libanon, Rukban (einer informellen Siedlung zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze), Frankreich, Deutschland, der Türkei, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Syrien zurückgekehrt sind. Die Untersuchung basiert auf Interviews mit 41 Syrer*innen, darunter Rückkehrende und deren Angehörige sowie mit Anwält*innen, Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen und weiteren Syrien-Expert*innen.

Folter und Verschwindenlassen

Amnesty International dokumentierte 14 Fälle von sexualisierter Gewalt durch Sicherheitskräfte. In sieben Fällen handelte es sich um Vergewaltigungen, betroffen waren fünf Frauen, ein Teenager und ein fünfjähriges Mädchen. Die Sicherheitskräfte verübten die sexualisierten Gewalttaten an Grenzübergängen oder in Hafteinrichtungen bei Verhören.

Insgesamt dokumentierte Amnesty International 59 Fälle von Männern, Frauen und Kindern, die nach ihrer Rückkehr in Syrien willkürlich festgenommen wurden, meist aufgrund von weit gefassten Terrorismus-Anschuldigungen. 33 Menschen wurden in Haft oder während eines Verhörs gefoltert oder anderweitig misshandelt. Geheimdienstangehörige setzten Folter ein, um die Gefangenen zu Geständnissen zu zwingen und um sie für vermeintlich begangene Straftaten oder angebliche Opposition gegen die Regierung zu bestrafen.

Amnesty International dokumentierte ausserdem 27 Fälle von Verschwindenlassen. In fünf davon wurden die Familienangehörigen schliesslich informiert, dass ihre Angehörigen in Haft gestorben waren. Fünf weitere Personen wurden freigelassen. Der Verbleib der anderen 17 Menschen ist nach wie vor unbekannt. In 27 dokumentierten Fällen wurden Rückkehrende festgehalten, um Lösegeld zu erpressen. Durchschnittlich bezahlten Angehörige zwischen drei und fünf Millionen syrische Pfund (das entspricht 1000 bis 1800 Schweizer Franken) für ihre Freilassung.

Nirgends in Syrien ist es sicher

Anhand der im neuen Bericht dokumentierten Forschungsergebnisse kommt Amnesty International zum Schluss, dass es für Rückkehrende nirgendwo in Syrien sicher ist. Diejenigen, die Syrien seit Beginn des Konflikts verlassen haben, sind einem hohen Risiko ausgesetzt, nach ihrer Rückkehr verfolgt zu werden – sei es aufgrund der ihnen zugeschriebenen politischen Ansichten oder als Strafe dafür, dass sie aus dem Land geflohen sind.

«Die Assad-Regierung versucht, Syrien als ein Land im Aufschwung darzustellen. In Wirklichkeit begehen die syrischen Behörden nach wie vor systematisch Menschenrechtsverletzungen», sagte Marie Forestier. «Wir fordern die europäischen Regierungen auf, Menschen aus Syrien den Flüchtlingsstatus zu gewähren und sofort jede Praxis einzustellen, die Schutzsuchende direkt oder indirekt zur Rückkehr nach Syrien zwingt. Auch die Regierungen des Libanon, der Türkei und Jordaniens müssen im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen syrische Flüchtlinge vor Abschiebung oder anderen erzwungenen Rückführungsmassnahmen schützen. Jede Regierung, die behauptet, Syrien sei jetzt sicher, ignoriert vorsätzlich die schreckliche Situation vor Ort und lässt die Flüchtlinge erneut um ihr Leben fürchten.»