«Nur ein toter Muslim ist ein guter Muslim». «Hitler hätte euch alle vergasen sollen». Das sind Beispiele öffentlicher Aufrufe zu Hass gegen religiöse Minderheiten, die in den letzten Jahren in der Schweiz zu einer Verurteilung aufgrund der Anti-Rassismus-Strafnorm geführt haben. Hätten sich die Aussagen gegen Schwule, Lesben oder Bisexuelle gerichtet, wären sie wohl straffrei geblieben. Denn die öffentliche Herabwürdigung und Aufrufe zu Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung werden vom Schweizer Strafrecht bisher nicht erfasst. Dieser völlig fehlende Schutz vor «Hate speech» ist einer der Hauptgründe, weshalb die Schweiz im Ranking der LGBTI-Freundlichkeit auf Rang 27 unter 49 Ländern in Europa zurückgefallen ist. Diese Rangliste wird alljährlich von der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) ermittelt. In den meisten europäischen Ländern sind Hass und Hetze gegen LGBTI längst strafbar, in der Schweiz aber nicht.
Abstimmung über die Schliessung einer Gesetzeslücke
Bundesrat und Parlament wollen dies nun endlich ändern und die Anti-Rassismus-Strafnorm auf Aufrufe zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung ausweiten. Leider hat der Ständerat dabei entschieden, diese Erweiterung nicht auch auf die geschlechtliche Identität anzuwenden, womit beispielsweise Transmenschen der Schutz versagt bleibt. Nichtsdestotrotz hat ein freikirchlich geprägtes Komitee das Referendum ergriffen. Deshalb stimmen wir am kommenden 9. Februar 2020 nun darüber ab, ob Lesben, Schwule und Bisexuelle vor Hass und Hetze geschützt sein sollen – wie dies für religiöse oder ethnische Minderheiten bereits heute selbstverständlich ist.
Hetze ist durch Meinungsfreiheit nicht geschützt
Das Referendumskomitee beruft sich vordergründig auf die Meinungsfreiheit. Es verschweigt dabei jedoch, dass es bei der neuen Strafnorm ausschliesslich um öffentliche Aufrufe zu Hass und Gewalt, die pauschale Herabsetzung und Diskriminierung und damit die Verletzung der Menschenwürde geht. Kontroverse Diskussionen und kritische Meinungen etwa zur Frage der Heirat von Schwulen, Lesben und Bisexuellen sind in keiner Weise tangiert. Auch der Hinweis des Referendumskomitees, dass tätliche Angriffe auf Einzelpersonen ja schon heute strafbar seien, zielt ins Leere: Denn gerade die Tatsache, dass öffentliche Aufrufe zu Hass, Diskriminierung und Gewalt ungestraft bleiben, bereiten tätlichen Angriffen den Boden.
Ein «Ja» ist ein menschenrechtliches Gebot
Die Lage ist aus menschenrechtlicher Sicht also klar: Aufrufe zu Hass und Diskriminierung sind Verstösse gegen die Menschenrechte der Betroffenen und nicht Ausdruck der Meinungsäusserungsfreiheit. «Hate speech» verletzt das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Bundesverfassung statuierte Diskriminierungsverbot sowie den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde. Im Extremfall kann sogar das elementarste Menschenrecht, das Recht auf Leben, betroffen sein. Folgerichtigerweise enthalten die grundlegenden internationalen Menschenrechtsverträge (EMRK und der Uno-Pakt über politische und zivile Rechte) die Grundregel eines Verbots des Missbrauchs der Rechte: Niemand darf sich auf ein Recht, zum Beispiel die Meinungsfreiheit, berufen, um Grundrechte anderer zu abzuschaffen oder einzuschränken.
Keine «Sonderrechte»
Es geht auch nicht um die Einführung von «Sonderrechten» für LGBTI+ (wie dies ein LGBTI-Komitee «Sonderrechte Nein!» behauptet), sondern um Schliessung einer menschenrechtswidrigen Gesetzeslücke und damit um die Abschaffung eines fatalen «Sonderfalles» Schweiz: Ein Sonderfall, der grundlegende Menschenrechte verletzt. Ein Sonderfall dahingehend, dass Aufrufe zu Hass und Diskriminierung zwar (zu Recht) strafbar sind, wenn sie gegen ethnische und religiöse Identitäten zielen, aber nicht unter Strafe fallen, wenn sie sich gegen eine bestimmte sexuelle Orientierung richten. Es ist höchste Zeit, dies zu ändern durch ein entschiedenes «Ja¨» am 9. Februar!
Amnesty Schweiz hat sich bereits anlässlich ihrer Jahresversammlung 2019 mit einer Resolution für die geplante Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung ausgesprochen und unterstützt zusammen mit Queeramnesty das Abstimmungskomitee «Ja zum Schutz vor Hass!»
Ja zum Schutz vor Hass: Zu den Argumenten im Detail
(Argumentarium des Komitees «Ja zum Schutz vor Hass»)
Darüber stimmen wir ab
Am 9. Februar 2020 stimmen wir über die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm um die sexuelle Orientierung ab. Es geht darum, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle einen Schutz vor Hass, Hetze und Diskriminierung erhalten. Die Erweiterung des Strafartikels gegen Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG) um das Kriterium «sexuelle Orientierung» wurde im Dezember 2018 von National- und Ständerat beschlossen. Wer heute in der Schweiz zu Hass und Hetze gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle als gesamte Gruppe aufruft oder Lesben, Schwule und Bisexuelle diskriminiert, kann dafür nicht belangt werden. Durch die Erweiterung wird es möglich, Hetze gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle zu bekämpfen – so wie bereits heute nicht zu Hass aufgrund der Religion oder der Hautfarbe aufgerufen werden darf.
Wo greift der Schutz vor Hass? – Beispiele
- Lesben werden als krank bezeichnet: Wenn in Broschüren oder auf einer öffentlichen Facebook-Seite die Haltung verbreitet wird, alle Lesben seien krank und müssten von einem Mann vergewaltigt werden, um auf den «richtigen Weg» zu finden, ist das heute nicht in jedem Fall strafbar. Darum braucht es den Schutz vor Hass, denn Hass ist keine Meinung. Gerade lesbische, schwule oder bisexuelle Jugendliche leiden unter solchen Vorstellungen – die Suizidrate dieser Gruppe ist rund fünfmal höher als bei heterosexuellen Jugendlichen.
- Schwules Paar mit Kindern wird abgewiesen: Wenn dem Kind von einem schwulen Paar die Aufnahme in einer Spielgruppe verweigert wird, weil seine Eltern schwul sind, gibt es heute keine Möglichkeit rechtlich dagegen vorzugehen. Darum braucht es den Schutz vor Diskriminierung. Denn hier schadet die Diskriminierung hier nicht nur den beiden schwulen Vätern, sondern auch dem Kind.
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Bisexuelle werden nicht bedient: Wenn ein Restaurant-Betreiber gut sichtbar auf ein Schild vor dem Restaurant schreibt: «Wir bedienen weder bisexuellen Sexmonster, noch homosexuelle Pädo-Grüsel», gibt es heute keine Möglichkeit rechtlich dagegen vorzugehen. Darum braucht es den Schutz vor Hass. Es steht dem Restaurantbetreiber immer noch frei, gewisse Einzelpersonen nicht zu bedienen – egal ob lesbisch, schwul, bi- oder heterosexuell –, aber solche Aussagen verbreiten ein Klima des Hasses und der Diskriminierung.
Was stimmt wirklich?
- Angriff auf die Meinungsfreiheit? Nein. Die Meinungsfreiheit wird durch die Erweiterung der Anti-Rassimusstrafnorm keineswegs eingeschränkt. Kontroverse Debatte und kritische Meinungen sind weiterhin möglich. Strafbar werden soll gemäss Abstimmungsvorlage der öffentliche Aufruf zu Hass und Diskriminierung bzw. die systematische Herabsetzung und Verleumdung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Was ein Mensch denkt oder auch einmal in seinem Freundeskreis oder am Stammtisch äussert, fällt nicht unter die erweiterte Strafnorm. In der Verfassung wird nicht nur die Meinungsfreiheit gewährleistet, sondern auch die Menschenwürde. Wer gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle hetzt, verletzt damit die Menschenwürde und sät Hass – und Hass ist keine Meinung. Die beiden Grundrechte Meinungsfreiheit und Menschenwürde werden bei einer juristischen Auseinandersetzung gegeneinander abgewogen.
- Angriff auf die Glaubensfreiheit? Nein. Die Glaubensfreiheit ist in der Schweiz ein hohes Gut und diese ist weiterhin gewährleistet. Eine Diskussion über die Bedeutung der Bibel oder einzelne Bibelstellen wird nach wie vor möglich sein. Dafür dürfen auch kontroverse Bibelstellen zitiert werden. Ebenso genügen allgemein gehaltene kritische Äusserungen über bestimmte sexuelle Orientierungen nicht für eine Strafverfolgung oder Verurteilung. Strafbar werden jedoch Aufrufe zu Hass und Diskriminierung gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle. Doch das hat weder was mit christlicher Nächstenliebe, noch mit Religions- oder Glaubensfreiheit zu tun.
- Schutz vor Hass als unnötiges Sonderrecht? Nein. Mit dem Schutz vor Hass werden keine Sonderrechte für Lesben, Schwule und Bisexuelle geschaffen. Sie sollen lediglich denselben Schutz erhalten, wie er bereits zum Beispiel für jüdische Menschen besteht. Die Aufnahme des Kriteriums sexuelle Orientierung in die Schutznorm entspringt nicht politischen Befindlichkeiten und dient auch nicht politischen Zwecken. Es geht nämlich darum, für gleiche Sachverhalte gleiche rechtliche Verhältnisse zu schaffen. Der Schutz vor Hass ist ein Mittel, um die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen mit der gesellschaftlichen Mehrheit zu erreichen.
- Heutige Gesetze reichen aus? Nein. Wenn eine Person tätlich angegriffen oder persönlich beleidigt wird aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, kann sie sich heute tatsächlich bereits rechtlich wehren – doch dann ist es zu spät. Aufrufe zu Hass und Hetze, die schlussendlich zu diesen Angriffen führen, sind jedoch bis heute unverständlicherweise nicht strafbar. Sobald also nicht gegen eine Einzelperson, sondern eine ganze Gruppe, wie «die Lesben», «die Schwulen» oder «die Bisexuellen» gehetzt wird, reichen die heutigen Gesetze nicht aus.
- «Sexuelle Orientierung» ist unklar definiert? Nein. Der Begriff «sexuelle Orientierung» ist durch die Yogyakarta-Prinzipien international anerkannt definiert und ist allgemein gebräuchlich. In diversen kantonalen und kommunalen Gesetzen, sowie in anderen Ländern hat der Begriff auch Eingang gefunden: «Unter sexueller Orientierung versteht man die Fähigkeit eines Menschen, sich emotional und sexuell intensiv zu Personen desselben (homosexuell) oder eines anderen Geschlechts (heterosexuell) oder mehr als eines Geschlechts (bisexuell) hingezogen zu fühlen und vertraute und sexuelle Beziehungen mit Ihnen zu führen»