©Jonas Persson
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Sexuelle Gewalt Übersicht: Das Zustimmungs-Prinzip in europäischen Gesetzgebungen

05. Dezember 2022
Amnesty International hat die Vergewaltigungsgesetzgebung von 31 europäischen Ländern unter die Lupe genommen und kommt zum Schluss, dass unterdessen 14 Staaten Sex ohne Einwilligung als Vergewaltigung definieren: Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Island, Kroatien, Luxemburg, Malta, Schweden, Slovenien, Spanien, das Vereinigte Königreich (UK) und Zypern.

Sex ohne Einwilligung ist Vergewaltigung. So einfach ist es – es gibt keine «Grauzonen». Es handelt sich um eine Vergewaltigung, auch wenn die betroffene Person unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht, auch wenn sie sich freiwillig zur Tatperson nach Hause begeben hat oder freizügige Kleidung getragen hat. Und es bleibt eine Vergewaltigung, auch wenn das Opfer nicht klar «Nein» gesagt oder sich nicht gewehrt hat.

Unterdessen definieren 14 von 31 europäischen Ländern, die Amnesty International untersucht hat, Sex ohne Einwilligung als Vergewaltigung, nämlich: Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Island, Kroatien, Luxemburg, Malta, Schweden, Slowenien, Spanien, das Vereinigte Königreich (UK) und Zypern. Andere Staaten wie die Niederlande und die Schweiz ziehen ebenfalls eine Revision ihrer veralteten Gesetze in Betracht, um den Tatbestand der Vergewaltigung auf der Grundlage fehlenden Einverständnisses zu definieren, anstatt auf Zwang oder Nötigung.

Artikelübersicht: #LetsTalkAboutYes, Dänemark, Schweden, Griechenland, Island, Spanien, NiederlandeWeshalb ist eine Änderung der Vergewaltigungsgesetzgebung so wichtig?

#LetsTalkAboutYes

Damit eine Straftat als Vergewaltigung anerkannt wird, setzt das Gesetz in vielen europäischen Länder noch immer Nötigung, Gewaltanwendung bzw. Androhung von Gewalt voraus – oder die Unmöglichkeit, sich zu verteidigen. Die meisten Fälle von Vergewaltigung entsprechen jedoch nicht den bekannten Stereotypen, etwa «Angriff eines Fremden, der plötzlich aus dem Gebüsch heraustritt». Stattdessen werden Frauen und Mädchen häufig von einem Freund oder Partner vergewaltigt, und in vielen Fällen erleben sie dabei eine Schockstarre und sind wie gelähmt, weshalb die Tatperson oft gar keine weitere körperliche Gewalt anwenden muss.

Dank zahlreicher mutiger Frauen, die sich trauen, von ihren Erlebnissen zu berichten, und die sich öffentlich für einen Wandel einsetzen, verändern sich jedoch nach und nach die Denkweisen – und die Gesetze – in ganz Europa. Jüngst haben Finnland und Spanien ihr Sexualstrafrecht reformiert und den Tatbestand der Vergewaltigung über die fehlende Einwilligung definiert. Davor hatten jüngst Slowenien und Dänemark ähnliche Gesetzesänderungen umgesetzt.

Amnesty International koordiniert unter dem Namen #LetsTalkAboutYes eine europaweite Kampagne für eine neue Vergewaltigungsdefinition. Wir unterstützen Aktivist*innen in ganz Europa und helfen mit, Druck auf die Regierungen auszuüben, damit sie ihr Sexualstrafrecht ändern.

Nachfolgend soll über die Situation in einigen europäischen Ländern informiert werden, in denen in den letzten fünf Jahren dank entschlossener Kampagnen, die oft von den Betroffenen selbst angeführt wurden, die Gesetze über die Vergewaltigung geändert wurden.

Dänemark

Am 17. Dezember 2020 verabschiedete das dänische Parlament ein Gesetz, das Sex ohne Zustimmung als Vergewaltigung anerkennt –, nachdem Frauenrechts- und Opfervereinigungen, unterstützt von Amnesty International, jahrelang dafür gekämpft hatten. Ermöglicht wurde das Gesetz durch eine im September erzielte überparteiliche Einigung zur Änderung des Strafgesetzbuches.

Das neue Gesetz, das Vergewaltigung rechtlich als nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehr definiert, ist ein historischer Sieg für die Menschenrechte. In einem 2019 veröffentlichten Bericht legte Amnesty dar, mit welchen Hindernissen Frauen in Dänemark konfrontiert sind, wenn sie gerichtlich gegen Vergewaltigung vorgehen wollen.

Laut Anna Błuś, Forscherin zu Frauenrechten bei Amnesty International, haben die Aktivist*innen jahrelang für diesen Moment gekämpft. Mit der Gesetzesreform soll sichergestellt werden, dass die sexuelle Selbstbestimmung jedes Menschen in Dänemark respektiert und geschützt wird.

«Die Gesetzesänderung ist ein riesiger positiver Schritt, der jedoch von institutionellem und gesellschaftlichem Wandel begleitet werden muss, ergänzt durch eine umfassende Aufklärung über Sexualität und Beziehungen und was sexuelle Zustimmung bedeutet. Wir sind zuversichtlich, dass Dänemark angeführt durch direkt Betroffene es schaffen kann, seinem Ruf als Land der Gleichstellung der Geschlechter gerecht zu werden und andere Länder in Europa dazu zu inspirieren, ebenfalls entsprechende Schritte », erklärt Anna Błuś.

Schweden

Im Jahr 2013 wurde Schweden durch den Freispruch von drei jungen Männern erschüttert, die angeklagt waren, eine 15-Jährige mit einer Weinflasche vergewaltigt zu haben, bis sie blutete. Das Urteil des Richters enthielt die folgende, schockierende Aussage: «Bei sexuellen Handlungen tun die Menschen natürlich und spontan Dinge mit den Körpern der anderen, ohne sie um deren Zustimmung zu ersuchen.»

Als Reaktion auf das Gerichtsurteil entstand eine nationale Bewegung mit dem Namen FATTA. Sie engagierte sich dafür, dass die einfache Tatsache «Sex ohne Zustimmung ist Vergewaltigung» gesetzlich anerkannt würde. Fünf Jahre später, im Mai 2018, unterstützt durch die globale #MeToo-Bewegung, erreichte die Kampagne ihr Ziel. Das Schwedische Parlament verabschiedete mit überwältigender Mehrheit eine entsprechende Gesetzesreform.

Fast zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes veröffentlichten die Schwedischen Behörden eine erste Evaluation, gestützt auf alle im Jahr 2019 gemeldeten, strafrechtlich verfolgten und vor Gericht gebrachten Fälle. Das neue Gesetz stellt Geschlechtsverkehr und vergleichbare sexuelle Handlungen mit einer Person, die nicht freiwillig mitmacht, unter Strafe. Das neue Gesetz hat zu einem bedeutenden Anstieg der Verurteilungen geführt, sowie, in geringerem Masse, zu mehr Strafverfolgungen von Fällen, die zwei Jahre zuvor gemäss Gesetz noch nicht als Vergewaltigung gegolten hätten. Dazu gehören etwa Fälle, in denen das Opfer wie gelähmt ist oder überrascht wird und keine Zeit hat, zu reagieren. Die Entwicklung ist ermutigend und wird längerfristig hoffentlich dazu beitragen, dass die Betroffenen einen besseren Zugang zur Justiz erhalten.

Griechenland

Im Juni 2019 anerkannte Griechenland in seiner Gesetzgebung als neuntes Land in Europa die einfache Wahrheit, dass Sex ohne Zustimmung Vergewaltigung ist, nachdem das Justizministerium eine spektakuläre Kehrtwende vollzogen hatte.

Zuvor hatten Amnesty International und mehrere Frauenrechtsgruppen monatelang intensive Kampagnenarbeit geleistet. Im Juni 2019 kündigte das Justizministerium schliesslich eine Änderung des Strafgesetzbuches, einschliesslich der Definition von Vergewaltigung, an. Der ursprüngliche Vorschlag war jedoch unvereinbar mit den internationalen Menschenrechtsnormen und widersprach den Forderungen der Kampagnen.

Amnesty International verstärkte die Mobilisierung und veröffentlichte eine Erklärung, in der die Organisation den Vorschlag mit deutlichen Worten verurteilte. Gleichzeitig begannen Frauenrechtsorganisationen eine Protestaktion vor dem griechischen Parlament und kritisierten den Vorschlag in den Medien. Internationale Medien berichteten über die Erklärung von Amnesty und die Empörung der Frauen; die Botschaft verbreitete sich weiter.

Am folgenden Tag vollzog der Justizminister eine Kehrtwende und änderte den Reformvorschlag dahingehend, dass Sex ohne Zustimmung als Vergewaltigung eingestuft und entsprechend strafbar wurde. Das Parlament hiess die Änderung der gesetzlichen Definition von Vergewaltigung gut und die Gesetzesreform trat im Juli 2019 in Kraft.

Island

Nach jahrelanger Kampagnenarbeit durch Frauenrechtsaktivist*innen verabschiedete das isländische Parlament im März 2018 einstimmig ein bahnbrechendes Gesetz, nach dem Geschlechtsverkehr mit einer Person als gesetzeswidrig gilt, wenn diese nicht ihre ausdrückliche Zustimmung dazu gegeben hat. Das Gesetz legt fest, dass die Zustimmung deutlich und freiwillig geäussert werden muss.

Spanien

In Spanien verkündete die Regierung im Jahr 2019 ihre Absicht, das Gesetz zu ändern, damit Sex ohne Einwilligung als Vergewaltigung anerkannt würde. Damit reagierte sie auf grossflächige Proteste nach einem bekannten Fall einer Gruppenvergewaltigung, bei dem die Justiz die Betroffenen im Stich gelassen hatte. Amnesty International engagierte sich an der Seite der Frauenrechtsaktivistinnen und -aktivisten für einen Wandel.

Im «La Manada-Fall» (Wolfsrudel), über den viel in den Medien berichtet wurde, befand ein unteres Gericht fünf Männer, die der Vergewaltigung angeklagt waren, nur des geringeren Vergehens des sexuellen Missbrauchs für schuldig, weil nach Ansicht des Gerichts keine Belege für Gewalt oder Einschüchterung gefunden werden konnten. Ein höheres Gericht kam zwar zu einem anderen Schluss und verurteilte die Männer der Vergewaltigung, doch der Fall löste dennoch Proteste aus und zeigte die Unzulänglichkeiten des spanischen Strafgesetzbuches auf, das gegenwärtig Sex ohne Einwilligung nicht als Vergewaltigung einstuft, wenn er nicht von körperlicher Gewalt oder Einschüchterung begleitet ist.

Anfang März 2020 kündigte Spanien schliesslich ein neues Gesetz für umfassende Massnahmen gegen sexuelle Gewalt an. Es soll unter anderem eine Reform der rechtlichen Definition von Vergewaltigung umfassen, damit die Einwilligung ins Zentrum gestellt und die Einhaltung der internationalen Menschenrechtsinstrumente gewährleistet wird. Das Gesetz wurde im August 2022 vom Parlament verabschiedet. Diese Entwicklung ist ein Sieg für die Betroffenen von Vergewaltigungen und für die zahllosen Frauen, Kampagnenbeteiligten, Aktivist*innen, die durch ihre Proteste und Strassenaktionen so viel Bewusstsein für die Notwendigkeit von Reformen in Recht, Politik und Praxis geschaffen haben.

Niederlande

Im November 2020 gab der niederländische Justizminister die Absicht der Regierung bekannt, im niederländischen Gesetz den Straftatbestand der Vergewaltigung zu ändern: Künftig sollen alle Formen nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs als Vergewaltigung gelten. Nach aktuellem Recht gilt eine Straftat nicht als Vergewaltigung, wenn keine Beweise für eine Nötigung vorhanden sind.

Mit seiner Ankündigung reagierte der Justizminister auf die öffentliche Kritik, unter anderem von Seiten von Amnesty International, auf seinen ursprünglichen Vorschlag, einen neuen separaten Straftatbestand «Geschlechtsverkehr gegen den Willen einer Person» einzuführen, der im Vergleich zur Straftat der Vergewaltigung nur die Hälfte des Strafmasses vorsah. Der genaue Wortlaut der Reform soll im neuen Jahr veröffentlicht werden.

Im Oktober 2022 wurde dem Repräsentantenhaus (dem Parlament) endlich ein lang erwarteter Gesetzentwurf vorgelegt. Der Gesetzentwurf definiert alle Formen von nicht einvernehmlichen sexuellen Beziehungen als Vergewaltigung. Im Rahmen der vorgeschlagenen Reform wird die rechtliche Definition von Vergewaltigung nicht nur Fälle umfassen, in denen ein «Nein» ausgesprochen wurde, sondern auch wenn das Fehlen des Einverständnisses anhand der Fakten und Umstände beobachtet werden kann. Amnesty International wird sich weiterhin gemeinsam mit Aktivist*innen und Betroffenen dafür einsetzen, dass der Gesetzesentwurf schnell im Parlament diskutiert wird, damit er ohne Verzögerung verabschiedet werden kann.

Weshalb ist eine Änderung der Vergewaltigungsgesetzgebung so wichtig?

Gesetzesänderungen allein werden nicht bewirken, dass es keine Vergewaltigungen mehr gibt, doch sie sind ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Sie vermitteln eine starke Botschaft, denn sie zeigen auf, was für eine Gesellschaft wir anstreben: Eine Gesellschaft, die frei ist von Vergewaltigung und in der die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Integrität aller Menschen respektiert und als wertvoll erachtet wird.

Gesetzesreformen können ein entscheidender Ausgangspunkt für die Veränderung von Verhaltensweisen und Einstellungen sein. Gleichzeitig müssen sie einhergehen mit koordinierten Anstrengungen zur Bekämpfung von Vergewaltigungsmythen und schädlichen Geschlechterstereotypen. Ziel sollte sein, dass künftig für alle klar ist, dass Sex stets der gegenseitigen Zustimmung bedarf.