Einige Grafiken mit Ergebnissen aus der Umfrage können Sie mit Klick aufs Bild sehen. © Mauritius Images / Klaus Neuner via Keystone
Einige Grafiken mit Ergebnissen aus der Umfrage können Sie mit Klick aufs Bild sehen. © Mauritius Images / Klaus Neuner via Keystone

Schweiz Repräsentative Studie: Mehrheit für «Nur-Ja-heisst-Ja»

Medienmitteilung 12. April 2022, London/Bern – Medienkontakt
Das Zustimmungsprinzip «Nur-Ja-heisst-Ja» ist die beste Lösung, um Betroffene vor sexualisierter Gewalt zu schützen: Das ist die vorherrschende Meinung unter den Einwohner*innen der Schweiz zur Reform des Sexualstrafrechts.

Pressekonferenz Umfrage «Nur JA heisst JA»

Die Pressekonferenz zur Veröffentlichung der gfs.bern-Umfrage (auf Facebook)

Für die allermeisten – insbesondere die jüngeren Generationen – ist gegenseitiges Einverständnis bei sexuellen Handlungen die Norm. Bei einem Teil der Befragten sind jedoch problematische Ansichten zu sexuellen Beziehungen und Gewalt nach wie vor gefährlich verbreitet. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag von Amnesty International durchgeführt hat. 

«45% der Befragten sind der Meinung, dass die Zustimmungslösung (‚Nur Ja-heisst-Ja‘) Betroffene am besten vor sexualisierter Gewalt schützt. Die ‚Nein-heisst-Nein‘-Lösung findet mit 27% deutlich weniger Zuspruch. Für die Beibehaltung des Status Quo im Sexualstrafrecht spricht sich nur eine kleine Minderheit von 13% aus», sagte Cloé Jans von gfs.bern bei der Präsentation der Resultate an einer Medienkonferenz in Bern. «Besonders hoch ist die Unterstützung für ein modernes Sexualstrafrecht bei Personen, die auch objektiv am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen sind: Frauen, Junge und queere Menschen.»

Zu einigen Grafiken mit Ergebnissen der Umfrage von gfs.bern

«45% der Befragten sind der Meinung, dass die Zustimmungslösung (‚Nur Ja-heisst-Ja‘) Betroffene am besten vor sexualisierter Gewalt schützt.» Cloé Jans, gfs.bern

Bei den 18-35-Jährigen halten 50% die Zustimmungslösung als beste Option zum Schutz von Betroffenen, 25% die «Nein-heisst-Nein»-Lösung und nur 14% die Beibehaltung der heute geltenden Regelung im Strafrecht, die für den Tatbestand der Vergewaltigung eine Nötigung voraussetzt.

Problematische Ansichten zur sexuellen Verfügbarkeit

Die grosse Mehrheit der Einwohner*innen der Schweiz gibt an, sich rücksichtsvoll zu verhalten, wenn es um Beziehungen und Sexualität geht. Das heisst, es wird aktiv sichergestellt, dass das Gegenüber mit sexuellen Handlungen einverstanden ist, Grenzen werden respektiert und übergriffiges Verhalten wird weder selbst ausgeübt noch toleriert.

«Die Studie macht jedoch immer wieder Gruppen ersichtlich, deren Antworten auf problematisches Verhalten und Einstellungen hinweisen. Rund jede fünfte Person empfindet es mindestens eher als Einwilligung zu Sex, wenn das Gegenüber irgendwann früher einmal zugestimmt hat und jede zehnte Person, wenn die Person aktuell zwar schläft, aber sonst immer zustimmt. Ebenfalls rund jede zehnte Person findet, Geschlechtsverkehr mit dem Partner/der Partnerin sei unter bestimmten Umständen in Ordnung, auch wenn das Gegenüber aktuell nicht zugestimmt hat», so Cloé Jans. Solch problematische Ansichten zur sexuellen Verfügbarkeit seien unter den Männern signifikant stärker verbreitet als unter Frauen.

«Lange wurde gesellschaftlich toleriert, dass sich Männer sexuell holen, was sie wollen. Das wirkt bis heute nach. Die Resultate weisen aber auf einen ermutigenden Wertewandel hin. Dass auch in sexuellen Beziehungen kontinuierlich darauf geachtet werden muss, ob allen Beteiligten wohl ist, wird auch für immer mehr Männer immer mehr zur Selbstverständlichkeit. Leider ist die Botschaft noch nicht bei allen angekommen», kommentierte Markus Theunert von männer.ch.

Eine Erhebung von gfs.bern im Jahr 2019 hatte eine schockierende Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt zu Tage gebracht. Mindestens jede fünfte Frau ab 16 Jahren hat demnach bereits ungewollte sexuelle Handlungen erlebt, mehr als jede zehnte Frau erlitt Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen.

Politik in der Pflicht

Eine deutliche Mehrheit der Befragten (58%) ist gemäss der aktuellen Umfrage heute der Meinung, dass das Parlament besonders gefordert ist, sexualisierte Gewalt in der Schweiz zu bekämpfen.

«Ein neues sexualstrafrecht sollte sich an den Realitäten und Bedürfnissen der Menschen orientieren, die am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen sind und jetzt eine Verbesserung benötigen.» Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz

«Wir rufen die Parlamentarier*innen auf, ihre Verantwortung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt wahrzunehmen. Ein neues Sexualstrafrecht sollte sich an den Realitäten und Bedürfnissen der Menschen orientieren, die am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen sind und jetzt eine Verbesserung benötigen», sagte Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz. «Die Schweiz wartet auf ein Konsens-basiertes Sexualstrafrecht.»

Das Schweizer Strafrecht ist bei Delikten gegen die sexuelle Integrität nicht im Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen wie der Istanbul-Konvention. Amnesty International setzt sich aktiv für eine Zustimmungslösung im Schweizer Sexualstrafrecht und eine Neudefinition des Vergewaltigungstatbestandes ein. Zahlreiche Organisationen, Fachleute, Politiker*innen diverser Parteien und von sexualisierter Gewalt Betroffene schlossen sich der Forderung in der Vernehmlassung an und riefen Bundesrat und Parlament zum Handeln auf. Der Ständerat wird in der Sommersession über die Reform beraten.

Bedeutung der Prävention und Signalwirkung des neuen Sexualstrafrechts

Während sich die Einwohner*innen der Schweiz einig sind, dass eine klare Zustimmung am ehesten zu einvernehmlichem Sex führt, fällt es vielen schwer, über Sex und sexuelle Bedürfnisse zu sprechen. 54 Prozent geben an, dass sie Mühe haben, über sexuelle Vorlieben, Bedürfnisse und Grenzen zu sprechen und 34 Prozent finden es schwierig einzuschätzen, was das Gegenüber will.

«Es wäre schädlich, wenn das Gesetz signalisieren würde, dass in Sachen Sexualität alles erlaubt sei, bis ein ‘Nein’ oder ein ‘Stopp’ kommuniziert wird.» Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsverantwortliche bei Amnesty Schweiz

«Diese Zahlen zeigen Handlungsbedarf in der Aufklärungs- und Präventionsarbeit, aber auch auf Gesetzesebene, sagte Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsverantwortliche bei Amnesty Schweiz. «Es ist zentral, das Thema Kommunikation und gegenseitige Zustimmung in den Schulen stärker zu verankern und mehr Raum für diese Themen in der Gesellschaft zu schaffen. Doch für eine wirksame Präventionsarbeit wäre es schädlich, wenn das Gesetz signalisieren würde, dass in Sachen Sexualität alles erlaubt sei, bis ein ‘Nein’ oder ein ‘Stopp’ kommuniziert wird. Vom zukünftigen Sexualstrafrecht sollte das Signal an die Gesellschaft ausgehen, dass sexuelle Handlungen auf gegenseitigem Einverständnis beruhen müssen.»