In den beiden vorliegenden Varianten fällt die Nötigung im Grundtatbestand von Artikel 189 (sexueller Übergriff) und 190 (Vergewaltigung) weg. Der «Nein heisst Nein»- Ansatz bewahrt auf der Abwehr des Opfers und die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung basiert auf der Zustimmung aller beteiligten Personen. Die Mehrheit der Kommission des Ständerats bevorzugt zurzeit die sogenannte «Widerspruchslösung», wo sexuelle Handlungen gegen den ausgedrückten Willen einer Person bestraft würden. Aus menschenrechtlicher Sicht ist Amnesty International, wie der grösste Teil der Einwohner*innen der Schweiz, der Überzeugung, dass die «Zustimmungslösung» der «Widerspruchslösung» klar vorzuziehen ist. Folgend unsere Argumente dafür:
Zustimmung entspricht der gelebten Realität und gesellschaftlichen Erwartung
- Bei der Zustimmungslösung sind sexuelle Handlungen nur erlaubt, wenn der entsprechende Wille ausgedrückt wird. Sie entspricht somit der in der Gesellschaft weit verbreiteten Norm. Menschen sind nicht grundsätzlich für sexuelle Handlungen, zu jeder Zeit und mit jeder Person, offen. Sexuelle Handlungen bedingen einen Rahmen, in dem alle Beteiligte ihr Einverständnis ausdrücken können – sei dies verbal oder non-verbal durch konkludentes Handeln.
- Für eine wirksame Prävention ist es schädlich, wenn das Gesetz signalisieren würde, dass «in Sachen Sexualität alles erlaubt sei, bis ein Nein oder ein Stopp kommuniziert wird». Um die weit verbreitete sexualisierte Gewalt wirksam zu bekämpfen, muss das Gesetz klarstellen, dass sexuelle Handlungen auf gegenseitigem Einverständnis beruhen müssen.
- In anderen Alltagssituationen wird ebenfalls Zustimmung vorausgesetzt. Niemand darf beispielsweise einfach mein Fahrrad ausleihen, ohne zu fragen (oder dazu eingeladen worden zu sein). Warum sollte dies bei sexuellen Handlungen, die einen sehr intimen Bereich unserer Persönlichkeit betreffen, anders sein?
Die Zustimmungslösung ist opfergerecht und deckt reale Situationen sexualisierter Gewalt am besten ab
- Die Zustimmungslösung deckt auch verschiedene Situationen ab, die eine Widerspruchslösung nicht oder nur eingeschränkt abdeckt, weil das Opfer keinen Widerspruch geltend machen kann. Dies ist bei Schockzustand oder Freezing, bei unerwarteten sexuellen Übergriffen, bei Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung oder bei Stealthing der Fall.
- Bei der Widerspruchslösung wird der betroffenen Person aufgrund ihres Verhaltens weiterhin eine Mitschuld zugesprochen (Victim-Blaming/Opfer-Täter-Umkehr). Sie muss sich vor sich selbst, gegenüber ihrem Umfeld und den Strafverfolgungsbehörden rechtfertigen, weshalb sie nicht Nein gesagt oder sich gewehrt hat.
- Im Gegensatz dazu würde bei der Zustimmungslösung das Verhalten des Opfers nicht direkt in Frage gestellt. Damit würde betont, dass Sexualität kein Gut ist, das genutzt werden kann, solange die Person nicht widerspricht, sondern die Einwilligung aller beteiligten Personen benötigt.
Zustimmungslösung ist international gefordert und in der Praxis umsetzbar!
- Die Istanbul Konvention setzt voraus, dass «nicht einverständliche» sexuelle Handlungen bestraft werden und macht klar, dass eine Einwilligung freiwillig, in Kenntnis der Sachlage und zeitlich vor den entsprechenden Handlungen erfolgen muss. Nur die Zustimmungslösung garantiert das.
- Mehrere Staaten, darunter Schweden, Belgien und kürzlich Dänemark und Slowenien haben eine Zustimmungslösung eingeführt. In den Niederlanden und in Spanien wird eine entsprechende Gesetzesvorlage in den kommenden Monaten vom Parlament diskutiert. In Schweden, wo die Lösung 2018 eingeführt wurde, haben sich Beweisschwierigkeiten nicht bestätigt.
- Von einer «Beweislastumkehr» oder dem «Ende der Unschuldsvermutung» kann auch bei der Zustimmungslösung keine Rede sein. So oder so muss die Schuld der verdächtigten Person «über jeden vernünftigen Zweifel hinaus» bewiesen werden.