Jedes Jahr werden in China mehr Hinrichtungen vollstreckt als in allen anderen Staaten der Welt zusammen. Für Grafiken zur Todesstrafe weltweit bitte auf das Bild klicken.  © Amnesty International
Jedes Jahr werden in China mehr Hinrichtungen vollstreckt als in allen anderen Staaten der Welt zusammen. Für Grafiken zur Todesstrafe weltweit bitte auf das Bild klicken. © Amnesty International

Report Todesstrafe 2016 Chinas tödlichstes Geheimnis: Das Ausmass der Todesstrafe wird weiter verschleiert

Medienmitteilung 11. April 2017, London/Bern – Medienkontakt
Die Zahl der Hinrichtungen ging 2016 um 37 Prozent zurück, dies vor allem weil im Iran und in Pakistan weniger Menschen getötet wurden. Weltweit wurden 1032 Hinrichtungen vollstreckt. China richtete mehr Menschen hin als alle anderen Länder zusammen.

 

Das hohe Ausmass der Anwendung der Todesstrafe in China ist eines der tödlichsten Geheimnisse des Landes. Die Behörden lassen nach wie vor jedes Jahr Tausende Menschen hinrichten. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International im am 11. April 2016 veröffentlichten Bericht über die Todesstrafe weltweit.

Zum Todesstrafen-Bericht 2016

Geheimhaltungssystem zur Verschleierung der wahren Zahlen

Eine neue umfassende Untersuchung zu China, die ebenfalls heute veröffentlicht wird, belegt, dass die chinesischen Behörden ein ausgeklügeltes Geheimhaltungssystem anwenden, um die schockierenden Hinrichtungszahlen zu verschleiern. Andererseits beteuern die Behörden immer wieder, es gebe Fortschritte hinsichtlich der Transparenz des Strafrechtssystems in China.

Ausgenommen die Zahlen zu China, sind 2016 weltweit 1032 Todesurteile vollstreckt worden. In China sind in diesem Zeitraum mehr Menschen hingerichtet worden als in allen anderen Ländern zusammen. In den USA sind im Vergleich zu den Vorjahren 2016 so wenige Todesurteile vollstreckt worden, wie lange nicht mehr.

«China will eine führende Rolle in der Welt einnehmen – in Bezug auf die Todesstrafe ist das die schlimmstmögliche Führungsrolle: Jedes Jahr werden in China mehr Hinrichtungen vollstreckt als in allen anderen Staaten der Welt zusammen», so Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International.

«Die chinesische Regierung hat zwar anerkannt, dass sie im Hinblick auf Offenheit und Transparenz des Strafrechtssystems Nachholbedarf hat, verschleiert aber weiterhin das wahre Ausmass der Hinrichtungen. Es ist an der Zeit, dass China den Schleier dieses tödlichen Geheimnisses lüftet und die Wahrheit über das System der Todesstrafe im Land preisgibt.»

«Es sind nur eine Handvoll Staaten, die die Todesstrafe immer noch in einem grossen Ausmass anwenden. Die Mehrzahl aller Länder weltweit duldet nicht mehr, dass Menschen in staatlichem Auftrag getötet werden. Lediglich vier Staaten sind für 87 Prozent aller dokumentierten Hinrichtungen verantwortlich – die Zeit der Todesstrafe ist nahezu abgelaufen.»

Chinas «Transparenz» verschleiert die Wahrheit

Die Recherchen von Amnesty International haben ergeben, dass in der chinesischen Datenbank zu Gerichtsurteilen Hunderte Fälle dokumentierter Hinrichtungen fehlen, obwohl diese Datenbank zunächst als «entscheidender Schritt hin zu Offenheit» gepriesen wurde und immer wieder als Beleg dafür dienen soll, dass das Strafrechtssystem des Landes nichts zu verbergen habe.

Die chinesische Regierung bewahrt nach wie vor fast vollständige Geheimhaltung über die Anzahl der Menschen, die zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.

In der chinesischen Datenbank ist nur ein Bruchteil der mehreren Tausend Hinrichtungen enthalten, die nach Schätzungen von Amnesty International jedes Jahr in China vollstreckt werden. Die chinesische Regierung bewahrt nach wie vor fast vollständige Geheimhaltung über die Anzahl der Menschen, die zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.

China stuft die meisten Informationen über die Todesstrafe als «Staatsgeheimnis» ein, und fast jede Information kann auf der Grundlage der chinesischen Gesetze zur Geheimhaltung als «Staatsgeheimnis» eingestuft werden.

Amnesty International hat in öffentlich zugänglichen Berichten Meldungen über 931 Personen gefunden, die zwischen 2014 und 2016 hingerichtet wurden (wobei es sich wohl nur um einen Bruchteil der tatsächlichen Hinrichtungen handelt). In der staatlichen Datenbank waren hingegen für diesen Zeitraum nur 85 Fälle aufgeführt.

Die Datenbank führt Fälle von ausländischen Staatsangehörigen, die wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt wurden, nicht auf, obwohl Medienberichte auf mindestens elf Hinrichtungen von Ausländern hindeuten. Auch zahlreiche Fälle, die einen «Terrorismusbezug» haben oder Todesurteile wegen Drogendelikten finden sich nicht in der Datenbank.

«Vorsätzliche Täuschung»

«Die chinesische Regierung nutzt Teilveröffentlichungen und nicht überprüfbare Angaben, um Fortschritte bei der Reduzierung von Hinrichtungen zu belegen, gleichzeitig behält sie aber eine nahezu vollständige Geheimhaltung bei. Das ist eine vorsätzliche Täuschung», sagt Salil Shetty.

«China nimmt bezüglich der Todesstrafe eine völlige Aussenseiterrolle in der Welt ein – entgegen internationalen Standards und ungeachtet wiederholter Forderungen der Uno nach Offenlegung der Hinrichtungszahlen».

In den vergangenen Jahren hat die Gefahr, dass Menschen wegen eines Verbrechens hingerichtet werden können, das sie nicht begangen haben, für zunehmende Empörung in der chinesischen Öffentlichkeit gesorgt. Im Dezember 2016 hob der Oberste Volksgerichtshof den falschen Schuldspruch gegen Nie Shubin auf, der vor 21 Jahren im Alter von 20 hingerichtet worden war. Dabei handelt es sich um einen der bekanntesten Justizirrtümer in China. Ebenfalls 2016 befanden chinesische Gerichte vier zum Tode Verurteile für unschuldig und hoben die Urteile auf.


Schockierende Erkenntnisse über Ausmass der Todesstrafe in Vietnam

In Malaysia und Vietnam sind nach neuesten Erkenntnissen die Hinrichtungszahlen weit höher als bisher angenommen.

Vietnam hat in den vergangenen drei Jahren die dritthöchste Zahl an Hinrichtungen weltweit vollstreckt.

Informationen aus Vietnam, die erstmalig im Februar 2017 in den Medien des Landes veröffentlich wurden, zeigen, dass das Land in den vergangenen drei Jahren die dritthöchste Zahl an Hinrichtungen weltweit vollstreckt hat. So wurden zwischen dem 6. August 2013 und dem 30. Juni 2016 insgesamt 429 Menschen exekutiert. Nur in China und im Iran wurden in diesem Zeitraum mehr Todesurteile vollstreckt. Der Bericht des vietnamesischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit enthält keine Aufschlüsselung der Zahlen für 2016.

«Die Hinrichtungszahlen in Vietnam der vergangenen Jahre sind wirklich schockierend. Diese Exekutionen am Fliessband überschatten alle Reformen bezüglich der Todesstrafe der jüngsten Vergangenheit. Wir müssen uns fragen, wieviel mehr Menschen noch zum Tode verurteilt wurden, ohne dass die Welt davon erfahren hat», sagt Salil Shetty.

Eine ähnliche Geheimhaltung im Hinblick auf die Todesstrafe gibt es in Malaysia. Dort wurde auf Druck des Parlaments 2016 öffentlich gemacht, dass in den Todeszellen des Landes über tausend Menschen einsitzen. Allein neun Menschen wurden 2016 hingerichtet – wesentlich mehr als bislang angenommen.

Währenddessen festigt sich in der Region weiterhin die Auffassung, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung habe und so künftige Verbrechen verhindere. Die Philippinen wollen die Todesstrafe wieder einführen, nachdem sie erst 2006 abgeschafft wurde, und auch auf den Malediven droht nach über 60 Jahren die Wiederaufnahme von Hinrichtungen.

USA zum ersten Mal seit 2006 nicht mehr unter den fünf Staaten mit den meisten Hinrichtungen

Zum ersten Mal seit 2006 gehören die USA 2016 nicht zu den fünf Staaten mit den meisten Hinrichtungen.Die Zahl der Exekutionen (20) war 2016 so niedrig wie seit 1991 nicht mehr, halb so hoch wie 1996, und fast fünf Mal niedriger als 1999.

In den USA befinden sich nach wie vor 2832 Menschen in den Todeszellen.

Die Zahl der Todesurteile (32) war 2016 die niedrigste seit 1973 – ein deutliches Zeichen, dass Richter, Staatsanwälte und Geschworene sich von der Todesstrafe abwenden. Dennoch befinden sich in den USA nach wie vor 2832 Menschen in den Todeszellen.

Auch wenn es eine deutliche Abwendung von der Todesstrafe gibt, sind die niedrigen Hinrichtungszahlen auch auf ungeklärte rechtliche Fragen bezüglich der Giftspritze als Hinrichtungsmethode und Probleme bei der Beschaffung der Substanzen für die tödliche Injektion zurückzuführen. Die mögliche Lösung einiger Fragen im Hinblick auf die Giftspritze könnte jedoch dazu führen, dass die Hinrichtungszahlen 2017 wieder steigen, angefangen mit dem Bundesstaat Arkansas im April.

Nur fünf US-Bundesstaaten haben 2016 Todesurteile vollstreckt: Alabama (2), Florida (1), Georgia (9), Missouri (1), Texas (7), womit in Texas und Georgia 80 Prozent der Exekutionen 2016 stattfanden. Zwölf Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, darunter Arkansas, haben seit mindestens zehn Jahren keine Hinrichtung mehr vollzogen.

«Die Anwendung der Todesstrafe in den USA ist auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang der 1990er Jahre. Wir müssen allerdings dafür kämpfen, dass es so bleibt. Es könnte 2017 zu einem Rückschlag kommen. Die schockierende Nachricht über die Zahl von innerhalb von zehn Tagen angesetzten Exekutionen in Arkansas im April ist ein deutliches Zeichen, dass sich das Bild wieder ganz schnell wandeln kann», so Salil Shetty.

«Der stetige Rückgang bei der Anwendung der Todesstrafe in den USA ist ein Hoffnungszeichen für Aktivisten, die sich seit Langem für die Abschaffung dieser Strafe einsetzen. Die allgemeine Haltung zur Todesstrafe wandelt sich. Politiker sollten sich jeglicher Rhetorik enthalten, die ein ‚hartes Vorgehen gegen Verbrechen‘ propagiert und zu einem Anstieg der Hinrichtungen in den 1980er und 90er Jahren geführt hatte. Die Todesstrafe wird das Leben nicht sicherer machen – für keinen von uns.»

«Die fünf isolierten US-Bundesstaaten, die im letzten Jahr Hinrichtungen vollstreckt haben, agieren nicht mehr zeitgemäss. Sie stellen sich nicht nur einem nationalen, sondern auch einem regionalen Trend entgegen. Seit acht Jahren sind die USA nun das einzige Land in der Region, das Menschen hinrichtet.»


Entwicklungen 2016

  • Der Rückgang der Hinrichtungszahlen weltweit ist vor allem auf den Rückgang im Iran (minus 42 %: von mindestens 977 auf mindestens 567) und Pakistan (minus 73%: von 326 auf 87).
  • In den Staaten südlich der Sahara wurden weniger Exekutionen dokumentiert, aber die Zahl der Todesurteil hat sich mehr als verdoppelt, vornehmlich durch den Anstieg in Nigeria.
  • Im Nahen Osten und Nordafrika sind die Hinrichtungszahlen um 28% gestiegen, wobei im Iran und in Saudi-Arabien die meisten Todesurteile vollstreckt wurden.
  • Zwei Länder haben 2016 die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft (Benin und Nauru); Guinea hat die Todesstrafe für gewöhnliche Straftaten abgeschafft.

Die Todesstrafe in der Schweiz

In der Schweiz wurde zuletzt 1944 eine Zivilperson hingerichtet. Die Todesstrafe wurde allerdings erst 1992, mit der Änderung des Militärstrafrechts, vollständig abgeschafft. Seither engagiert sich die Schweiz für ihre weltweite Abschaffung – sowohl auf multilateraler wie auch bilateraler Ebene. Aussenminister Didier Burkhalter hat das Thema zu einem Schwerpunkt der Menschenrechtspolitik erklärt. Im Eidg. Parlament existiert seit 2014 eine parlamentarische Gruppe, die sich aus Mitglieder aller Regierungsparteien zusammensetzt. Dieser informelle Zusammenschluss hat sich bereits wiederholt gegenüber ausländischen Parlamenten und Regierungen zu Wort gemeldet, sei es um die Begnadigung eines zum Tode Verurteilten zu fordern oder die Abschaffung der Todesstrafe als solche voranzubringen.