Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1153 Todesurteile vollstreckt, wobei die Tausenden von Hinrichtungen, die in China vermutet werden, nicht berücksichtigt sind. Dies ist die höchste Zahl, die Amnesty International seit 2015 verzeichnet hat, als 1634 Menschen hingerichtet wurden. Demgegenüber ist die Zahl der Länder, in denen Hinrichtungen durchgeführt wurden, 2023 auf den niedrigsten Stand gesunken, den Amnesty International je verzeichnet hat.
«Der hohe Anstieg der registrierten Hinrichtungen ist vor allem auf den Iran zurückzuführen. Die iranischen Behörden legten 2023 eine grobe Missachtung menschlichen Lebens an den Tag. Mehrere Personen, die an den Protesten nach Jina Mahsa Aminis Tod teilgenommen hatten, wurden ohne fairen Prozess hingerichtet. Auch nahm die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten im Iran erheblich zu», sagte Patrick Walder, Experte für die Todesstrafe bei Amnesty Schweiz.
«Trotz der Rückschläge, die wir 2023 insbesondere im Nahen Osten erlebt haben, sind die Länder, die immer noch Hinrichtungen durchführen, zunehmend isoliert. Unser fortgesetzter Einsatz gegen die Todesstrafe zeigt Wirkung. In immer mehr Ländern herrscht ein Moratorium für die Todesstrafe. Wir werden weitermachen, bis die Todesstrafe weltweit abgeschafft ist.»
«...sind die Länder, die immer noch Hinrichtungen durchführen, zunehmend isoliert. Unser fortgesetzter Einsatz gegen die Todesstrafe zeigt Wirkung. In immer mehr Ländern herrscht ein Moratorium für die Todesstrafe. Wir werden weitermachen, bis die Todesstrafe weltweit abgeschafft ist.» Patrick Walder, Experte für die Todesstrafe bei Amnesty Schweiz
Die fünf Länder mit den meisten Hinrichtungen im Jahr 2023 waren China, Iran, Saudi-Arabien, Somalia und die USA. Auf den Iran allein entfielen 74 Prozent aller registrierten Hinrichtungen, auf Saudi-Arabien 15 Prozent. Somalia und die USA führten im Jahr 2023 eine erhöhte Anzahl von Hinrichtungen durch.
Die Zahl der weltweit verhängten Todesurteile stieg im Jahr 2023 um 20 Prozent auf insgesamt 2428.
Extrem hohe Zahl an Hinrichtungen im Iran
Im Iran setzten die Behörden die Todesstrafe verstärkt ein, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen. Im ganzen Land wurden Hinrichtungen durchgeführt. Mindestens 853 Menschen wurden hingerichtet, was einem Anstieg von 48 Prozent gegenüber 576 vollstreckten Todesurteilen im Jahr 2022 entspricht. Die Hinrichtungen betrafen in unverhältnismässiger Weise die Minderheit der Belutsch*innen. Auf sie entfielen 20 Prozent der registrierten Hinrichtungen, obwohl sie nur etwa 5 Prozent der iranischen Bevölkerung ausmachen. Unter den Hingerichteten waren mindestens 24 Frauen und mindestens fünf Personen, die zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Tat gemäss der Kinderrechtskonvention noch minderjährig – d.h. unter 18 Jahre alt – waren.
Von den registrierten Hinrichtungen im Iran wurden mindestens 545 völkerrechtswidrig für Taten vollstreckt, die nach internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden dürften, darunter Drogendelikte, Raub und Spionage. Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten stieg sprunghaft an und machte 56 Prozent der registrierten Hinrichtungen im Jahr 2023 aus. Dies entspricht einem Anstieg um 89 Prozent gegenüber den 255 Hinrichtungen im Jahr 2022.
Rückschläge in den USA und Subsahara-Afrika
In den USA sind die Fortschritte der letzten Jahre ins Stocken geraten. Die Zahl der Hinrichtungen stieg von 18 auf 24 an. In den US-Bundesstaaten Idaho und Tennessee wurden Gesetzesentwürfe zur Durchführung von Hinrichtungen durch Erschiessungskommandos eingebracht, während das Parlament des Bundesstaates Montana eine Massnahme zur Ausweitung der bei tödlichen Injektionen verwendeten Substanzen prüfte. In South Carolina wurde ein neues Gesetz zur Geheimhaltung der Identität von Personen oder Einrichtungen, die an der Vorbereitung oder Durchführung von Hinrichtungen beteiligt sind, unterzeichnet.
«Gewisse US-Bundesstaaten zeigten ein bedenkliches Bekenntnis zur Todesstrafe und die traurige Absicht, mehr Ressourcen in die Tötung von Menschen zu stecken. Erstmals wurden auch Hinrichtungen durch Ersticken durch Stickstoff durchgeführt. Dies ist eine besonders grausame Methode, für die keinerlei Erfahrungen vorlagen. Alabama hat diese unerprobte Methode Anfang dieses Jahres angewandt, um Kenneth Smith zu töten, nur 14 Monate nachdem er einen verpfuschten Hinrichtungsversuch überlebt hatte», sagte Patrick Walder. «Präsident Biden muss sein Versprechen halten und die Todesstrafe auf Bundesebene in den USA endlich abschaffen.»
Weitere Rückschläge gab es andernorts, so schnellte die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen in Somalia in die Höhe. Die Zahl der registrierten Hinrichtungen hat sich dort von elf im Jahr 2022 auf 38 im Jahr 2023 mehr als verdreifacht.
In ganz Afrika südlich der Sahara stiegen die registrierten Todesurteile drastisch um 66 Prozent, von 298 im Jahr 2022 auf 494 im Jahr 2023. Darüber hinaus hat kein Land in der Region im Jahr 2023 die Todesstrafe abgeschafft.
Staatliche Geheimhaltung in China
Aufgrund der staatlichen Geheimhaltung enthalten die Zahlen von Amnesty International keine Angaben zu den vermutlich Tausenden von Menschen, die in China hingerichtet wurden. Amnesty International geht davon aus, dass China nach wie vor weltweit die meisten Menschen hinrichtet. Die Organisation kann aus ähnlichen Gründen auch keine Zahlen zu Nordkorea und Vietnam vorlegen – beides Länder, von denen angenommen wird, dass sie in grossem Umfang Menschen hinrichten.
In China wurden Berichte in den staatlichen Medien genutzt, um die Menschen daran zu erinnern, dass Verbrechen wie Drogenhandel und Bestechung hart bestraft werden und zur Hinrichtung führen können, während Nordkorea ein neues Gesetz einführte, das die Todesstrafe als mögliche Strafe für diejenigen vorsah, die nicht die koreanische Muttersprache verwenden. Währenddessen verhängte Myanmar weiterhin in geheimen und äusserst unfairen Verfahren Todesurteile vor Militärgerichten.
Fortschritte bei der Abschaffung der Todesstrafe
Trotz des rückschrittlichen Vorgehens einiger weniger Länder wurden weitere Fortschritte erzielt. Bis heute haben 112 Länder die Todesstrafe vollständig abgeschafft, und insgesamt haben 144 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft.
In 16 Ländern wurden Hinrichtungen registriert, die niedrigste von Amnesty International bislang verzeichnete Zahl. In Belarus, Japan, Myanmar und dem Südsudan, die alle im Jahr 2022 Hinrichtungen vollstreckt haben, wurden 2023 keine Hinrichtungen verzeichnet.