Bundesrat und Konzernlobby hatten die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) hauptsächlich mit dem Argument bekämpft, dass die Regeln international abgestimmt sein müssen. «Wenn der Bundesrat das wirklich ernst gemeint hat, muss er jetzt handeln und wie die EU ein richtiges Konzernverantwortungsgesetz vorlegen!», kommentiert Dick Marty, Vorstandsmitglied der Koalition für Konzernverantwortung. Nur so kann die Schweiz sicherstellen, dass sie gleichzeitig wie die EU ein Gesetz in Kraft setzen kann und nicht bald das einzige Land in Europa ohne Konzernverantwortung ist.
Weitgehende Haftungsregeln und Sanktionen
Die neue EU-Richtlinie, die am 23. Februar 2022 vorgestellt wurde, gilt für EU-Konzerne ab 250 Mitarbeitende und enthält eine breite Sorgfaltsprüfungspflicht für alle Menschenrechte und für internationale Umweltstandards. Darüber hinaus müssen die Konzerne aufzeigen, wie sie den Zielen des Pariser Klimaabkommens entsprechen. Unternehmen aus Drittstaaten wie der Schweiz, die mindestens 150 Mio. Euro Umsatz im EU-Raum machen, sind ebenfalls eingeschlossen. Bezüglich der Durchsetzung ist die Regelung umfassender konzipiert als es die Konzernverantwortungsinitiative war: Erstens müssen die EU-Staaten Aufsichtsbehörden mit umsatzbezogener Bussenkompetenz einführen. Zweitens existiert neben der von der KVI geforderten Haftung für Tochterfirmen im EU-Vorschlag auch eine Haftung für Zulieferer, unter gewissen Voraussetzungen sogar für indirekte Zulieferer. Der EU-Vorschlag geht damit weiter als die Konzernverantwortungsinitiative und ist mit dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Alibi-Gegenvorschlag nicht vergleichbar. Dieser sieht nur in zwei Bereichen (Kinderarbeit, Konfliktmineralien) Sorgfaltsprüfungen vor und verzichtet komplett auf Kontrollen und Sanktionen.
«Die Schweiz hat es vorgezogen, sich für eine veraltete Gesetzgebung zu entscheiden, die sich auf europäischer Ebene nicht bewährt hat.» Danièle Gosteli Hauser, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz.
«Die Schweiz hat es vorgezogen, sich für eine veraltete Gesetzgebung zu entscheiden, die sich auf europäischer Ebene nicht bewährt hat. Mit den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen neuen Richtlinien wird die Schweiz eindeutig im Rückstand bleiben, was sich auf dem internationalen Markt negativ auf unsere Unternehmen auswirken könnte» sagt Danièle Gosteli Hauser, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz.
Breite Unterstützung aus der Wirtschaft
Deutliche Stimmen aus der Wirtschaft hatten eine griffige EU-Richtlinie gefordert und sich explizit auch für Haftungsregeln ausgesprochen, darunter Nestlé, Danone, Epson, Ikea, Mondelez oder Ferrero. «Klare Regeln und Verantwortlichkeiten sowie gleich lange Spiesse sind für die Wirtschaft wichtig. Dies wird mit dem in Kraft getretenen Gegenvorschlag nicht erreicht. Eine Verbesserung ist deshalb unbedingt notwendig.» stellt Dietrich Pestalozzi, Unternehmer und Vorstandsmitglied fest.
Grosse Kampagne geplant
Die Koalition für Konzernverantwortung sieht Bundesrat und Parlament nun in der Verantwortung. Deshalb wird die Koalition im Sommer eine grosse Petition an den Bundesrat starten, damit dieser zügig ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz vorlegt. Rahel Ruch, Geschäftsleiterin der Koalition präzisiert: «Wir sind entschlossen, zusammen mit den zehntausenden von Unterstützer*innen der KVI-Kampagne den Bundesrat in aller Deutlichkeit an seine Versprechen zu erinnern.»