Fifa-Funktionär*innen und Politiker*innen an der Eröffnungszeremonie des Fussball-Weltmeisterschaftsspiels der Männer zwischen den USA und Wales in Doha, Katar. © U.S. State Department / Ronny Przysucha / Public Domain
Fifa-Funktionär*innen und Politiker*innen an der Eröffnungszeremonie des Fussball-Weltmeisterschaftsspiels der Männer zwischen den USA und Wales in Doha, Katar. © U.S. State Department / Ronny Przysucha / Public Domain

Fussballweltmeisterschaft 2022 in Katar Durchzogene Menschenrechtsbilanz

Von Lisa Salza, 19. Dezember 2022
Die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar ist Geschichte und hat einmal mehr gezeigt: Ein sportlicher Megaevent findet nicht in einem Vakuum statt – so sehr die Sportfunktionär*innen sich dies vielleicht wünschen würden. Wenn ein Anlass mit so massiven Menschenrechtsverletzungen einhergeht, wie das bei Katar der Fall war, ist es nicht mehr möglich, nur auf den Sport zu fokussieren.

Katar 2022 war bei weitem nicht der erste grosse Sportevent, der mit Missständen einherging. Aber diese Fussball-Weltmeisterschaft hat gezeigt, dass zumindest in Europa weder die Fans noch die nationalen Verbände noch die Sportjournalist*innen bereit waren, die Menschenrechte unter den Teppich zu kehren. Viele von ihnen haben mit Protestaktionen, Boykottandrohungen und mit einer Berichterstattung, die über die sportlichen Aspekte hinausging, das von Katar und der Fifa angestrebte «Sportswashing» grandios zum Scheitern gebracht. Auch einige wenige Fussballspieler haben Zeichen des Protests gezeigt und dafür gesorgt, dass von dieser WM mehr bleibt als das Bild eines lachenden Lionel Messis, der den Pokal in die Höhe stemmt.

Unvergessen bleibt etwa, wie die deutsche Elf sich gegen den Maulkorb der Fifa wehrt, wie die iranische Mannschaft stillen Protest gegen ein brutales Regime übt und wie das marokkanische Team das Existenzrecht eines unterdrückten Volkes hochhält. Auch Fans hielten sich mit friedlichen Protestaktionen nicht zurück und versuchten die – von Katar und der Fifa unterdrückte – Diversität in Form eines Regenbogen-Shirts oder Hutes ins Stadion zu tragen.

Menschenrechte: ein Dauerthema

Erfreulicherweise waren zum ersten Mal bei einem solchen Sportevent die Menschenrechte während der Vorbereitung und – das ist das Erstaunliche – auch während der Durchführung des Turniers unablässig ein Thema. Zum ersten Mal ist zumindest bei einem Teil der Fans ein Problembewusstsein da für die massiven Folgen für die Menschenrechte und die Umwelt, die häufig mit einem solchen Grossevent einhergehen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass der von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften im Vorfeld ausgeübte Druck auf die Verantwortlichen dazu geführt hat, dass die Fifa und Katar Reformen eingeführt haben. Nach «Katar 2022» scheint es unwahrscheinlich, dass ein Bewerberland mit einem hohen Menschenrechtsrisiko nochmals den Zuschlag für einen grossen Sportevent erhält. Sollte sich die Analyse, dass Katar ein «Gamechanger» war, als zutreffend erweisen, so wäre dies eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft.

Doch die Menschenrechtsbilanz ist durchzogen und die Defizite sind – zumindest kurzfristig – schwerwiegender als die Fortschritte: Die Fifa hat sich noch immer nicht zu einem Entschädigungsfonds durchgerungen, der allen Arbeiter*innen zugutekäme, welche die WM-Infrastruktur errichtet und im Rahmen dieser Tätigkeiten Rechtsverletzungen erlitten haben. In Katar existiert seit 2018 ein Mechanismus, um Arbeitsmigrant*innen für Lohndiebstahl zu entschädigen. Doch was ist mit den Menschen, die vor 2018 keinen oder zu wenig Lohn erhielten (vermutlich die Mehrheit der WM-Arbeiter*innen)? Welche Möglichkeit auf Entschädigung haben all jene, die Tausende von Dollars illegale Vermittlungsgebühren bezahlt und damit einen riesigen Schuldenberg angehäuft haben? Wie kommen all jene zu ihrem Recht, die desillusioniert und verarmt in ihre Herkunftsländer zurückreisten, weil sie kein Geld mehr hatten, um in Katar auf eine Entschädigung zu warten? Und auf welche Genugtuung können all jene Familien hoffen, die einen geliebten Menschen unter ungeklärten Umständen verloren haben?

Vermutlich sind viele dieser Todesfälle auf die hohe Hitze zurückzuführen. Hitzestress steht jedoch in Katar auch nach tausenden ungeklärten Todesfällen noch immer nicht auf der Liste der Berufsrisiken. Wirkungsvolle Massnahmen, um die Menschen für erlittenes Leid zu entschädigen, fehlen. Gianni Infantino reagierte auf die Forderung nach Entschädigung lapidar: Alle, die eine Rechtsverletzung erlitten hätten, sollten einfach «die zuständigen Behörden in Katar kontaktieren». Das mangelnde Engagement der Fifa ist umso stossender, weil diese per Ende WM einen Gewinn von 7,5 Milliarden Dollar bekannt gegeben hat und das Geld für Entschädigungen mutmasslich aus der Portokasse bezahlen könnte.

Menschenrechte und Nachhaltigkeit müssen bei der Fifa zur Chefsache werden

Auch die Sicherstellung der Reformen über die WM hinaus steht auf wackligen Beinen. Es soll zwar ein «Labour Excellence Hub» errichtet werden und die Arbeitsorganisation der Uno, die ILO, darf ein permanentes Büro in Katar einrichten. Doch es stellt sich die Frage: Wie unabhängig sind diese Gefässe? Und sind sie geeignet dafür, die Rechte der Arbeiter*innen – die sich noch immer nicht gewerkschaftlich organisieren dürfen – gegen die massiven internen Widerstände längerfristig sicherzustellen?

Die Zukunft wird zeigen, wie gross und weitreichend die Wirkung der Reformen in Katar ist und wie seriös die 2017 erlassenen Menschenrechtskriterien der Fifa auf künftige Events angewendet werden.

Aus heutiger Sicht, kurz nach dem Abpfiff der WM, müssen wir festhalten: Die Fifa hat verheissungsvoll klingende Gefässe wie den «Legacy Fund» und den «Labour Excellence Hub» geschaffen, sie hat auf vielen Seiten Papier eine Nachhaltigkeitsstrategie und eine Menschenrechtspolicy niedergeschrieben. Das widersprüchliche Verhalten der Fifa vor und während dieser WM hat allerdings gezeigt, dass die Werte, die im Kern oben genannter Dokumente und Gefässe stehen – Menschenrechte und Nachhaltigkeit – bei der Fifa nicht gelebt, sondern weitgehend an die dafür zuständige Abteilung delegiert werden. Solange die Fifa den Respekt für die Menschenrechte und die Überzeugung, dass ihre Veranstaltungen auf allen Ebenen nachhaltig sein müssen, nicht im Herzen mitträgt, werden wir uns auch in Zukunft mehr mit schönen Worten als mit überzeugenden und wirkungsvollen Taten begnügen müssen.