Am Fifa-Kongress 2023 hatte der Weltfussballverband eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die erörtern sollte, ob die Fifa ihrer Verantwortung in Bezug auf die Entschädigung von Arbeiter*innen im Kontext der WM 2022 in Katar zur Genüge nachgekommen ist. Die Fifa ist seit fünf Monaten im Besitz dieses Berichtes, hält die Ergebnisse bis anhin jedoch unter Verschluss. Amnesty International fordert die Fifa dazu auf, den Bericht unverzüglich zu veröffentlichen und den empfohlenen Massnahmen entsprechend zu handeln.
Amnesty International geht davon aus, dass der vom Fifa-Rat im März 2024 genehmigte unabhängige Bericht anerkennt, dass der Sportverband eine Verantwortung dafür trägt, die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar zu entschädigen.
«Vor ihrem Jahreskongress am 17. Mai sollte die Fifa die von ihr in Auftrag gegebene Untersuchung über ihre Verantwortung für die Entschädigung von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der WM 2022 veröffentlichen und den darin enthaltenen Empfehlungen Folge leisten. Die Fifa hat diesen Bericht schon vor Monaten erhalten, dessen Ergebnisse aber noch immer nicht veröffentlicht oder auf andere Weise darauf reagiert», sagte Steve Cockburn, Leiter des Bereichs Arbeitsrechte und Sport bei Amnesty International.
«Die Fifa kann das begangene Leid nicht mehr rückgängig machen, aber sie kann dafür sorgen, dass die Betroffenen Gerechtigkeit in Form einer Entschädigung erhalten.» Steve Cockburn, Leiter des Bereichs Arbeitsrechte und Sport bei Amnesty International
«Diese Verzögerung zieht das Leid der Familien, die Angehörige verloren haben, und der Arbeiter*innen, deren Rechte im Schatten des prestigeträchtigsten Turniers der Fifa missachtet wurden, weiter in die Länge. Die Fifa kann das begangene Leid nicht mehr rückgängig machen, aber sie kann dafür sorgen, dass die Betroffenen Gerechtigkeit in Form einer Entschädigung erhalten.»
«Der Inhalt des Berichts mag für die Fifa unangenehm sein, doch dies kann keine Entschuldigung für weitere Verzögerungen sein. Wenn die Fifa sich endlich dazu verpflichten würde, Entschädigungen für begangenes Unrecht zu leisten, käme sie der Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht einen entscheidenden Schritt näher.»
Hunderttausende Betroffene von Menschenrechtsverletzungen
Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen waren während der Vorbereitung und Durchführung der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen betroffen. Extreme Hitze und unsichere Arbeitsbedingungen haben zum Tod vieler Arbeiter*innen geführt. Die katarischen Behörden haben es versäumt, die Ursachen für den Tod tausender Arbeitsmigrant*innen zu untersuchen und frühzeitig Massnahmen zu erlassen, um den Tod weiterer Arbeiter*innen zu verhindern.
Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen waren während der Vorbereitung und Durchführung der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen betroffen.
Viele Arbeitsmigrant*innen zahlten erpresserische Anwerbegebühren für Jobs, wurden aber später um das versprochene Geld betrogen und mussten menschenunwürdige Arbeitsbedingungen erdulden, einige erlitten gar Zwangsarbeit. Viele Arbeitsmigrant*innen verliessen Katar finanziell und emotional völlig ausgelaugt und waren aufgrund der erlittenen Missstände zu Hause nicht mehr fähig, sich ein würdevolles Leben aufzubauen.
Dadurch dass die Fifa 2010 das Turnier an Katar vergab ohne ausreichende Garantien zum Schutz der Menschenrechte zu vereinbaren, trug der Weltfussballverband während über einem Jahrzehnt zu den Missständen bei, von denen – trotz Reformbemühungen – viele bis heute nicht behoben wurden. In den letzten Jahren hat die Fifa ihre Statuten und Richtlinien überarbeitet, um ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser gerecht zu werden. Doch es bestehen nach wie vor ernsthafte Zweifel an ihrem Willen, dieser tatsächlich nachzukommen.
Vor der nächsten Vergabe muss die Fifa ihre Altlasten bewältigen
Die Fifa prüft derzeit die Vergabe der Austragungsrechte für die Fussballweltmeisterschaften der Männer 2030 und 2034. Für 2030 wurde eine gemeinsame Bewerbung von Spanien, Portugal und Marokko eingereicht, für 2034 eine von Saudi-Arabien.
«Es kann nicht sein, dass die Fifa ihrer Verantwortung für zurückliegende Turniere den Rücken kehrt und nun einfach zur Tagesordnung übergeht. Zweieinhalb Jahre nach der Austragung der WM in Katar ist es höchste Zeit, dass die Fifa die Missstände im Zusammenhang mit diesem Turnier vollständig aufarbeitet», sagte Steve Cockburn.
Hintergrund
Am 17. Mai führt die Fifa ihren Jahreskongress in Bangkok durch. Erwartet werden Mitglieder von Fussballverbänden aus 211 Staaten.
Umfragen haben gezeigt, dass es in der Öffentlichkeit breite Unterstützung für die Einrichtung eines Mechanismus zur Entschädigung der in Katar missbrauchten Arbeiter*innen durch die Fifa gibt und dass die Menschenrechte bei Vergabe aller Turniere eine entscheidende Rolle spielen sollten. Der Zugang der Betroffenen zu einem von Katar 2020 eingerichteten Fonds ist mit zahlreichen Hindernissen verbunden. Die Zahlungen sind gedeckelt und es ist fast unmöglich, dass Arbeiter*innen oder ihre Angehörigen nach deren Rückkehr in ihr Heimatland noch einen Antrag auf Entschädigung stellen können.
Amnesty International und die #PayUpFIFA-Koalition haben sich dafür eingesetzt, dass die Fifa ein Entschädigungssystem einrichtet und finanziert, und sie haben gefordert, dass der Vermächtnisfonds der Fifa für die Weltmeisterschaft 2022 zur Behebung von Missständen genutzt wird. Die Weltmeisterschaft in Katar war mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden US-Dollar das einträglichste Turnier des Weltfussballverbandes.