Der Bericht Playing a Dangerous Game? Human Rights Risks Linked to the 2030 and 2034 FIFA World Cups (PDF, 91 p.) bewertet die Menschenrechtsrisiken im Zusammenhang mit den Bewerbungen für die Fussball-Weltmeisterschaften der Männer 2030 und 2034. Die Fifa hat für beide Turniere jeweils nur eine Bewerbung erhalten. Für 2030 gibt es ein gemeinsames Angebot von Marokko, Spanien und Portugal mit zusätzlichen Spielen in Argentinien, Paraguay und Uruguay für die WM-Endrunde 2030. Für 2034 hat sich einzig Saudi-Arabien für die Ausrichtung des Turniers beworben.
Steve Cockburn, Leiter des Bereichs Arbeitsrechte und Sport bei Amnesty International, sagt dazu: «In Anbetracht der Tatsache, dass es für jedes Turnier nur jeweils eine Bewerbung gibt und beide erhebliche Herausforderungen für die Menschenrechte mit sich bringen, stellt sich die Frage, ob die FIFA ihrem Bekenntnis für menschenrechtskonforme Spiele nachkommen wird. Ist es ihr Ernst damit, muss sie bereit sein, eine Bewerbung, die den Menschenrechtsanforderungen nicht entspricht, abzulehnen.»
«Die Herausforderungen für die Menschenrechte der Bewerbung für die WM 2030 sind erheblich und müssen angegangen werden. Deutlich höher sind indes die Risiken der Bewerbung Saudi-Arabiens für 2034. Ohne tiefgreifende Massnahmen, sind Arbeiter*innen, Fans und Journalist*innen massiven Risiken ausgesetzt.»
Die FIFA hat darauf bestanden, dass im Bewerbungsprozess zivilgesellschaftliche Organisationen zur Eruierung der Menschenrechts- und anderer Risiken konsultiert werden müssen. Gemäss dem Kenntnisstand von Amnesty International, ist dies bis anhin nicht geschehen, was angesichts der wenigen verbleibenden Zeit bis zum Einreichen des vollständigen Bewerbungsdossiers im Juli besorgniserregend ist.
Das Versäumnis der FIFA, bei der Vergabe vergangener Weltmeisterschaften für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen, hat Menschenrechtsverletzungen Vorschub geleistet. Bei der Fussball-WM der Männer 2022 in Katar kamen Arbeitsmigrant*innen auf vielfache Art und Weise zu Schaden, es kam zu Lohnausfällen, schweren Verletzungen und sogar Todesfällen.
Die Verantwortung der Schweiz als Sitzstaat
Auch die Schweiz trägt als Sitzstaat mehrerer internationaler Sportverbände eine Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen an Sportgrossanlässen zu verhindern. Deshalb lanciert Amnesty Schweiz zeitgleich mit dem Bericht am 6. Juni eine Petition an den Bundesrat und fordert diesen auf, griffige Massnahmen zu ergreifen, damit Sportverbände mit Sitz in der Schweiz ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen.
«Die Erfahrung mit vergangenen Sportgrossanlässen zeigt, dass Sportverbände mit Sitz in der Schweiz trotz vorhandener Menschenrechtsstrategien, Nachhaltigkeitskonzepten und Überwachungsgremien, ihrer Verantwortung, die Menschenrechte zu respektieren, nicht umfassend nachkommen. Bis anhin setzte die Schweiz lediglich auf freiwillige Initiativen. Doch das reicht nicht, um Menschenrechtsverletzungen an Sportgrossanlässen zu verhindern und die Menschenrechte wirkungsvoll zu schützen», sagt Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz.
Risiken der Bewerbung für die Fussball-WM der Männer 2030
Die gemeinsame Bewerbung von Marokko, Portugal und Spanien für die Fussball-WM 2030, bei der drei Spiele in Argentinien, Paraguay und Uruguay ausgetragen werden, birgt Risiken, vor allem in Bezug auf Arbeitsrechte, Diskriminierung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Polizeigewalt, Recht auf Privatsphäre und auf Wohnraum.
In Marokko werden umfangreiche Baumassnahmen erforderlich sein, u. a. für ein neues Stadion mit 115‘000 Plätzen. Die Gesetzgebung zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz muss jedoch noch verabschiedet werden. Auch könnte es für den Bau des Stadions zu Zwangsräumungen kommen. In den drei vorgeschlagenen Gastgeberländern besteht für Arbeitsmigrant*innen die Gefahr von Ausbeutung und anderen Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Menschenhandel. Die Zahl der Arbeitsunfälle in Spanien und Portugal ist höher als im EU-Durchschnitt. Bei der Erweiterung des Camp-Nou-Stadions des FC Barcelona im Jahr 2023 wurden Arbeitsmigrant*innen Opfer von verschiedenen Menschenrechtsverstössen, darunter fehlende Lohnzahlungen.
Die exzessive Anwendung von Polizeigewalt, darunter der Einsatz von Gummigeschossen, ist in allen drei Ländern nachweislich eine Gefahr. Polizeikräfte in Spanien und Portugal sind Gegenstand zahlreicher Beschwerden von Fans aus dem In- und Ausland. Auch das Recht auf Privatsphäre könnte durch invasive Spionageprogramme und biometrische Überwachung, insbesondere in Marokko und Spanien, bedroht sein.
Marokko schränkt das Recht auf freie Meinungsäusserung ein, indem es Kritik an Religion, Monarchie, staatlichen Institutionen, am Militär oder an der territorialen Integrität des Staates unter Strafe stellt. Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen sind wegen Kritik an der Regierung schikaniert, willkürlich inhaftiert, geschlagen und strafrechtlich verfolgt worden.
Risiken der Bewerbung Saudi-Arabiens für die Fussball-WM der Männer 2034
Saudi-Arabien weist eine erschreckende Menschenrechtsbilanz auf. Die Bewerbung Saudi-Arabiens für die Durchführung der Fussball-WM 2034 birgt daher eine grosse Bandbreite ernsthafter Risiken. Das Königreich hat in den letzten Jahren Milliarden für eine Kampagne zur Imageverbesserung ausgegeben und sich dabei stark auf Investitionen in den Sport, um von seiner miserablen Menschenrechtsbilanz abzulenken.
Der Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch dürfte viele Menschenrechtsverletzungen weiter gesetzlich verankern. Der Gesetzesentwurf, der Amnesty International vorliegt, kriminalisiert das Recht auf Meinungs-, Gedanken- und Religionsfreiheit und versäumt es, das Recht auf friedliche Versammlung zu schützen. Er kriminalisiert «aussereheliche» einvernehmliche sexuelle Beziehungen, Homosexualität und Schwangerschaftsabbrüche. Der Entwurf kodifiziert auch die Todesstrafe und erlaubt weiterhin körperliche Strafen wie Auspeitschungen.
Die Austragung des Turniers würde ein umfangreiches Bauprogramm erfordern, das die Gefahr von rechtswidrigen Zwangsräumungen erhöht. In Saudi-Arabien kommt es bei Bauprojekten immer wieder zu gewaltsamen Zwangsräumungen, so endete ein Einsatz zur Räumung von Siedlungen im Zusammenhang mit dem Bau der Wüstenstadt The Line, einem Teil des NEOM-Städtebauprojekts, mit dem Tod eines Bewohners, der sich zur Wehr gesetzt hatte.
Für den Bau der Stadien und Infrastruktur und die Durchführung des Turniers werden wahrscheinlich Hunderttausende von Arbeitskräften benötigt. Die meisten davon werden Arbeitsmigrant*innen sein, die einem hohen Risiko von Arbeitsrechtsverstössen ausgesetzt sind. Das Kafala-System, das den Aufenthaltsstatus von Arbeitsmigrant*innen rechtlich an eine*n Arbeitgeber*in oder Sponsor*in bindet, gibt den Beschäftigten nur begrenzte Rechtsmittel, wenn sie Lohndiebstahl, Gewalt oder andere Menschenrechtsverletzungen erfahren.
Die Diskriminierung ist tief in der Gesetzgebung und Praxis Saudi-Arabiens verankert und könnte Fans, Arbeitnehmer*innen, Spieler*innen und Journalist*innen betreffen. Trotz der Zusicherung des saudischen Fremdenverkehrsamtes, dass «alle willkommen sind», gibt es keinen Rechtsschutz für LGBTI*-Personen. Im Gegenteil: LGBTI*-Personen werden strafrechtlich verfolgt, häufig auf der Grundlage der vagen Vorschriften zum Erhalt der öffentlichen Ordnung und Moral sowie des Gesetzes zur Bekämpfung von Cyberkriminalität.
Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist kaum oder gar nicht gegeben. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen, politische Parteien oder Gewerkschaften sind nicht zugelassen. Immer wieder kommt es zu Verhaftungen und Inhaftierungen von Journalist*innen, politischen Aktivist*innen oder Akademiker*innen. Fast alle Menschenrechtsverteidiger*innen stehen entweder vor Gericht, verbüssen Haftstrafen, haben Reiseverbot oder leben im Exil. Zur Verfolgung von Aktivist*innen werden weit gefasste Anti-Terror-Gesetze angewandt, die Gefängnisstrafen von bis zu 45 Jahren und sogar die Todesstrafe für Beleidigung des Königs oder des Kronprinzen vorsehen. Medien und Journalist*innen, die die Regierung kritisieren, werden bedroht, zensuriert oder inhaftiert. Kritische Webseiten werden gesperrt.
Saudi-Arabien gehörte 2023 mit 172 hingerichteten Menschen zu den fünf Ländern, die am meisten Hinrichtungen durchführten. Fans, die zum Turnier reisen, mögen glauben, dass sie von der Todesstrafe ausgenommen sind, aber ausländische Staatsangehörige machten 39 Prozent der Menschen aus, die zwischen 2010 und 2021 im Königreich hingerichtet wurden, auch für Straftaten wie Drogendelikte.
Empfehlungen
Um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fussball-WM 2030 zu verhindern, sind Massnahmen zur Stärkung der Arbeitsrechte, zur Bekämpfung von Diskriminierung, zum Schutz des Rechts auf Wohnraum und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit erforderlich.
Um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Bewerbung Saudi-Arabiens für die Fussball-WM 2034 zu verhindern, wären grundlegende Reformen erforderlich, einschliesslich umfassender Verbesserungen des Arbeitsrechts und die Freilassung von Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die zu Unrecht in Haft sind.
Zu den wichtigsten Empfehlungen des Berichts gehört, dass die FIFA bei jeder Bewerbung eine unabhängige Bewertung der Menschenrechtsrisiken vornimmt und verbindliche Zusagen der Gastgeberländer einholt, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Dies muss Massnahmen zur Überwachung und Durchsetzung ihrer Umsetzung, einschliesslich Beschwerdemechanismen und Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln, umfassen.
Der Bericht betont, dass die FIFA die Fussball-WM nicht an Bewerberländer vergeben darf, die die Menschenrechte nicht garantieren, und dass sie jede Vereinbarung über die Ausrichtung des Turniers kündigen muss, wenn die Menschenrechte gefährdet sind oder verletzt werden.