Der Amnesty International Report 2017-2018 zur Lage der Menschenrechte umfasst 159 Länder und liefert die umfassendste Analyse der aktuellen Menschenrechtssituation weltweit.
Der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, sagte: «Der offensichtlich diskriminierende Entscheid der US-Regierung vom Januar 2017, die Einreise von Menschen aus mehreren muslimischen Ländern zu verbieten, gab den Takt vor: Es folgte ein Jahr, in dem Staats- und Regierungschefs weltweit eine Politik des Hasses und der Angstmacherei verfolgten – mit gravierenden Folgen für die Menschenrechte.»
«Was in letzter Konsequenz geschieht, wenn in einer Gesellschaft der Hass gegen eine Minderheit geschürt wird, zeigte sich in Myanmar, wo die Militärs eine ethnische Säuberungskampagne gegen die Rohingya führten», so Shetty.
Menschenrechte werden aufgegeben
«Das Gespenst des Hasses und der Angst beherrscht die internationalen Beziehungen, und in diesen unsicheren Zeiten verteidigen nur noch wenige Regierungen die Menschenrechte. Stattdessen verletzen Staats- und Regierungschefs wie Abdel Fattah al-Sisi, Rodrigo Duterte, Nicolás Maduro, Wladimir Putin, Donald Trump und Xi Jinping die Rechte von Millionen Menschen», sagte Salil Shetty.
«Schamlos drehen Regierungen das Rad der Zeit zurück und machen menschenrechtliche Errungenschaften zunichte, die über Jahrzehnte mühsam erkämpft wurden.» Salil Shetty, Generalsekretär Amnesty International.
«Die schwachen Reaktionen auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Myanmar, Irak, Südsudan, Syrien und Jemen haben gezeigt, wie wenig Verantwortung die Staatengemeinschaft beim Schutz der Menschenrecht übernimmt. Schamlos drehen Regierungen das Rad der Zeit zurück und machen menschenrechtliche Errungenschaften zunichte, die über Jahrzehnte mühsam erkämpft wurden.»
Dies zeigt sich auch in Frankreich, wo das Demonstrationsrecht eingeschränkt wurde, oder in den USA, Russland und Polen, wo die Frauenrechte unter Beschuss stehen. Amnesty International veröffentlicht den Jahresbericht aufgrund der Rückschritte bei den Menschenrechten in den USA erstmals in Washington und warnt davor, dass Präsident Trump ein gefährliches Vorbild für andere Regierungen schafft.
Wachsender Aktivismus
Amnesty International stellt gleichzeitig fest, dass sich immer mehr Aktivistinnen und Aktivisten für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Der Women‘s March in den USA inspirierte Proteste rund um die Welt. Auch Phänomene wie #MeToo oder die feministische Bewegung «Ni Una Menos» in Lateinamerika zeigen, dass der Widerstand gegen die rückwärtsgerichtete und diskriminierende Politik vieler Regierungen wächst.
«Die Proteste gegen die Massnahmen der Trump-Regierung erinnern uns daran, dass der Kampf für die universellen Rechte immer von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort ausgefochten wird», sagte Margaret Huang, Direktorin von Amnesty International USA.
Kampf um die Meinungsfreiheit
Der Kampf um die Meinungsfreiheit dürfte 2018 das zentrale Thema werden. Führende Politiker und Politikerinnen sind offensichtlich bereit, «Fake News» zu verbreiten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Hinzu kommen folgenschwere Angriffe auf etablierte Institutionen, die zur Kontrolle der Macht dienen.
Im Jahr 2017 wurden Hunderte Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten getötet. Auch der Druck auf Medienschaffende stieg. Am meisten Journalisten wurden in der Türkei, Ägypten und China festgenommen – dort starb der Nobelpreisträger Liu Xiaobo, nachdem er wegen Kritik an der Regierung inhaftiert worden war. Ohne Rücksicht wurden Menschenrechtler direkt ins Visier genommen. Amnesty International wurde wegen ihrer Arbeit in Ungarn bedroht. In der Türkei wurden der Präsident und die Direktorin der Ländersektion sowie weitere Mitglieder der Menschenrechtsorganisation in Untersuchungshaft gesetzt – ein bislang einmaliger Vorgang in der Geschichte von Amnesty.
«Flüchtlinge werden zunehmend als Problem angesehen, das es zu beseitigen gilt, nicht als Menschen mit Rechten, die unser Mitgefühl verdienen.» Salil Shetty
Verleumdung von Flüchtlingen und Migranten
Die Verleumdung von Flüchtlingen und von Migrantinnen und Migranten auf höchster Regierungsebene hat beispiellose Ausmasse angenommen. Die Trump-Regierung sorgte mit ihrer Politik gegen Flüchtlinge zwar für die grössten Schlagzeilen, die USA sind jedoch nicht das einzige Land, das eine fremdenfeindliche Politik verfolgt. «Ob in Australien oder Ungarn: Flüchtlinge werden zunehmend als Problem angesehen, das es zu beseitigen gilt, nicht als Menschen mit Rechten, die unser Mitgefühl verdienen», sagte Salil Shetty.
Kritik an Rückweisungspraxis der Schweiz
«Im Rahmen der Dublin-Verordnung haben die Schweizer Behörden eine Reihe von Asylsuchenden in andere Schengen-Staaten zurückgeschickt, ungeachtet ihrer familiären Bindungen in der Schweiz und entgegen internationaler Verpflichtungen», sagte Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz.
Im April 2017 befand das Bundesgericht, dass die Verbringung eines afghanischen Ehepaars und ihres Kleinkindes in Administrativhaft vom Oktober 2016 sowie die Unterbringung ihrer anderen drei Kinder in einem Kinderheim mit dem Ziel, die ganze Familie nach Norwegen zu überstellen, einen gravierenden Verstoss gegen ihr Recht auf Familienleben darstelle.
Im Oktober forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats die Schweiz auf, die Identifizierung und den Schutz der schutzbedürftigsten Migrantinnen, Migranten und Asylsuchenden zu verbessern und bei allen Entscheidungen und Massnahmen im Bereich Migration und Asyl für geschlechtersensibles und kindgerechtes Vorgehen zu sorgen.
Der Jahresbericht warnt zudem vor neuen, verschärften Anti-Terrorgesetzen mit massiven Eingriffen in die Freiheitsrechte von Verdächtigen, wie sie in mehreren europäischen Staaten aktuell zur Diskussion stehen, darunter auch in der Schweiz. Der Bundesrat will der Polizei weitreichende Mittel geben, damit mutmassliche «Gefährder» ohne Anklage und Prozess präventiv unter Hausarrest gestellt oder mit Kontaktverboten belegt werden können. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist derzeit in der Vernehmlassung.
«Die Schweiz muss einen Kontrollmechanismus einrichten, um sicherzustellen, dass Volksinitiativen den internationalen Menschenrechtsnormen entsprechen.» Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz
Gefahr menschenrechtswidriger Volksinitiativen
Im August äusserte der Uno-Menschenrechtsausschuss Bedenken hinsichtlich der «Selbstbestimmungsinitiative», die die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen will. «Es ist dringend notwendig, dass die Schweiz einen Kontrollmechanismus einrichtet, um sicherzustellen, dass Volksinitiativen den internationalen Menschenrechtsnormen entsprechen, bevor sie der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden», so Manon Schick.