Amtliche Bezeichnung: Schweizerische Eidgenossenschaft
Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga
Hintergrund
Zwischen März und Juni 2020 reagierte die Regierung mit Notstandsmassnahmen auf die Corona-Pandemie, was zur Folge hatte, dass eine Reihe von Rechten wie die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigt wurden. Ungeachtet des Drucks zahlreicher Organisationen und Verbände wurde bis zum Jahresende keine umfassende, unabhängige Studie in Auftrag gegeben, um Massnahmen für einen grösstmöglichen Schutz des Gesundheitspersonals in der Schweiz zu erarbeiten. Ein Vorschlag der Regierung zur Schaffung einer unabhängigen nationalen Menschenrechtsinstitution wird voraussichtlich 2021 im Parlament beraten. Im September beschloss das Parlament, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 % unter das Niveau von 1990 zu senken.
Unfaire Verfahren
Im Mai 2020 kritisierten die Menschenrechtskommissarin des Europarats und mehrere UN-Expert*innen Vorschläge der Regierung für drakonische neue Antiterrorgesetze. Im September verabschiedete das Parlament diese Gesetze, die eine vage und übermässig breite Definition von „Terrorismus“ enthalten und mit denen die Freiheit einer Person präventiv ohne Anklage oder Prozess eingeschränkt werden kann.
Versammlungsfreiheit
Zu Beginn der Pandemie fehlten der Polizei klare Richtlinien für die Durchführung von Notfallmassnahmen. Sie schränkte das Recht auf Versammlungsfreiheit unverhältnismässig stark ein, indem sie Demonstrationen pauschal verbot und bei Missachtung in bestimmten Kantonen Geldstrafen verhängte.
Geschlechtsspezifische Gewalt
Im Januar 2020 überprüfte ein Parlamentsausschuss das Strafrecht im Hinblick auf Sexualdelikte. Er beauftragte die Regierung damit, einen Vorschlag zur Neudefinition von sexuellen Handlungen gegen den Willen einer Person vorzulegen. Gemäss der gegenwärtigen Definition von Vergewaltigung kann nur eine weibliche Person unter Anwendung von Zwang oder Gewalt Opfer einer Vergewaltigung werden.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI*)
Das Parlament stimmte für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Gleichgeschlechtliche Paare werden künftig gleichberechtigt, mit Ausnahme bestimmter Einschränkungen etwa im Bereich der Samenspende.
Im Juli 2020 wurden Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung in den Geltungsbereich der Strafnorm gegen Hassreden aufgenommen, nachdem sich die Schweizer Bürger*innen im Rahmen einer Volksabstimmung dafür ausgesprochen hatten.
Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden
Es gab Vorwürfe über unverhältnismässige Gewaltanwendung durch das Sicherheitspersonal in den Bundesasylzentren. Bis Dezember 2020 waren dazu keine unabhängigen Untersuchungen angekündigt oder durchgeführt worden. Während der Grenzschliessung zu Italien von Mitte März bis Mitte Mai 2020 im Rahmen der Covid-19-Notfallmassnahmen wurde die Registrierung von Asylgesuchen vorübergehend ausgesetzt, mit Ausnahme der Asylgesuche besonders verletzlicher Personen.
Im März 2020 wurde eine parlamentarische Initiative abgelehnt, mit der eine humanitäre Klausel in die ausländerrechtliche Bestimmung eingefügt werden sollte, welche die «Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts» unter Strafe stellt. Im Juli bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung der beiden Menschenrechtsverteidigerinnen Anni Lanz und Lisa Bosia Mirra wegen «Erleichterung der rechtswidrigen Einreise», weil sie Asylsuchenden in Not zur Einreise in die Schweiz verholfen hatten.
Die Regierung weigerte sich, weitere Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen, obwohl mehrere grössere Städte Aufnahmeplätze anboten. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten 54 unbegleitete Minderjährige mit familiären Bindungen zur Schweiz. Nach der Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos im September 2020 (siehe Griechenland-Kapitel) genehmigte die Regierung die Aufnahme weiterer 38 Minderjähriger, die bis Ende des Jahres eintreffen sollten.
Unternehmensverantwortung
Am 29. November 2020 wurde eine Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative durchgeführt, mit der multinationale Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards bei ihren Geschäften im Ausland verpflichtet werden sollten. Die Initiative verfehlte zwar das notwendige Ständemehr, erhielt aber die Mehrheit der Stimmberechtigten. Es ist das erste Mal, dass sich Stimmberechtigte in einem Land für solche zwingenden Sorgfaltspflichten für Unternehmen ausgesprochen haben.
Straflosigkeit
Im Juni 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Schweiz das Recht auf Leben verletzt habe, weil keine angemessenen Massnahmen zum Schutz eines Mannes ergriffen worden waren, der 2014 in Polizeigewahrsam Suizid begangen hatte. Die Schweizer Behörden führten ausserdem keine effektive Untersuchung des Vorfalls durch.
VERÖFFENTLICHUNGEN VON AMNESTY INTERNATIONAL
«Die Rechte des Gesundheitspersonals müssen geschützt werden», (Medienmitteilung, 18. August)
«Antiterror-Gesetz: Aushöhlung des Rechtsstaates», (Medienmitteilung, 24. September)
«Klare Richtlinien für freie Meinungsäusserungen im öffentlichen Raum», (Medienmitteilung, 5. Mai)
«Neue Gesetzesvorlage zur Revision des Sexualstrafrechts», (Medienmitteilung, 18. Januar)
«Rigides Regime in den Zentren und sehr kurze Fristen», (Medienmitteilung, 28. Februar)
«Multinationals seem too big for accountability. Switzerland may change that » (Artikel, 27. November)