Schuften bei zum Teil über 40 Grad Celsius im Schatten: Bauarbeiter in Katar. © Pete Pattisson
Schuften bei zum Teil über 40 Grad Celsius im Schatten: Bauarbeiter in Katar. © Pete Pattisson

MAGAZIN AMNESTY Sport und Menschenrechte Katar: WM der Schande

Von Manuela Reimann Graf. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2016.
Die Vergabe der Fussball-WM 2022 an Katar hat viel Staub aufgewirbelt. Trotz Versprechen seitens der Regierung und der FIFA haben sich die Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen im Wüstenstaat kaum gebessert.

Sie stammen aus Indien, Bangladesch, Nepal, den Philippinen und weiteren armen Ländern Süd- und Südostasiens. Inzwischen sind es 1,7 Millionen Arbeitskräfte, die in das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen  gereist sind, um hier Arbeit zu finden. Angeheuert von skrupellosen Jobvermittlern in ihren Heimatländern, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Und es werden noch weit mehr werden, die bei bis zu 50 Grad Celsius auf Katars Baustellen schuften. Denn der eigentliche Bauboom für die Infrastruktur, die für die Fussball-Weltmeisterschaft von 2022 benötigt wird, hat erst so richtig begonnen.

Ausgeliefert

«Die Arbeit ist schwierig, wir arbeiten während vieler Stunden in der heissen Sonne. Als ich mich nach meiner Ankunft in Katar beklagte, sagte mein Manager: Beschwere dich, aber es wird Konsequenzen haben. Wenn du hier bleiben willst, dann sei still und arbeite weiter.» Was Deepak (Name geändert) dem Amnesty-Research-Team erzählt, steht stellvertretend für die Situation von 234 Arbeitern, die Amnesty 2015 und 2016 besucht hat. Sämtliche Befragten berichteten von Täuschung, was den Lohn oder die Art der Arbeit betrifft: Bis auf sechs Männer erhielten alle weit tiefere Löhne als von den Jobvermittlern versprochen – wobei es bis um die Hälfte des Betrags ging. «Ich bin Elektriker und vereinbarte, als solcher hier zu arbeiten » erzählt der Nepalese Ubaraj (Name geändert) dem Researcher-Team. «Doch als ich im Oktober 2014 in Katar ankam, konnte ich nur zwei Monate in diesem Job arbeiten. Seither muss ich Metallarbeiten machen.»

Sämtliche Befragten berichteten von Täuschung, was den Lohn oder die Art der Arbeit betrifft

Auch verdient Ubaraj weniger, als ursprünglich versprochen, nämlich 250 statt der 350 Dollar pro Monat. Als er sich darüber beklagte, wurde ihm gedroht: «Der Manager sagte, ich solle den Lohn akzeptieren, den man mir gebe. Ansonsten würde ich überhaupt nicht bezahlt werden und meinen Pass nicht zurückerhalten.»

Zur Arbeit genötigt  

Viele Arbeiter mussten sich massiv verschulden, um die Jobvermittler zu bezahlen – Gebühren, die bis in die Tausende von Dollar gehen, mit horrenden Zinsen. Bei Löhnen von wenigen hundert Dollar pro Monat kann es Jahre dauern, bis die Schulden abbezahlt sind. Wenn dann das Gehalt monatelang ausbleibt – etwas, was viele der Befragten erlebten –, bringt dies die Arbeiter und ihre Familien in grosse Not. Ein Hauptproblem bleibt das «Kafala-» oder «Sponsoren-System»: Die Firmen kümmern sich um die Arbeits- und die Niederlassungsbewilligung für ihre Angestellten. Behalten die Arbeitgeber den Pass zurück, können die ArbeiterInnen nicht ausreisen oder die Stelle wechseln. Wer seinem «Sponsor » davonläuft, wird zur Fahndung ausgeschrieben und landet unter Umständen im Gefängnis. Es bleibt nichts anderes übrig, als weiterzuarbeiten. Einige der nepalesischen Arbeiter erzählten, dass sie nicht einmal nach dem grossen Erdbeben in Nepal von April 2015 heimreisen durften, um nach ihren Verwandten zu suchen.

Katarische Augenwischerei

Es ist nicht so, dass seit der weltweiten Kritik überhaupt nichts geschehen wäre. Das zuständige katarische «Supreme Committee for Delivery and Legacy» bemühe sich tatsächlich um Verbesserungen, anerkennt Amnesty. So hat das Komitee 2014 Sozialstandards eingeführt, die von den an WM-Projekten beteiligten Firmen bessere Arbeitsbedingungen einfordern. Dazu gehört auch eine anständige Unterbringung der Arbeiter. Bereits wurden neue Wohnsiedlungen für einige Tausend Arbeiter eingerichtet – mit Freizeitangeboten und modernen Zimmern. Sie werden wie potemkinsche Dörfer der Weltpresse vorgeführt, während die grosse Mehrheit der Arbeiter weiterhin in schäbigen und überfüllten Behausungen wohnen muss. Amnesty kritisiert, dass nur die grossen Baufirmen, nicht aber die vielen kleinen Subunternehmer kontrolliert würden. Und da bisher noch keine Firma gebüsst wurde, gibt es für diese keine Notwendigkeit, selbst Verbesserungen anzugehen. Mittlerweile hat der Emir Katars auch eine Reform des Kafala-Systems abgesegnet, die Ende 2016 in Kraft treten soll. Doch auch danach werden Arbeitsmigranten die Erlaubnis ihres Arbeitgebers einholen müssen, wenn sie die Arbeit wechseln oder das Land verlassen möchten. Sie bleiben damit ihren Arbeitgebern komplett ausgeliefert.


FIFA in der Pflicht

Die Vergabe der Fussball-WM an Katar im Jahr 2010 war von Anfang an von Kritik begleitet, nicht nur wegen des  Verdachts von Schmiergeldern, die den Ausschlag für das Emirat gegeben haben sollen. Man wusste um die Menschenrechtsverletzungen und die Ausbeutung von ausländischen Arbeitern. Doch trotz der Enthüllungen und Imageschäden hat die FIFA die katarische Regierung nie unter wirklichen Druck gesetzt und keine eigenen Kontrollen durchgeführt. Ob es unter dem Druck der Gross-Sponsoren Coca-Cola und Visa war, dass die FIFA Ende 2015 eine Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit eingerichtet hat? Fünf Jahre hat es gedauert, bis die FIFA einen Prozess für Nachhaltigkeit gestartet hat. Nun soll die Achtung aller international anerkannten Menschenrechte in die FIFA-Statuten aufgenommen werden. Dafür wurde der Menschenrechtsexperte John Ruggie engagiert, der die Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte massgeblich mitgeprägt hatte.
In seinem am 14. April erschienenen Bericht empfiehlt dieser der FIFA, die Einhaltung der Menschenrechte als Kriterium bei der Vergabe von WM einzubeziehen und bei Nichteinhaltung allenfalls mit dem Entzug der Gastgeberrolle drohen. Sollte die Fifa die Empfehlungen von Ruggie ignorieren, so könnte die Konzernverantwortungsinitiative helfen, sofern sie vom Schweizer Volk angenommen wird: Diese verlangt, dass Unternehmen wie auch Organisationen mit wirtschaftlichem Zweck und mit Sitz in der Schweiz gesetzlich  erpflichtet werden, die Einhaltung von Sorgfaltspflichten gegenüber Menschenrechten und Umwelt zu garantieren.

Mehr zur Konzernverantwortungsinitiative