Am 18. März 2016 einigten sich die Europäische Union (EU) und die türkische Regierung auf einen Deal mit drastischen Konsequenzen: Die EU sprach eine finanzielle Unterstützung von 6 Milliarden Euro und stellte die EU-Visafreiheit für Türkinnen und Türken in Aussicht. Im Gegenzug nimmt die Türkei all jene «irregulären Migranten und Migrantinnen» zurück, welche nach dem 20. März 2016 auf die griechischen Inseln gelangten.
Für Cyrielle Huguenot, Migrationsexpertin bei der Schweizer Sektion von Amnesty International, handelt es sich «um einen beschämenden Kuhhandel, der keinen anderen Zweck hat, als Flüchtlingen den Zugang zu Europa zu versperren.»
Die Vertragspartner sagen, dass die Türkei ein sogenanntes sicheres Drittland sei, in das Asylsuchende zurückgeschickt werden können, damit dort ihr Asylgesuch geprüft wird. «Aber die Türkei ist kein sicheres Drittland. Sie schafft Menschen in Länder aus, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, zum Beispiel Syrien, Irak und Afghanistan. Zudem werden die Rechte der Flüchtlinge nicht respektiert», führt Cyrielle Huguenot weiter aus.
In den vergangenen Monaten hat die Türkei ihre Landgrenze zu Syrien geschlossen. Nur noch Flüchtlinge, die dringend medizinische Hilfe brauchen, können passieren. Gemäss Untersuchungen von Amnesty International haben türkische Grenzwächter bei mehreren Vorfällen auf Menschen geschossen, die heimlich die Grenze queren wollten. Anwar Majanni, ein syrischer Richter, der nun in der Türkei lebt, bestätigt: «Besonders an den Grenzen zu den syrischen Provinzen Idlib und Hassaké werden häufig Schüsse auf Syrer an der Grenze abgegeben.»
Kein Lebensunterhalt
Die Türkei hat nicht genügend Mittel, um alle Asylgesuche zu bewältigen. Das bedeutet, dass Tausende von Asylsuchenden während Jahren ohne rechtlichen Status bleiben. Die grosse Mehrheit der Flüchtlinge muss sich ausserdem selbst eine Unterkunft suchen. Sie erhalten dabei keine Hilfe der Behörden. Viele der Migranten und Migrantinnen finden nur dank der Zuwendungen der Familie oder von religiösen Gemeinschaften eine Bleibe. So erging es der Syrerin Rima Aljajy, die sich mehrere Monate in der Türkei aufhielt, bevor sie Asyl in der Schweiz bekam: «Ich wohnte bei meiner Schwester, weil ich kein Geld hatte, um mir eine Unterkunft zu mieten. Zum Teil leben vier oder fünf syrische Familien in einer Wohnung. Wer kein Geld für die Miete hat, bleibt in den Flüchtlingslagern.» Die Kinder müssen oft arbeiten und steuern so ein wenig Geld zum Einkommen der Familien bei, mit dem das Nötigste bezahlt wird. «Manche Türken nützen die Anwesenheit der Syrer aus. Mein 14-jähriger Sohn musste in einem Restaurant 14 Stunden am Tag arbeiten», berichtet Rima Aljajy.
In der Türkei befinden sich gemäss UNHCR drei Millionen Asylsuchende oder Flüchtlinge – das ist mehr als in jedem anderen Land. Die EU-Staaten haben 2015 im Vergleich nur 8155 Menschen in kollektiven Aufnahmen aufgenommen. «Statt ihre Verantwortung einfach an die Türkei abzuschieben, sollte die EU ein grosses Programm starten, um Flüchtlinge direkt in den Krisenländern zu registrieren und danach in Europa willkommen zu heissen», sagt Amnesty- Expertin Cyrielle Huguenot.