Über eine Viertelmillion Menschen können erst einmal aufatmen: Das Oberste Gericht Kenias hat im Februar entschieden, dass Dadaab, das weltweit grösste Flüchtlingslager im Osten des Landes, nicht geschlossen werden darf. Richter John Mativo bezeichnete die geplante Schliessung als «diskriminierend ». Internationale Verträge und die kenianische Verfassung erlaubten keine Rückführung von Geflüchteten an Orte, an denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen.
In Dadaab zuhause
Amnesty hatte zwei kenianische Nichtregierungsorganisationen bei einer Klage unterstützt, die das Gerichtsverfahren ins Rollen brachte und die Vertreibung Hunderttausender Menschen verhinderte. Das Flüchtlingslager Dadaab entstand vor mehr als 25 Jahren. Zeitweise lebten dort eine halbe Million Menschen. Mehr als neunzig Prozent der BewohnerInnen stammen aus Somalia, wo Soldaten der Regierung sowie der Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen Einheiten der Islamistenmiliz al-Shabaab kämpfen. Hätte die kenianische Regierung unter Präsident Uhuru Kenyatta das Camp geschlossen, wären viele BewohnerInnen nach Somalia abgeschoben worden. Ein Amnesty-Bericht beschrieb 2016, wie einzelne BewohnerInnen, die sich unter Druck der kenianischen Regierung zur Rückkehr nach Somalia entschlossen hatten, danach wieder ins Lager Dadaab zurückkamen. In Somalia drohen Überfälle und Zwangsrekrutierungen durch die islamistische al-Shabaab. Ausserdem haben sie in dem gescheiterten Staat kaum eine Chance auf Gesundheitsversorgung, Arbeit und Lebensmittelsicherheit. Viele von ihnen sind in Dadaab aufgewachsen, so zum Beispiel die 21-jährige Aisha: «Dies ist mein Zuhause. Ich kann nirgendwo anders hingehen. Es gibt keinen Frieden. Es ist unmöglich zurückzukehren. » Selbst wenn die Lage in Dadaab gerade auch für Frauen sehr problematisch sein kann, weil ihnen Übergriffe drohen, so ist die Rückkehr nach Somalia noch angsteinflössender.
Vorbild Europa
Die kenianische Regierung will das Urteil des Obersten Gerichts anfechten. Sie hatte das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) im April 2015 erstmals dazu aufgefordert, das Lager zu schliessen. Auslöser für diesen Schritt war die Ermordung von 147 Studierenden der Universität Garissa durch al-Shabaab- Milizionäre. Die Regierung behauptet, dass Mitglieder der Miliz in dem nur 100 Kilometer von Garissa entfernten Flüchtlingslager Unterschlupf finden, lieferte dafür jedoch bislang keine Beweise. Der britische Menschenrechtler und Autor Ben Rawlence sieht einen Zusammenhang zwischen der Schliessungsdrohung und dem EU-Türkei-Abkommen: «Kenia hat gesehen, dass die Türkei drei Milliarden Euro zugesichert bekommen hat, um Flüchtlinge zu versorgen. Die Regierung feilscht um Geld.»