Wenn Tawakkol Karman den Raum betritt, ist es ein bisschen so, also ob ein frischer Wind durchs Zimmer wehe. Ihre Lebensfreude und ihren Enthusiasmus spürt man sofort. Wenn die 38-Jährige spricht, lächelt sie sanft und untermalt ihre Worte mit ausladenden Handbewegungen. «Ich kämpfe nicht nur für die Rechte von Frauen», sagt sie. «Ich kämpfte für die Rechte aller Menschen – und besonders für die Meinungsfreiheit.» Im Jemen wurde sie 2011 zum Gesicht des Arabischen Frühlings. Schon 2007 organisierte sie in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa studentische Demonstrationen, um gegen die Menschenrechtsverletzungen unter Präsident Ali Abdullah Saleh zu protestieren.
«Ich konnte nicht darauf warten, dass jemand anderes aktiv wird. Ich sagte mir: Ich muss zuvorderst dabei sein, um meinem Volk zu helfen!» Die Journalistin setzte sich mit Haut und Haaren für die Revolution ein, auch wenn das am Anfang nicht einfach war. «Ja, es war schwierig. Anfangs lachten die Leute mich aus und fragten, was ich als Frau schon erreichen könne.» Aber sie liess sich nicht entmutigen. «Ich ging von Haus zu Haus, um den Leuten zu sagen, dass sie ihre Augen für die Lage im Jemen öffnen sollten.»
Die Menschen fingen an, der jungen Frau zuzuhören. Als sich die Proteste 2011 ausweiteten, wurde Tawakkol Karman von der Regierung inhaftiert. «Ali Abdullah Saleh wollte mich zum Schweigen bringen», sagt sie. «Aber er erreichte nur, dass meine Stimme noch lauter ertönte.»
Mutter der Revolution
«Wenn eine Frau eine Führungsrolle übernimmt, ohne Angst zu haben, dann folgen ihr die Menschen, selbst die Konservativen.»
Auf den Strassen protestierten Menschen für ihre Freilassung. Als sie schliesslich das Gefängnis verlassen durfte, stand sie an der Spitze der Protestbewegung. «Mutter der Revolution» wurde sie fortan genannt. «In meinem Land werden Frauen durchaus respektiert », sagt sie. «Wenn eine Frau sich dazu entscheidet, aufzustehen, sich für die Freiheit zu engagieren und sich für die Menschenrechte zu opfern, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Mann und Frau.» Es gebe Leute, die sie sogar als zukünftige Präsidentin des Landes sehen. «Wenn eine Frau eine Führungsrolle übernimmt, ohne Angst zu haben, dann folgen ihr die Menschen, selbst die Konservativen.»
Tawakkol Karman kam 1979 in Taizz im Südwesten des Jemen zur Welt. Mit ihren neun Geschwistern wächst sie in einer Umgebung auf, die keine Unterschiede zwischen Buben und Mädchen machte. Ihr Vater, der Politiker Abd as-Salam Karman, ermutigt sie früh dazu, Zeitung zu lesen. So lernt sie, selbstständig zu denken. Nach ihrer Schulzeit unterstützt ihre Familie sie dabei, Ökonomie und politische Wissenschaft in Sanaa zu studieren. Zu dieser Zeit beginnt auch ihre Laufbahn als Publizistin: Tawakkol Karman schreibt Artikel für die Universitätszeitung und veröffentlicht Texte im Internet. Im Jahr 2005 gründete sie im Jemen die Organisation «Journalistinnen ohne Ketten». Die NGO bringt jungen Menschen – insbesondere Frauen – das journalistische Handwerkszeug bei, um sich in die öffentlichen Debatten des Landes einmischen zu können.
Tawakkol Karman ist 32 Jahre alt, als ihr die norwegische Königsfamilie am 7. Oktober 2011 die Medaille des Friedensnobelpreises überreicht. Das Nobelpreiskomitee ehrt Karman gemeinsam mit zwei Liberianerinnen für ihren Kampf um «die Sicherheit von Frauen» und deren «volle Teilhabe an der Schaffung von Frieden».
Die Auszeichnung hat ihren Namen weltweit bekannt gemacht. Aber Tawakkol Karman unterscheidet nicht zwischen der Zeit vor und der Zeit nach dem Nobelpreis. «Mein Kampf bleibt derselbe», sagt sie. Allerdings hat ihr der Nobelpreis erlaubt, sich international zu vernetzen. Ihre Botschaft erreicht nun eine Weltöffentlichkeit. «Das hat mir ermöglicht, den Konflikt in meiner Heimat sichtbarer zu machen», sagt sie. Der Austausch mit Aktivistinnen und Aktivisten aus an deren Ländern hat sie dafür sensibilisiert, dass der Kampf um die Menschenrechte global geführt wird. «Ich hatte mich jahrelang sehr auf den Jemen konzentriert, auf den friedlichen Protest, auf die Situation junger Menschen und Frauen in meinem Land.»
Hoffen auf Frieden
Wenn sie über die gegenwärtige Situation in ihrer Heimat zu sprechen beginnt, verschwindet das Lächeln aus ihrem Gesicht, ihr Ton wird ernst. «Wir leiden heute unter einer Konterrevolution, unter einem schrecklichen Krieg. Es ist wichtig, dass die Welt das erfährt.» In den Augen der Jemenitin sind für diesen Krieg der ehemalige Präsident Ali Abdullah Saleh und die Huthi-Rebellen verantwortlich, schiitische Milizen aus dem Norden des Landes, die vom Iran unterstützt werden. Es sei ein Rachefeldzug, organisiert vom Ex-Diktator, der 2012 durch die Revolution aus dem Amt gejagt worden war.
Doch auch die Gegenseite macht sich massiver Kriegsverbrechen schuldig, wie Amnesty International dokumentiert. Die Anhänger von Staatschef Abed Rabbo Mansur Hadi werden von den sunnitischen Golfstaaten unter Führung Saudi-Arabiens mit Luftangriffen unterstützt. Ihre Streubomben treffen Wohngebiete, Krankenhäuser, Märkte und Schulen.
«Dieser Krieg muss beendet werden», sagt Tawakkol Karman. «Aber das wird scheitern, wenn wir nicht einen nachhaltigen Frieden anstreben.» Tawakkol Karman verliert ihre Hoffnung nicht. Sie ist überzeugt, dass die Menschen nichts mehr wollen als Frieden. Und dass sie Frieden verdient haben.