Verhüllen verboten
Hast du schon über die nächste Mottoparty nachgedacht? Vielleicht möchtest du als Einhorn verkleidet dorthin spazieren?
Tja, Pech gehabt: Seit Oktober 2017 gibt es in Österreich staatliche Bekleidungsvorschriften. Kleidungsstücke, die das Gesicht verhüllen, musst du ab sofort zu Hause lassen. Ansonsten riskierst du eine Geldstrafe (150 Euro). Der Gesetzgeber versteht leider keinen Spass. In Österreich gibt es mehr und mehr Versuche, hart erworbene Grundrechte einzuschränken.
Was für Unruhe sorgt, wird ausgenutzt, um Ängste zu schüren und populistische Anlassgesetze zu verabschieden – wie das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, auch bekannt als «Burkaverbot». Ursprünglich war es dazu gedacht, um eine sehr überschaubare Anzahl an Burkaträgerinnen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Amnesty International Österreich hat sich von Anfang an klar gegen die Regelung ausgesprochen.
Natürlich muss sich der Staat für Frauen einsetzen, damit sie Kleidungsstücke wie die Burka nicht gegen ihren Willen tragen. Genau diese Frauen zu bestrafen ist jedoch unsinnig. Das Gesetz drängt sie noch mehr in die Isolation. Ausserdem verletzt es das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit und Privatleben. Die Reaktionen auf Stellungnahmen von Amnesty waren teilweise heftig. «Die da» – also die anderen – sollen sich gefälligst anpassen. Doch als das Gesetz in Kraft trat, verstummten plötzlich seine BefürworterInnen: Die gesetzeskonforme Anwendung des «Burkaverbots» führt dazu, dass nicht nur Burkaträgerinnen Geldstrafen und Anzeigen riskieren, sondern auch Menschen in Einhornkostümen oder frierende JoggerInnen, die den Schal vor den Mund ziehen.
Das «Burkaverbot» mag absurde Schlagzeilen produzieren. Doch der Hintergrund ist ernst: Ähnliche Grundlagen, die unser Privatleben (und nicht nur jenes «der anderen») einschränken, gibt es in zahlreichen anderen Gesetzen wie im Versammlungsrecht oder beim Überwachungspaket. Sie betreffen letztendlich nicht einfach nur «die anderen», sondern uns alle. Deshalb ist es wichtiger denn je, gemeinsam für unsere Menschenrechte einzustehen.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
Der Staat liest mit
Privatsphäre ist die Grundlage dafür, weitere Menschenrechte in Anspruch zu nehmen und sich gesellschaftlich zu engagieren. Wer Angst hat, überwacht zu werden, sagt weniger frei seine Meinung Doch das sogenannte G10-Gesetz erlaubt dem deutschen Geheimdienst BND die anlasslose Massenüberwachung von Auslandsgesprächen, E-Mails oder Chats. Deshalb hat Amnesty Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht und fordert, dass Überwachung nur zielgerichtet aufgrund eines Verdachtes erfolgen darf. Ansonsten würde das Menschenrecht auf Privatsphäre verletzt.
Die unkontrollierte Überwachung kann sogar den Kampf für die Menschenrechte gefährden. Denn wenn ein Opfer von Menschenrechtsverletzungen befürchten muss, dass Geheimdienste heimlich mitlesen oder mithören, wendet es sich vielleicht nicht mehr vertrauensvoll an Menschenrechtsorganisationen
Es ist ein trauriger Trend: Immer mehr Gesetze untergaben die Freiheitsrechte. Immer öfter werden sie ohne ausreichende Debatte in Nacht-und-Nebel-Aktionen verabschiedet. Kritikerinnen und Kritikern bleibt nur der Gang ans Bundesverfassungsgericht. Ob es um die Vorratsdatenspeicherung für Kommunikationsdaten aller Menschen in Deutschland geht, um die staatlich eingesetzte Überwachungssoftware («Bundestrojaner»), um erlaubte Massenüberwachung oder eben um das G10-Gesetz: In allen Fällen sind Klagen der Zivilgesellschaft angekündigt oder anhängig.
Diese Entwicklung ist gefährlich, denn die politische Debatte gehört ins Parlament. Der Gang zum Gericht darf nicht zu einem von der Regierung einkalkulierten Standardprozedere werden, frei nach dem Motto: Wir beschliessen zuerst Gesetze und lassen sie dann von anderen auf ihre Rechtmässigkeit prüfen. Denn das zeigt nicht nur mangelnden Respekt vor den Menschenrechten. Es untergräbt auch die Demokratie.
Lena Rohrbach, Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty Deutschland
Sie machen Gurkensalat
Ausgerechnet aus der Schweiz kommt einer der radikalsten Angriffe auf den europäischen Menschenrechtsschutz, der nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu fördern. Die Schweizer Volkspartei (SVP) verlangt mit ihrer Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», dass ein Vorrang des Landesrechts über dem Völkerrecht in der Verfassung verankert wird.
Was harmlos klingen mag, wäre in der Tat fatal. Bei einer Annahme der SVP-Initiative müsste die Schweiz über kurz oder lang aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) austreten, weil sie im Konfliktfall weder die Konvention noch die Urteile des Gerichtshofes anwenden könnte. Schon heute sendet der Vorstoss ein gefährliches Signal an Staaten wie Russland oder die Türkei, welche die Konvention verabscheuen, weil sie häufig für Verletzungen verurteilt werden.
Voraussichtlich in einem Jahr werden die Stimmberechtigten über die Initiative abstimmen. In Zeiten, in denen ein Teil der Bevölkerung die Menschenrechte vor allem als Privileg von Flüchtlingen und Kriminellen sieht, in Zeiten der populistischen Bewegungen gegen «Fremde» und «Eliten», ist es nicht ausgeschlossen, dass die Initiative gegen «fremde Richter» eine Mehrheit findet. Die SVP, die stärkste Partei im Land, hat in Abstimmungen über ihre Initiativen – z.B. für ein Minarettverbot – immer wieder knappe Mehrheiten gewonnen.
Nur geht es diesmal nicht um einen problematischen Ein-Thema-Vorstoss, sondern um einen frontalen Angriff auf das Rechtssystem und die Beziehungen der Schweiz zum Ausland. Die Initiative hat nicht nur das Potenzial, den Menschenrechtsschutz in der Schweiz auszuhebeln, sondern auch Politik und Recht nachhaltig durcheinanderzuwirbeln. Der Anarcho-Slogan der 1980er Jahre ist heute zum Motto der rechtsnationalen Volkspartei geworden: «Macht aus dem Staat Gurkensalat!»
Patrick Walder, Kampagnenkoordinator Amnesty International Schweiz