Die Schweizer Medienwelt ist im Umbruch: Verlage fusionieren, Zeitungstitel verschwinden, Medienschaffende verlieren ihre Jobs. Diese Umwälzungen haben das Auftauchen neuer Akteure begünstigt: Sogenannte alternative Nachrichtenportale haben im Internet zum ideologischen Kampf gegen die traditionellen Medien geblasen – wie beispielsweise die Webseite lesobservateurs.ch.
Der pensionierte Mediensoziologe Uli Windisch hat das Nachrichtenportal gegründet. Für ihn sind keine Worte hart genug, um die klassischen Medien zu geisseln: Sie seien ein «Hort linken Gutmenschentums» und manipulierender Fehlinformationen. Er sei stolz darauf, dass sich unter seinen Redaktoren kein einziger professioneller Journalist befinde und dass er Medientrainings für junge Leute mitorganisiert, «die in diesem Bereich arbeiten möchten, aber den linken Journalistenschulen entfliehen wollen».
Wir werden von einer korrupten Elite regiert, die uns in Komplizenschaft mit den Medien belügt – diese Schreckensvision des Populismus ist auch eine Grundannahme der «alternativen » Medienschaffenden. Ist das Portal lesobservateurs.ch also populistisch? Chefredaktor Uli Windisch lehnt den Begriff nicht ab, auch wenn er den Ausdruck «populär» bevorzugt.
Laut dem Soziologen Thomas Jammet verbreitet das Portal einen anti-elitären Diskurs sowie «fremdenfeindliche Rhetorik, die Angst vor der Islamisierung Europas» schürt. Weltbilder, die der Historiker Damir Skenderovic als charakteristisch für den Rechtspopulismus bezeichnet: eine vertikale Opposition, «die Idee eines homogenen Volkes, das sich einer korrupten Elite entgegenstellt», und eine horizontale Opposition, «die zwischen denjenigen unterscheidet, die Teil der Gemeinschaft sind, und ‹den Anderen›».
Die Webseite lesobservateurs.ch ist seit sechs Jahren online und wird inzwischen täglich von 10 000 bis 20 000 Menschen besucht, sagt ihr Gründer. Wichtiger als die Zahl der Leserinnen und Lesern ist aber die Vernetzung, die weit über die Landesgrenzen hinausgeht: «Unsere Webseite ist Teil eines Netzwerks von etwa zehn Webseiten, insbesondere französischsprachigen », sagt Uli Windisch. «Es ist ein globales Projekt, mit der Idee, einen echten politischen Gedankenstrom zu schaffen.»
In einer Sache sind sich der Soziologe Thomas Jammet und der lesoservateur.ch-Gründer Uli Windisch einig: Die Schweiz löst in den Kreisen der alternativen Mediensphäre «Faszination» aus. Das zeigt sich auch darin, dass Menschen wie Uli Windisch in ausländischen alternativen Medien oft zu Wort kommen. Es ist insbesondere die direkte Demokratie, die die Aufmerksamkeit von populistischen Bewegungen in ganz Europa auf sich zieht. Und historisch gesehen hat die direkte Demokratie den Aufstieg des Rechtspopulismus in der Schweiz begünstigt.
Rechtspopulisten «wussten die direktdemokratischen Instrumente wie die Volksinitiative zu nutzen, als sie im Parlament noch schwach waren, und konnten so die Menschen und Debatten weit über ihre zahlenmässige Stärke hinaus beeinflussen.Damir Skenderovic, Historiker
Der Historiker Damir Skenderovic erklärt: Rechtspopulisten «wussten die direktdemokratischen Instrumente wie die Volksinitiative zu nutzen, als sie im Parlament noch schwach waren, und konnten so die Menschen und Debatten weit über ihre zahlenmässige Stärke hinaus beeinflussen. Das ist einer der Gründe, warum die Schweiz beim Rechtspopulismus in Europa eine Vorreiterrolle spielte.» In der Schweiz sei mit der «Nationalen Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat » schon in den sechziger Jahren eine moderne populistische Partei gegründet worden, «lange vor Ländern wie Frankreich, Österreich oder den Niederlanden, und hier fand auch die erste Abstimmung gegen Immigration in Europa statt».
Ein Land, mehrere Realitäten
Für die Deutschschweiz relativieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Einfluss alternativer Medien. «Es gibt einige Webseiten wie legitim.ch, Alles Schall und Rauch oder Swiss Propaganda, und ihnen allen ist gemein, dass sie den Medien ein ‹Einheitsdenken› vorwerfen», erklärt Linards Udris, Mediensoziologe an der Universität Zürich. «Doch deren Publikum ist noch begrenzt, ausser bei einzelnen Nachrichten, die in sozialen Netzwerken manchmal plötzlich viral gehen.»
Dafür seien Zeitungen und Zeitschriften in der deutschsprachigen Schweiz eher geneigt, populistische Thesen zu verbreiten, als in der Westschweiz, stellt Thomas Häussler, Kommunikations- und Medienwissenschaftler an der Universität Bern, fest. «Wir sehen in den klassischen Medien der Deutschschweiz mehr Rechtspopulismus.» Das Beispiel der Weltwoche kommt einem sofort in den Sinn: Seit der Übernahme durch Roger Köppel, der für die SVP in den Nationalrat gewählt wurde, ist die Wochenzeitung zur «Zeitung der Neuen Rechten in der Deutschschweiz» geworden, beobachtet Damir Skenderovic.
Einen Rechtsruck gebe es aber auch bei anderen Titeln wie der NZZ. Für Linards Udris hat diese Entwicklung letztlich mehr Einfluss auf die öffentliche Meinung als die wenigen, neu entstandenen alternativen Medien. Zudem dominiere Christoph Blocher den Blätterwald immer stärker: Nach der Weltwoche und der Basler Zeitung hat Blochers BaZHolding im vergangenen Sommer 25 lokale deutschsprachige Gratisblätter gekauft und damit eine Leserschaft von mehr als einer Million Menschen gewonnen, wie Le Temps errechnet hat.
«Wir müssen nicht nur darauf achten, was die Medien produzieren, sondern auch darauf, was die Leser damit machen.» Thomas Häussler, Kommunikationswissenschaftler
Der Kommunikationswissenschaftler Thomas Häussler weist auf ein weiteres Phänomen hin: «Wir müssen nicht nur darauf achten, was die Medien produzieren, sondern auch darauf, was die Leser damit machen.» Er zitiert als Beispiel den Blick: «Während sich die redaktionelle Linie bei Themen wie Migration eher nach links verlagert hat, haben die Leserkommentare der Zeitung eine ganz andere Ausrichtung: Die Online-Kommentarspalten sind zu einer Plattform für die Verbreitung rechtspopulistischer Ansichten geworden, die oft den Artikeln diametral entgegenstehen.»
Der Politologe Daniel Drezner stellt fest, dass in den USA «Menschen, die mehr rechts positioniert sind, überhaupt nicht mehr an Informationen aus linksgerichteten Medien glauben und umgekehrt». Gibt es in der Schweiz ebenfalls eine solche Polarisierung? Gewiss, die alternativen Nachrichten- und Medienseiten beschuldigen die traditionellen Medien aufs Heftigste, sie seien «Lügner». Und die traditionellen Journalistinnen und Journalisten bezeichnen wiederum die alternativen Portale als Verbreiter von Fake News.
«Hierzulande ist die Polarisierung der Öffentlichkeit noch nicht so weit fortgeschritten wie in den USA.» Olivier Voirol, Soziologe an der Universität Lausanne
Aber hierzulande ist die Polarisierung der Öffentlichkeit noch nicht so weit fortgeschritten wie in den USA, sagt Olivier Voirol, Soziologe an der Universität Lausanne. «In Europa und in der Schweiz sind wir nicht an diesem Punkt, auch wenn ich glaube, dass wir in diese Richtung steuern.» Sein Kollege Linards Udris weist darauf hin, dass zwar durchaus abgeschlossene Gemeinschaften entstehen, in denen Informationen zirkulieren. Aber auch er relativiert deren Bedeutung und stellt vor allem das Vertrauen in die traditionellen Medien in den Vordergrund, das in der Schweiz im internationalen Vergleich nach wie vor hoch sei.
Wichtiger als die zahlenmässige Grösse des Publikums dieser digitalen Seiten ist die Frage nach der Verbreitung der dort behandelten Themen: «Wir befinden uns heute in einem Umfeld, in dem solche Inhalte auf einfache Weise aufgenommen, gelesen und verbreitet werden können», betont Olivier Voirol. «Vor allem aber ist die Art und Weise, wie die Themen der extremen Rechten innerhalb weniger Jahre in die Welt der klassischen Rechten eingedrungen sind, ein äusserst aktuelles und mächtiges Phänomen.»