Ein Laufsteg aus Sandsäcken: Nach starken Regenfällen in einem Vorort von Dakar behilft sich die Bevölkerung mit Notlösungen. © Keystone/AP/Rebecca Blackwell
Ein Laufsteg aus Sandsäcken: Nach starken Regenfällen in einem Vorort von Dakar behilft sich die Bevölkerung mit Notlösungen. © Keystone/AP/Rebecca Blackwell

MAGAZIN AMNESTY Klimawandel und Menschenrechte Dakar im Matsch

Von Sabine Cessou. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2018.
Während Teile von Senegal mit der Dürre kämpfen, hat der Klimawandel in der Region rund um die Hauptstadt Dakar gegensätzliche Konsequenzen: Bei jederRegenzeit kommt es zu schweren Überschwemmungen. Gleichzeitig steigt der Meeresspiegel an.

Rund 250'000 Betroffene finden sich in Dakar Jahr für Jahr inmitten von stehendem Wasser wieder. In den Lachen vermehren sich die Larven in Massen. Seit 2015 bilden sich diese Wasserflächen immer wieder in jenen Vorstädten, wo der Grundwasserspiegel zu nah an der Erdoberfläche liegt. Sie lassen ein Cholerarisiko entstehen, das die Behörden mit der grosszügigen Verteilung von Javelwasser und Plastikeimern eindämmen. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Elendsviertel in der Agglomeration von Dakar, in Pikine und Guédiawaye, müssen jedes Jahr zusehen, wie die Sickergruben überlaufen und sich stinkende Tümpel bilden. Abhilfe schaffen sie, wie es eben geht: Sie stellen Zementsteine oder die Gehäuse von Autobatterien unter ihre Möbel – und begegnen dem Übel bis zur nächsten Trockenzeit mit Geduld. Die ImmobilienbesitzerInnen sind beunruhigt, aber machtlos. Laut der französischen Botschaft in Dakar waren in Pikine 8000 Gebäude in einem Gebiet von 150 Hektaren von den Überschwemmungen im Jahr 2012 betroffen. Dabei kamen 26 Menschen ums Leben, 264'000 waren insgesamt betroffen und 5000 Familien mussten umgesiedelt werden. Die Weltbank schätzt die von Überschwemmungen bedrohten Vermögenswerte in Dakar auf 40 Milliarden Euro, das doppelte des Bruttosozialprodukts des westafrikanischen Landes.

Die Stadtbezirks-verwaltungen müssen jedes Jahr Notfall-Pumpeinsätze organisieren.

Ein strukturelles Problem  

Zwar erliessen die Behörden 2012 einen Zehnjahresplan zur Bekämpfung der Überschwemmungen, konnten dem vom Klimawandel herrührenden strukturellen Problem jedoch nichts entgegensetzen. Die Stadtbezirksverwaltungen müssen denn auch jedes Jahr wieder Notfall-Pumpeinsätze organisieren. Die Koordination der behördlichen Reaktion krankt nicht zuletzt an der Bürokratie und den Unwägbarkeiten der senegalesischen Demokratie. «Ich sage es nicht gerne, aber seit dem Rücktritt Senghors 1980 herrscht in Dakar das Chaos!», betont der bekannte Architekt Pierre Goudiaby. Er moniert immer wieder das Fehlen einer städtebaulichen Planung, welche die lokalen, regionalen und nationalen Entscheidungsebenen koordiniert. Die herrschende Anarchie führt dazu, dass die Bevölkerung die Umsetzung von Grossprojekten bisweilen teuer bezahlt. So im armen Quartier «Irrégulier Sud» in der Gemeinde Pikine mit seinen 300'000 EinwohnerInnen, das über keinerlei Abwasserplanung verfügt und deshalb seit 2013 von den Überschwemmungen noch stärker betroffen ist. Der Grund dafür sind die Topografie, unkontrolliertes Wachstum und eine Kanalisation, die im Hintertreffen ist. Überdies durchquert eine neue, vom französischen Baukonzern Eiffage gebaute Autobahn das Quartier. Sie verbindet Dakar mit der Satellitenstadt Diamniadio und dem neuen Flughafen. Das schwergewichtige Bauwerk ruht auf Pfeilern aus Betonblöcken, die zur weiteren Absenkung des bereits unter dem Meeresspiegel liegenden Bodens beitrugen. Eine Rolle spielt auch eine politische Rochade: Der vormalige Stadtpräsident von Dakar, Khalifa Sall, war bei der Bevölkerung beliebt, weil er versuchte, ihre alltäglichen Probleme zu lösen. Doch als er gedachte, den aktuellen Präsidenten des Landes, Macky Sall, bei den Präsidentschaftswahlen 2019 herauszufordern, wurde er im März 2017 wegen Betrug und Unterschlagung verhaftet und damit aus dem Rennen gedrängt. Im März 2018 wurde der Herausforderer zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Noch vor diesem Intermezzo hatte sich die Präsidialbehörde auf das Überschwemmungsproblem gestürzt, das Jahr für Jahr Wut und Empörung provoziert. Schliesslich wurden ganze Quartiere im Rahmen einer ambitiösen, aber aussichtslosen Umsiedlungspolitik verlegt. Das vom ehemaligen Präsidenten Abdoulaye Wade 2006 lancierte Projekt Jaxaay («Adler» auf Wolof) führte zur Umsiedlung von 30'000 Menschen in 3000 subventionierte Häuser in Keur Massar, einer anderen Vorstadt von Dakar. Allerdings haben Landflucht und Armut dazu geführt, dass die Elendsviertel der Vorstädte sofort wieder besiedelt wurden. In der dicht besiedelten Hauptstadtregion von Dakar lebt ein Viertel der landesweiten Bevölkerung, das sind zwischen 3 und 4 Millionen Menschen, auf engem Raum.

Anstieg des Meeresspiegels

Eine andere nicht zu übersehende Auswirkung des Klimawandels ist der Anstieg des Meeresspiegels, der die ganze Küstenregion bedroht. Besonders den Inseln der Casamance, im Süden des Landes, sowie der Tourismusregion Petite-Côte werden die Fluten des Atlantiks gefährlich. Dort, wo die Wellen schon die Gärten schöner Ferienanwesen überschwemmen, vermag das Vordringen des Ozeans die Gemüter zu bewegen. Das Zurückweichen der Küstenlinie wird auch in der nördlichen Stadt Saint-Louis – von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt – zum Problem.

«Ökologie zum Showbusiness geworden ist: Alle reden davon und niemand tut etwas». Ali El Haïdar,  Präsident des Verbandes senegalesischer Umweltorganisationen

Das Phänomen betrifft aber auch die Hauptstadt: Dakar liegt auf der Cap-Vert-Halbinsel, der am   weitesten in den Atlantik hinausreichenden Landzunge Afrikas. Die Fakten lassen sich kaum mehr verleugnen.Laut einer Studie der Stadtverwaltung von Rufisque unweit von Dakar trotzt der Ozean dem Kontinent rund einen Meter Küste jährlich ab. Die Stadt liess 2013 in Thiawlène einen 730 Meter langen Damm errichten, und zwar im Beisein von Ali El Haïdar, dem Präsidenten des Verbandes senegalesischer Umweltorganisationen (Fedes) und ehemaligem Umwelt- und Fischereiminister. Er verlor seinen Ministerposten rasch, weil er gegen die Korruption ankämpfte, Ali El Haïdar bemängelt immer wieder, dass «Ökologie zum Showbusiness geworden ist: Alle reden davon und niemand tut etwas». Der Damm ist denn in Senegal auch der einzige seiner Art geblieben. Die Aufrufe der vor Ort nach wie vor einflussreichen religiösen Führer, weitere solche Projekte zum Schutz der küstennahen Quartiere zu lancieren, verhallten weitgehend ungehört. Auch hier fehlt es an einer koordinierten behördlichen Strategie. In einer Nachbarstadt von Thiaroye sind ganze Häuserblocks entlang der Küste eingestürzt, ohne dass dies Aufsehen erregt hätte. Nicht einmal für den Greenpeace-Ableger in Senegal ist das Problem prioritär. Er konzentriert sich auf die illegale Fischerei in den westafrikanischen Gewässern, die zur Dezimierung der Fischbestände führt und den einheimischen Fischern ihre Erwerbsgrundlage entzieht.

Ein Schulbeispiel

Die EinwohnerInnen von Bargny, einer 30 Kilometer von Dakar entfernten Stadt, wollen wirksamere Taten. Sie protestierten an den Klima-Vertragsstaatenkonferenzen (COP) in Paris und Marrakesch. Ihre Stadt gibt ein Schulbeispiel für die aktuelle ökologische Katastrophe in Afrika ab: Dutzende Häuser fielen den anrollenden Fluten zum Opfer, aber Bauland zur Umsiedlung der Betroffenen fehlt. Die Stadtbehörden haben es für den Bau zweier Kohlekraftwerke reserviert; diese haben für die von Stromunterbrüchen heimgesuchte Stadt Vorrang – auch wenn sie die Luft verschmutzen und Bargny zusätzlich zum Anstieg des Meeresspiegels ein weiteres Gesundheitsproblem aufhalsen werden. Das Sekretariat der Vereinten Nationen für Risikominderung hatte bereits am 28. Januar 2014 Alarm geschlagen. «Der Klimawandel ist im Begriff, Senegal unter Wasser zu setzen», warnte Margareta Wahlstrom, an die sich Bürgermeister auf der Suche nach internationaler Hilfe gewandt hatten. Auf einen Aktionsplan wartet man vier Jahre später immer noch vergeblich, obschon der damalige Innenminister Abdoulaye Daouda Diallo als Erster eingeräumt hatte, die fehlende Koordination in Sachen Zivilschutzstelle im Falle einer Naturkatastrophe «eine der grössten Schwächen» Senegals dar.