Diskriminiert wegen Diabetes
Der junge Mann freute sich auf die Rekrutenschule. Da wurde bei ihm Diabetes diagnostiziert. Hans Glors Sohn wollte trotzdem seinen Militärdienst leisten, er wurde jedoch für untauglich erklärt. Auch für den Zivildienst wollte man ihn nicht zulassen. Rund 700 Franken Wehrpflichtersatz pro Jahr sollte er bezahlen. Der Sohn schrieb viele Briefe, sogar an den damaligen Bundesrat Samuel Schmid. Alle erfolglos. Dann zogen der Vater und Sohn vor Gericht. Der Vater erklärt: «Mein Sohn freute sich, im Militär einen Beitrag für unsere Schweiz zu leisten. Schliesslich durfte er nicht dienen, sollte aber Wehrpflichtersatz bezahlen, das empfanden wir als unfair.»
Das Bundesgericht lehnte 2004 die Beschwerde seines Sohnes aber ab. Nur Personen mit einem Invaliditätsgrad von mehr als 40 Prozent seien von der Pflicht zur Zahlung des Wehrpflichtersatzes ausgenommen, begründete das Gericht seinen Entscheid. Der IV-Grad von Hans Glors Sohn sei jedoch tiefer als 40 Prozent.
«Als ich beschloss, den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuziehen, sagten alle, ich sei total verrückt», sagt Hans Glor. Er erkundigte sich im Internet, wie er vorgehen muss. Mit Erfolg: Die Richterinnen und Richter in Strassburg kamen 2009 zum Schluss, dass es möglich sein sollte, leicht behinderten Personen entweder in der Armee eine Funktion anzubieten, die sie trotz ihrem Gebrechen ausüben können, oder sie aber zum Zivildienst zuzulassen. Das Gericht bestätigte, was Hans Glor immer gewusst hatte: Die Ersatzpflicht war diskriminierend. Dank diesem Entscheid haben heute leicht behinderte Männer die Wahl zwischen Ersatzzahlungen oder Militärdienst.
Zu Unrecht weggesperrt
Man nahm ihr das Kind weg, sperrte sie mit 17 Jahren ins Frauengefängnis Hindelbank: Zu dieser «erzieherischen Massnahme» griff die Vormundschaftsbehörde 1966, weil Ursula Biondi sich in einen geschiedenen, sieben Jahre älteren Mann verliebt hatte und mit 17 schwanger wurde. «Die Zeit in Hindelbank hat tiefe seelische Wunden und eine jahrzehntelange Stigmatisierung hinterlassen. Sie nahmen mir mein Kind und meine Würde weg. Zehntausende von Menschen wurden so vom Staat gebrochen.» Ein Jahr lang verbrachte Ursula Biondi als sogenannte «administrativ Versorgte» ohne Gerichtsurteil in der Frauenstrafanstalt.
Kaum war ihr Sohn geboren, wurde er ihr weggenommen, um ihn zur Adoption freizugeben. «Ich durfte ihn nicht in den Arm nehmen. Sie sagten mir nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.» Ursula Biondi wehrte sich und schaffte es, ihren Sohn zehn Tage lang bei sich zu haben. Dann nahm man ihn ihr ein zweites Mal weg – für immer, wie sie sagten.
Nach drei Monaten erhielt sie ihr Kind nach einem unerbittlichen Kampf und mit viel Glück zurück. Daraufhin musste sie fünf weitere Monate mit ihrem Sohn im Gefängnis verbringen, bevor sie knapp 18-jährig wegen «guter Führung» entlassen wurde. Die junge Frau gründete in Genf eine Familie und machte Karriere in einer Organisation der Uno. Doch all das half nicht, um das Stigma «Hindelbank» loszuwerden. Die Ungerechtigkeit quält Ursula Biondi bis heute. Erst viele Jahre später hat sie den Mut gefunden, öffentlich über ihre Geschichte zu reden und zusammen mit anderen betroffenen Frauen eine moralische Wiedergutmachung von den Behörden zu fordern.
Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen wurden bis 1981 ohne Gerichtsverhandlung wegen «liederlichen Lebenswandels», «Vaganterei» oder «Arbeitsscheue» eingesperrt. Erst unter Druck der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) passte die Schweiz 1981 das Zivilgesetzbuch entsprechend an. Die administrative Verwahrung gibt es seither nicht mehr. Erst nach Jahrzehnten, am 1. August 2014, trat in der Schweiz ein Gesetz in Kraft, das administrativ versorgte Menschen bis 1981 rehabilitierte.
Verhaftet und gefoltert
Er durfte nicht in der Schweiz bleiben, befand das damalige Bundesamt für Migration (BFM) 2009. Sein Asylgesuch, wie auch das seiner Frau, wurde abgelehnt. Erfolglos hatte der aus Sri Lanka stammende Asylsuchende X.* die politische Verfolgung in seiner Heimat geltend gemacht und dass er als ehemaliges Mitglied der Tamil Tigers im Gefängnis gewesen und misshandelt worden sei. X. rekurrierte, doch das Bundesverwaltungsgericht wies seine Beschwerde ab.
Schliesslich wurden X., seine Frau und die beiden kleinen Kinder 2013 nach Sri Lanka ausgeschafft. Bereits bei ihrer Ankunft am Flughafen von Colombo wurde die gesamte Familie festgehalten und während 13 Stunden verhört. Die Frau und die Kinder kamen danach wieder auf freien Fuss, doch X. wurde in ein Gefängnis gebracht, wo man ihn misshandelte. Ein Vertreter der schweizerischen Botschaft besuchte X. im Gefängnis, woraufhin die schweizerischen Behörden Frau und Kinder zurück in die Schweiz holten. Auch ein zweiter weggewiesener Tamile erfuhr nach seiner Ankunft in Colombo dasselbe Schicksal und wurde umgehend verhaftet.
Erst im April 2015 wurde X. aus der Haft in Sri Lanka entlassen und stellte in der Schweiz einen Antrag auf eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen. Diesmal wurde sein Antrag gutgeheissen und X. kehrte in die Schweiz zurück. Sein erneutes Asylgesuch wurde ebenfalls gutgeheissen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte am 26. Januar 2017 einstimmig eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK fest. Laut dem Gerichtshof hätte die Schweiz um das Risiko im Ausschaffungsland Bescheid wissen müssen. Der EGMR trat auf die Beschwerde ein, obschon die Schweiz mittlerweile das neue Asylgesuch des Beschwerdeführers gutgeheissen hatte.
* Name wird aus Schutzgründen nicht genannt