Am 26. April wollte Ly Chandaravuth in Phnom Penh zusammen mit ein paar Mitstreiter*innen von Mother Nature Cambodia (MNC) mit Fahrrädern zum Zusammenfluss von Tonle Sap und Mekong radeln. «Mit der Aktion wollten wir des Umweltaktivisten Chut Wutty gedenken, der vor zehn Jahren ermordet wurde», sagt Ly Chandaravuth während eines Telefonanrufs aus der kambodschanischen Hauptstadt. Aus der Fahrraddemo wurde nichts. Die acht Aktivist*innen wurden von der Polizei gestoppt und während Stunden festgehalten.
Die Umweltorganisation MNC kämpft gegen die rasante illegale Rodung der letzten Wälder, gegen den Sandabbau im Mekong und gegen Staudämme und wurde damit zu einer Art Staatsfeind Nummer eins im autokratisch regierten Kambodscha. Premierminister Hun Sen duldet keinen Dissens, weshalb er die politische Opposition verboten, Medien gleichgeschaltet und kritische Nichtregierungsorganisationen an die Kandare gelegt hat. MNC trotzt Hun Sen, obwohl ihr Gründer Alejandro Gonzalez-Davidson 2015 wegen der Proteste gegen den Bau des Wasserkraftwerks Chhay Areng ausgewiesen wurde und immer wieder Aktivist*innen verhaftet und verurteilt werden. Ly Chandaravuth selbst ist derzeit nur auf Kaution frei.
Dem 4350 Kilometer langen Mekong geht es schlecht. Er geht in sein viertes Katastrophenjahr, was auf eine Kombination aus Dürre, Klimawandel und Staudämmen zum Betrieb von Wasserkraftwerken zurückzuführen ist. Leidtragende sind rund 70 Millionen Menschen, deren Lebensgrundlage als Fischer*innen und Bäuer*innen in Gefahr ist.
Verbreitete Korruption
Elf Staudämme in China und zwei in Laos halten das Wasser zum Betrieb von Wasserkraftwerken zurück, die zur Stromgewinnung hauptsächlich für Chinas und Thailands Energiehunger gebaut wurden. Zusammen mit den Dämmen in den Nebenflüssen sind derzeit rund 400 Dämme in Betrieb, im Bau oder in Planung. Allein in Laos sind am Hauptstrom des Mekong sieben weitere Dämme geplant.
Die Auswirkung der Dämme wird von der Wissenschaft seit langem beobachtet. Genaue Aussagen sind aber mangels Daten aus China schwierig. Die chinesischen Behörden versprachen den sechs Mekong-Anrainerstaaten zwar wiederholt eine Zusammenarbeit beim Management des Flusses. Bisher haben sich die Versprechungen jedoch als leer erwiesen. Hinzu kommt die in den Anrainerstaaten des Mekong verbreitete Korruption. Bestehende Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt werden grosszügig ausgelegt oder einfach ignoriert.
Immerhin verhängte Kambodscha im März 2020 ein zehnjähriges Moratorium für den Bau von Dämmen für Wasserkraftwerke in seinem Teil des Mekong, obwohl das Land dringend Elektrizität braucht. Nach Angaben der Regierung in Phnom Penh wolle man nun auf Solarenergie sowie den Import von Kohle und Flüssiggas setzen.
Nahrungssicherheit in Gefahr
Am meisten unter den Problemen des Mekong leidet Kambodscha, das auf Gedeih und Verderb vom Wasser aus dem Mekong sowie aus dem See und dem Fluss Tonle Sap abhängig ist. Das jährliche Hochwasser während der Regenzeit setzt fast das ganze Königreich unter Wasser und sorgt am Ende der monatelangen Überschwemmung für fruchtbare Böden für die Landwirtschaft und grosse Fischbestände in den Gewässern.
Aber das war einmal, die Fischbestände sinken massiv – zum einen wegen Überfischung, zum anderen wegen der Dürre und der Dämme. Viele Fischarten des Mekong wandern zum Laichen flussaufwärts, wo ihnen nun die Dämme den Weg versperren. 2020 wurden laut Regierungsangaben nur noch rund 413 000 Tonnen Fisch gefangen, 111 000 Tonnen weniger als im Jahr zuvor. Das ist eine Zeitbombe für die Ernährungssicherheit der Kambodschaner*innen, die wie kaum ein anderes Volk der Welt ihren Proteinbedarf mit Fisch decken. Schon jetzt muss Fisch aus den Nachbarländern Vietnam und Thailand importiert werden.
In der Region Phnom Penh leiden Landwirtschaft und Fischerei zusätzlich unter der Zuschüttung von 60 Prozent der zahlreichen Seen und 40 Prozent der Feuchtgebiete mit Sand aus dem Mekong. Einmal mehr bleiben die meist armen Menschen auf der Strecke, die an den Ufern und durch Aquakultur auch auf den Gewässern Gemüse anbauen und auf den Märkten verkaufen. «Die Menschen werden vertrieben», sagt Soeung Saran, der Leiter der Organisation Sahmakum Teang Tnaut (STT), die sich für die Rechte der Armen einsetzt, am Telefon. «Auf den zugeschütteten Seen sollen Büros und Luxusapartments für reiche Ausländer*innen aus Japan, China, Südkorea und anderen Ländern entstehen.»
Was die Zuschüttung der Seen für das hydrologische System der Region bedeutet, weiss niemand. Als sicher gilt jedoch, dass in Phnom Penh die Überschwemmungen zunehmen werden. «Die Seen waren immer auch ein Auffangbecken für Regenwasser», sagt Soeung Saran.
Ein neues Problem tut sich im Delta des Mekong in Vietnam mit dem Schmuggel von Sand auf, dem nach Wasser am meisten gehandelten Rohstoff der Welt, wie das Umweltprogramm der Uno festhält. Der Handel mit Sand ist in Asien in den Händen einer international operierenden Sandmafia. Der Nachschub an Sedimenten aus dem Mittel- und dem Oberlauf des Mekong ist laut wissenschaftlichen Studien wegen der Dämme mittlerweile zu gering, um die Sandentnahmen im Delta auszugleichen.
Die Fischbestände im Tonle Sap gehen zurück.
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Unruhen werden erwartet
Für Brian Eyler haben die Probleme des Mekong für die Region auch eine sicherheitspolitische Dimension. Der Mekong-Experte des amerikanischen Stimson Centre rechnet zwar nicht damit, dass sich «die Länder im Kampf um Wasser gegenseitig bombardieren werden», wie er in einem Interview mit dem asiatischen Magazin «The Diplomat» sagte. Aber die zunehmende Wasserknappheit und die Ernährungsunsicherheit können vor allem in Kambodscha zu Unruhen und einer Destabilisierung der Gesellschaft führen.
Vielen Kambodschaner*innen ist das Ausmass des Raubbaus an ihrer Umwelt nicht bewusst. «Der Mangel an zuverlässigen, genauen und wahrheitsgemässen Informationen bedeutet, dass die Bevölkerung von Kambodscha allzu oft im Dunkeln gelassen wird, wenn es um wichtige Themen wie etwa den Sandabbau geht. Ihre Meinung, ihre Rechte und ihr Wohlergehen werden völlig ignoriert, und es wird ihnen die Teilhabe selbst an den grundlegendsten demokratischen Prozessen verweigert», heisst es auf der Website von Mother Nature.
Anfang Juni finden in Kambodscha Kommunalwahlen statt. Um die Macht der allein regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP) von Hun Sen bei der Parlamentswahl im nächsten Jahr nicht zu gefährden, werden bereits jetzt neue, populäre Oppositionsparteien schikaniert, ihre Kandidat*innen disqualifiziert und verhaftet. Für Ly Chandaravuth ist die Uneinigkeit der Opposition mindestens so schlimm wie die Manipulation von Wahlen. «Solange die Demokraten sich gegenseitig bekämpfen, bleiben die CPP und Hun Sen an der Macht.»