Drei Bilder von Daniel Richter und was es er zu ihrer Entstehung sagt.
Sie sind Amnesty-Mitglied, wie kam es dazu?
In Lütjenburg, wo ich herkomme, gab es eine grosse Amnesty- Fraktion: dazu gehörte eine Lehrerin, die in der Guatemala- Solidarität tätig war. Es gab zudem eine Kampagne von Amnesty-Aktivist*innen, die Gefangenen der RAF als politische Gefangene anzuerkennen. Als 15-jähriger Radikalinski fand ich das interessant. Eingetreten bin ich erst 20 Jahre später.
Was verbindet Sie heute mit Amnesty?
Die Verteidigung der Menschenrechte, speziell der Redeund Kunstfreiheit, ist heute leider noch nötiger als vor 30 Jahren. Besonders wenn man über Kunst und ihren Status des freien Ausdrucks spricht, sieht man, wie sehr sich die Wahrnehmung von Kunst ändert. Der Umgang mit ihr zeigt immer auch an, wie eine Gesellschaft funktioniert. Ein beliebig schlechtes Bild einer nackten Person ruft in Mitteleuropa Gähnen, in prüderen Teilen der Welt Scham und in religiös-autoritären Systemen Empörung hervor.
Sie sind Professor für Malerei in Wien. Was antworten Sie auf die Frage: Was darf Kunst?
Kunst darf alles, allerdings sollte sie möglichst wenig langweilig sein. Darf Kunst auch Hakenkreuze malen? Nein, das sollte sie nicht, allerdings kommt es auf den Zusammenhang an. Junge Antifaschist*innen mussten mal wegen Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbolik vor Gericht, es ging um ein durchgestrichenes Hakenkreuz. Nichtsdestotrotz: In einer freien Gesellschaft muss Kunst alles dürfen. Künstler*innen dürfen sich auf eigenes Risiko lächerlich machen oder in ihrem Radikalismus zum Papiertiger werden.
«Kunst darf alles» – gilt das auch für engagierte Kunst, die Missstände benennt?
Engagierte Kunst ist immer zweckgebunden und lebt von Kampagnen, die sie begleiten. Zwangsläufig zählt da oft eher die Absicht und nicht die Durchführung. Das Problem ist, dass die Definition des Kunstbegriffs darunter leidet. Schwierig wird es, wenn jede Initiative, die töpfert und es gut meint, plötzlich die gleiche Wertigkeit beansprucht wie ein Bild von Bacon.
Es gibt auch qualitativ hochwertige Kunst, die Haltung bezieht zu politischen und sozialen Fragen. Sie kennen beides, denn Sie waren als junger Mensch im Umfeld der Hamburger Hausbesetzerbewegung unterwegs…
Jedes besetzte Haus in Deutschland war mit schlecht gemachten Wandmalereien bedeckt, und auch an der Hamburger Hafenstrasse war der Niedergang der Murales-Malerei zu besichtigen. Aber jede Kunst hat eine Funktion, jede Bewegung braucht Bilder und Symbole. Da kann man als Bildungsmitteleuropäer* in die Nase rümpfen und sagen: «Das ist als Kunst nicht interessant.» Stimmt ja auch, denn es war nicht als Kunst gemeint, sondern als Teil einer Aktivität, als Symbol oder Aufruf.
Gibt es universelle Merkmale, die gute Kunst definieren?
Die gesellschaftliche Definition dessen, was gut, schön, wichtig oder wahrhaftig ist, ändert sich permanent. Das kann man in der Gegenwart klar sehen. Wir haben Kriterien für unterschiedliche Medien oder Kunstformen, die sich historisch gebildet haben, ob es um die Bewertung der japanischen Töpferei um 1750 oder die Glasurkunst Persiens im 13. Jahrhundert geht. Auch für die Malerei hat sich seit dem Mittelalter ein Kanon gebildet, in dem die widersprüchlichsten Bewegungen ihren Platz gefunden haben.
Würden Sie sagen, Sie machen politische Kunst?
Ich würde für bestimmte Phasen sagen, dass ich Kunst mache, die sich im weitesten Sinne mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigt oder mit der Frage, was man als Künstler abbilden kann. Ich betrachte das nicht als engagierte Kunst.
Im grössten Teil der Welt spielt Kunst ohnehin eine andere Rolle als in westlichen Gesellschaften. Künstler*innen müssen sich Dinge erkämpfen, die hier selbstverständlich sind.
In grossen Teilen der Welt wird ein Kulturkampf um die Bilder von Körpern geführt; das gilt für die Abbildung queerer Positionen, aber auch für weibliche und feministische Kunst. Immer geht es darum, die Definitionsmacht über diese Bilder in den Händen autoritärer männlicher Systeme zu halten und sie gleichzeitig als Argument gegen einen dekadenten Westen in Anschlag zu bringen. Dass wir das erbärmliche Comeback autoritärer religiöser Systeme auch in Europa miterleben müssen, ist zutiefst deprimierend.
Es gibt auch Künstler*innen, denen es nicht reicht, «nur Kunst» zu machen. Sie möchten an einer besseren Welt mitwirken. Wie stehen Sie dazu?
Ich finde das gut. Im Bereich Film, Theater und Performance findet man solche Positionen häufig. Oft wird dort auch Kritik laut an der individualistischen Freiheit der Malerei: Da sitzt das romantische Individuum im Atelier und malt, und am Ende hat das Werk keine gesellschaftliche Relevanz. Aber die Frage, welche Relevanz Bilder haben, ist manchmal einfach zu beantworten: wenn jemand vor der Tür steht und sagt, du kommst jetzt ins Gefängnis, weil du ein Bild gemalt hast, das uns nicht passt. Die Relevanz von Kunst bildet sich dort ab, wo die Gesellschaft bereit ist, Kunst zu akzeptieren und zu fördern. Das eine Kunstwerk bringt dich vielleicht dazu, vegetarisch zu essen, das nächste stellt deine Rolle als weisser, heterosexueller Mann infrage.