Die Stimmung bei den Mitgliedern der Studentischen Koordination für Palästina (CEP) in Lausanne könnte nicht besser sein. Am 28. Januar veröffentlichte die Universität Lausanne ihren mit Spannung erwarteten Bericht über «die ethischen Herausforderungen der externen Zusammenarbeit» und bekräftigte darin ihr Recht, bestimmte Partnerschaften mit israelischen Institutionen beenden zu können. Die Expert*innengruppe, die hinter diesem Bericht steht, war aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Rektorat und den Aktivist*innen im Mai letzten Jahres eingesetzt worden: Die Erstellung des Berichtes war Voraussetzung für die Aufhebung der Besetzung des Géopolis-Gebäudes durch die Student*innen. Damit bildet die Universität eine Ausnahme unter den Hochschulen, in denen solche Solidaritätsaktionen durchgeführt wurden: Sie ist die einzige Hochschule der Westschweiz, die die propalästinensischen Proteste nicht durch die Polizei auflösen liess. An den Universitäten Freiburg i. Br., Genf und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) wurden die Besetzungen nach wenigen Tagen durch die Polizei geräumt.
Noch problematischer war die Reaktion der Universitätsleitungen in der Deutschschweiz: Die friedlichen Proteste an zahlreichen Hochschulen wurden bereits nach wenigen Stunden durch die Rektorate verhindert und – falls sich die Protestierenden nicht einschüchtern liessen – durch die Polizei geräumt. Zahlreiche Student*innen wurden dabei verhaftet. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ) ging sogar so weit, die Strafanzeigen gegen die Aktivist*innen aufrechtzuhalten – als einzige Hochschule in der Deutschschweiz. 36 Personen erhielten wegen Hausfriedensbruchs eine Geldstrafe – 20 von ihnen haben diese akzeptiert, doch 16 wehren sich vor Gericht dagegen und verteidigen so auch das Recht auf friedlichen Protest an Schweizer Universitäten auf juristischem Weg. Da sowohl die Bussen wie der Rechtsweg hohe Kosten verursachen, organisierten die Student*innen mit Swiss Action for Human Rights im Januar 2025 eine Geldsammelaktion – mit dem Ziel, 150'000 Franken zusammenzubringen.
Eine Politik der Abschreckung
«Jedes Mal, wenn wir ein Sit-in abhalten wollten, wurden massenhaft Sicherheitsbeamt*innen geschickt.» Maéva, Studentin an der Universität Genf
Trotz dem harten Vorgehen gegen die Proteste zeigen sich die Student*innen weiterhin solidarisch mit den Menschen in Palästina. In Genf haben jedoch die Einschränkungen gegen Gruppen wie die CEP seit Semesterbeginn im September stark zugenommen. «Obwohl unsere Aktionen viel kleiner sind als im letzten Frühjahr, werden sie stärker unterdrückt. Jedes Mal, wenn wir ein Sit-in abhalten wollten, wurden massenhaft Sicherheitsbeamt* innen geschickt. Die Polizei kam sogar dann, als wir in der Halle die Fahnen herunterholten», sagt Maéva, die hier internationales Recht studiert. Marco Cattaneo, der für die Kommunikation der Universität zuständig ist, antwortete auf unsere Anfrage lediglich, dass «keine Demonstration, keine Veranstaltung und keine Versammlung, für die eine Genehmigung eingereicht wurde, abgelehnt wurde» – und sagt kein Wort zum Recht der Student*innen, ihre Meinung auch ohne Bewilligung äussern zu dürfen.
In Freiburg behauptete das Rektorat, dass es seine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs zurückgezogen habe – was so nicht stimmt. Als sich die Student*innen im Herbst direkt an die Kantonspolizei wandten, erfuhren sie, dass das Verfahren noch offen ist, was auch von der Staatsanwaltschaft bestätigt wird. Die Jurastudentin Lisa* kritisiert, dass ein Klima der Unsicherheit aufrechterhalten werden soll: «Man will uns einschüchtern. Wenn wir fragen, worum es geht, bekommen wir nur eine vage Antwort. Als ob es sich um eine einfache Verfahrensfrage handeln würde. Die Rektorin sagt mir immer wieder, dass sie mir keine Antwort geben könne, weil sie keine Juristin sei. Aber wenn wir einen Eintrag im Vorstrafenregister kriegen, steht unsere Zukunft auf dem Spiel. Schliesslich wollten wir kein Risiko mehr eingehen und mussten unser Engagement einschränken.» Freiburg ist auch die einzige Westschweizer Universität, die sechs Student*innen mit einer Zivilklage persönlich ins Visier genommen hat, darunter Lisa. Die Klage wurde schliesslich zurückgezogen, als das Bezirksgericht des Saanebezirks den Antrag auf superprovisorische Massnahmen ablehnte. Trotz mehrerer Anfragen zog es das Freiburger Rektorat vor, unsere Fragen zu ignorieren.
«An der EPFL herrscht die reinste Unterdrückung », sagt Kastor1, der an der eidgenössischen Hochschule in Lausanne gerade seinen Master in Neurowissenschaften abschloss. «Sobald wir zu einer Demonstration aufrufen, wird ein grosses Sicherheitsaufgebot geschickt.»
Mehrmals riefen auch einfache Infoveranstaltungen, an denen über die Lage in Gaza informiert werden sollte, die Sicherheitsdienste auf den Plan. «Wir haben sogar eine Nachricht auf Instagram vom offiziellen Account der EPFL erhalten. Sie betonen immer wieder, dass alles, was wir tun, verboten ist, weil wir von der Schule nicht anerkannt werden», sagt Kastor. Hinzu kommen persönliche Angriffe: Einer Studentin, die während einer nicht genehmigten Demonstration das Wort ergriffen habe, seien Anzeigen und akademische Sanktionen angedroht worden. «Sie haben schliesslich nichts gemacht, weil es gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung verstösst − und sie das wissen. Ich persönlich habe die gleichen Drohungen per E-Mail erhalten », sagt Kastor. Auch sollen Repräsentant* innen der Protestierenden mehrmals in das Büro der Direktion vorgeladen worden sein. Corinne Feuz, Sprecherin der EPFL, versichert, dass ihre Schule völlig legal handle: «Jede Aktion, die auf dem Campus ohne Genehmigung organisiert wird, insbesondere politisch motivierte Veranstaltungen mit dem Risiko von Ausschreitungen, wird für verboten erklärt und führt zum Eingreifen unserer Sicherheitsdienste und im Bedarfsfall sogar der Ordnungskräfte.»
Wie weit das Klima der Repression an den Schweizer Universitäten geht, zeigt auch das Verbot einer Veranstaltung im September 2024 an der ETHZ, an der eine Expertin von Amnesty International als Referentin hätte auftreten sollen. Die Veranstaltung wurde kurz vor Beginn von der ETH-Leitung mit der Begründung verboten, dass die Organisator*innen «tendenziell politisch voreingenommen» seien und es sich bei ihnen um «eine antiisraelische Gruppe» handle.
Ungleiche Machtverhältnisse
An den Westschweizer Universitäten beklagen die propalästinensischen Student* innen, dass man sie zum Schweigen bringen wolle – auch mit Verhaftungen. «Dies hatte eine enorme Wirkung auf uns», sagt Maéva in Genf. Am 15. Mai um 5 Uhr morgens sei sie an ihrem Platz in der Eingangshalle der Uni aufgewacht – umgeben von vermummten Polizist*innen. «Es waren etwa hundert, auf den Laufstegen, in den Korridoren. Ich dachte, wir würden von Rechtsextremen angegriffen.» Die anwesenden Student*innen wurden in Handschellen in Polizeigewahrsam genommen. Einige verbrachten dort bis zu acht Stunden und wurden verhört. «Nach der Verhaftung hatten viele Angst. Als im Herbst das Studium wieder begann, spürten wir, dass die verbleibenden Aktiven erschöpft sind.»
Die gleiche Stimmung herrscht auch in Freiburg. In dem Gebäude in Pérolles, in dem sich die Student*innen versammelt hatten, waren von Beginn der Besetzung an Polizist*innen in Zivil anwesend. «Dabei verhielten wir uns bei spielhaft ruhig. Wir hatten den Dozent* innen sogar angeboten, dass sie uns rufen sollten, falls wir zu viel Lärm machten. Aber die Leute waren entmutigt, als sie das ungleiche Kräfteverhältnis sahen. Es setzte sich der Eindruck fest, dass das, was wir tun, zu nichts führt – ausser zu unverhältnismässiger Repression», sagt Lisa. Vier Tage nach Beginn der Besetzung wurde die Uni geräumt.
An der EPFL bedauert Kastor, dass die Bedrohung durch die Polizei die Hauptbetroffenen demobilisiert hat: «Am Anfang waren Palästinenser*innen dabei. Aber sobald von Polizei die Rede ist, ziehen sich die ausländischen Student*innen zurück. Insbesondere die Araber*innen, die keinen Schweizer Pass haben. Leider wirkt die Repression.»
Fragwürdige Räumungen
«Im Fall der EPFL ist klar, dass die Meinungsfreiheit der Demonstrant*innen verletzt wurde und es zu einem Chilling-Effekt kam.» Vanessa Rüegger, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Genf
Die Art der Polizeieinsätze unterschied sich von Hochschule zu Hochschule. «Im Fall der EPFL ist klar, dass die Meinungsfreiheit der Demonstrant*innen verletzt wurde und es zu einem Chilling-Effekt kam», sagt Vanessa Rüegger, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Genf, die sich in ihrer Forschung auf Menschenrechte und Demokratie konzentriert. Die Sprecherin der EPFL Corinne Feuz, hingegen meint, dass die Entscheidung, die Polizei einzuschalten, um eine von der Hochschule nicht genehmigte politische Demonstration zu beenden, «voll und ganz mit den nationalen Gesetzen und dem Völkerrecht vereinbar» sei. Dies, obwohl das Völkerrecht jede absichtliche, zeitlich begrenzte und friedliche Versammlung zum Zweck des Ausdrucks einer gemeinsamen Meinung im privaten oder öffentlichen Raum schützt.
Legitime Forderungen
In Genf und Freiburg konnten die Studierenden die Uni-Räume mehrere Tage lang besetzen, bis die Rektorate Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs einreichten, um die Räumung zu erzwingen. Vanessa Rüegger ist der Ansicht, dass diese Fälle komplexer sind als der Fall der EPFL. «Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen der Demonstrationsfreiheit der Student*in nen und der Pflicht der Universität, die besten Lernbedingungen zu gewährleisten.» Sie äussert sich zwar nicht konkret zum Freiburger Fall, ist aber der Meinung, dass der propalästinensischen Bewegung in Genf Raum gelassen wurde, um sich Gehör zu verschaffen. Ein Polizeieinsatz nach einer Woche Besetzung überrascht sie nicht. «Das ist schon eine lange Dauer. Rechtlich gesehen verbieten es die Regeln der Universität, über Nacht dort zu bleiben. Das reicht aus, um eine Strafanzeige zu stellen.» Am Tag nach der Räumung zog das Rektorat der Universität Genf die Strafanzeige zurück, womit es zu keiner strafrechtlichen Verfolgung von Studierenden kam. Die Universität Freiburg hingegen war nie mit nächtlichen Besetzungen konfrontiert: Jeden Abend, wenn die Gebäude geschlossen wurden, gingen die Aktivist*innen nach Hause.
«Ich studiere internationales Recht. Hier wird es nicht angewandt. Und wenn ich aktiv werde, um dies anzuprangern, finde ich mich in Handschellen wieder.» Maéva
Der Kommunikationsverantwortliche der Universität Genf, Marco Cattaneo, räumt ein, dass die Forderungen der Studierenden legitim seien. «Die Universität war bereit, die Fortsetzung der Besetzung zu erlauben, vorausgesetzt, die nächtlichen Besetzungen würden beendet. Und es sollte ein Transparent entfernt werden, das Interpretationen zuliess, die das Zusammenleben beeinträchtigen.» Die Räumungen hätten nicht abschreckend wirken sollen, sondern «eine Situation verhindern, die ausser Kontrolle zu geraten drohte», dies vor dem Hintergrund der Prüfungsvorbereitungen, die nicht beeinflusst werden durften.
Antoine Chollet, Lehr- und Forschungsbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Lausanne, ist der Meinung, dass die Universitäten Debatten mit den Studierenden hätten ermöglichen sollen. «Das Eingreifen der Polizei auf einem Campus ist ein Versagen der Universitäten», sagt er. Im Gegensatz zu mehreren Kolleg*innen des Lehrkörpers hatte er eine Petition, in der ein akademischer Boykott Israels gefordert wurde, nicht unterzeichnet. «Studierende haben sich schon immer politisch engagiert. Dass ich mit ihnen nicht einer Meinung bin, ändert daran nichts, solange ich ihnen das sagen kann. Was wir in Genf gesehen haben − Student*innen in Handschellen −, das muss um jeden Preis vermieden werden. Solange es nicht zu Gewalt kommt, muss man einen politischen Ausweg aus solchen Situationen finden.»
«Ich habe den Glauben an die Universität verloren, das Vertrauen, das ich in die Institution hatte. Ich studiere internationales Recht. Hier wird es nicht angewandt. Und wenn ich aktiv werde, um dies anzuprangern, finde ich mich in Handschellen wieder», sagt Maéva. Die befragten Student*innen wollen ihren Kampf jedoch nicht aufgeben. «Ich weiss, dass ich durch das internationale Recht geschützt bin», sagt Kastor. «Wenn wir es hierzulande verteidigen können, dann können wir auch dafür sorgen, dass es anderswo respektiert wird. Es wäre gefährlich, sich entmutigen zu lassen.»
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