Der Konflikt in Darfur brach am 25. April 2003 aus, als die bewaffnete Oppositionsgruppe Sudanesische Befreiungsarmee die sudanesischen Streitkräfte am Flughafen al-Faschir in Nord-Dafur angriff. In den darauffolgenden Jahren wurden bei dem bewaffneten Konflikt zwischen Rebellenkräften und dem Militär Hunderttausende Menschen getötet und Millionen weitere vertrieben.
Die fortdauernde Straflosigkeit hat dazu geführt, dass Personen, die verdächtigt werden, in Darfur Kriegsverbrechen begangen zu haben, sich bis heute in führenden Positionen befinden – ein weiterer Umstand, der zur derzeitigen Gewalt im Sudan beiträgt. Amnesty International fordert alle Parteien auf, für den Schutz der Zivilbevölkerung und sicheres Geleit für humanitäre Hilfe zu sorgen.
«Der Konflikt in Darfur hat menschliches Leid in einem unerträglichen Ausmass verursacht. Dass nach wie vor niemand zur Rechenschaft gezogen wird, trägt nur dazu bei, dass das Leiden weitergeht», sagt Tigere Chagutah, Regionaldirektor von Amnesty International für das östliche und südliche Afrika. «In den vergangenen Tagen wurden erneut Zivilpersonen durch den Einsatz schwerer Waffen in dicht besiedelten Gebieten getötet. Es ist schockierend, dass es den sudanesischen Behörden auch 20 Jahre nach Beginn des Konflikts in Darfur noch immer nicht gelingt, die Zivilbevölkerung zu schützen und zu untersuchen, wer für die während des Konflikts begangenen Verbrechen verantwortlich ist, und die Verantwortlichen vor Gericht zu erstellen. Die Zivilbevölkerung im Sudan ist in einen endlosen Kreislauf aus wahllosen bewaffneten Angriffen, schweren Verbrechen und Menschenrechtsverstössen geraten.»
Die Regierung des Sudan muss im Rahmen der laufenden Ermittlungen zu Darfur umfassend mit dem Internationalen Strafgerichtshof kooperieren, auch indem sie den ehemaligen Präsident Omar al-Baschir und andere Personen, denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt werden, nach Den Haag überstellt.
Amnesty International appelliert auch weiter an die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Vereinten Nationen und den Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union, ihre Bemühungen zu verstärken, um die Verantwortlichen für in Darfur begangene Verbrechen vor Gericht zu bringen.
Darüber hinaus fordert Amnesty International auch den Uno-Sicherheitsrat auf, dafür zu sorgen, dass das Waffenembargo in Darfur bestehen bleibt, bis die sudanesische Regierung der andauernden Gewalt ein Ende gesetzt, sich zum Schutz der Zivilbevölkerung verpflichtet hat und dafür Sorge trägt, dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungestraft bleiben.
Extreme Gewalt gegen Zivilbevölkerung in Darfur
Seit 2003 ist die Zivilbevölkerung im Sudan extremer Gewalt ausgesetzt. Nach Angriffen bewaffneter oppositioneller Gruppen nahm die sudanesische Regierung nicht nur die Kämpfer*innen ins Visier, sondern auch Zivilpersonen bestimmter ethnischer Gruppen, die von der Regierung beschuldigt werden, die Aufständischen zu unterstützen.
Die von der Regierung nach wie vor eingesetzte Strategie zur Aufstandsbekämpfung hat zu einem entsetzlichen Ausmass an Tod, Zerstörung und Vertreibung geführt. Hunderttausende Zivilpersonen leiden aufgrund des Konflikts ausserdem an Hunger, Dehydrierung und Krankheiten. Hunderte Dörfer wurden zerstört, die Lebensgrundlage von unzähligen Menschen vernichtet. Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind weit verbreitet. 2016 hat Amnesty International zudem dokumentiert, wie Regierungskräfte in der Region Jebel Mara von Darfur chemische Waffen gegen die Zivilbevölkerung einsetzten.
Nach dem Sturz des ehemaligen Präsidenten al-Baschir im Jahr 2019 führte ein Kompromiss zur Teilung der Macht zwischen führenden Vertreter*innen von Militär und Zivilbevölkerung zur Bildung einer Übergangsregierung. Dennoch hält die Gewalt in Darfur seit der Machtübernahme der Übergangsregierung trotz des 2020 unterzeichneten sudanesischen Friedensabkomme an. Bei den fortlaufenden Angriffen kam es zu rechtswidrigen Tötungen, sexualisierter Gewalt und Plünderungen und ganze Dörfer wurden niedergebrannt.
Die Regierung muss endlich zeigen, dass sie bereit und in der Lage ist, die Zivilgesellschaft zu schützen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Sowohl die sudanesische Armee als auch Angehörige der RSF sind nach wie vor für Angriffe verantwortlich. Regierungsnahe Milizen haben während des Konflikts ebenfalls Zivilpersonen angegriffen.
Im Dezember 2022 unterzeichneten Sprecher*innen der Zivilbevölkerung und das Militär ein «Rahmenabkommen» für die Einrichtung einer neuen, auf zwei Jahre angelegten zivilen Übergangsbehörde. In dem Abkommen wird die Rechenschaftspflicht für Verbrechen unter dem Völkerrecht als allgemeiner Grundsatz festgelegt und die Übergangsbehörde beauftragt, einen neuen Prozess einzuleiten, der darauf abzielt, Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Verantwortliche für schwere Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Die sudanesischen Behörden müssen ausserdem gewährleisten, dass die Verantwortlichen weder in den Genuss von Immunität noch von Amnestien kommen.
«Die Zivilbevölkerung Darfurs ist aktuell noch immer den gleichen Sicherheitskräften ausgeliefert, die in Darfur und anderen Teilen des Sudan Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen haben», sagt Tigere Chagutah. «Es ist beschämend, dass die Menschen im Sudan immer noch jeden Tag Angst haben müssen. Alle Überlebenden, die Verletzungen oder Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, müssen einen wirksamen Rechtsbehelf und eine Entschädigung erhalten. Die Zeit darf kein Hindernis für Gerechtigkeit sein.»
Hintergrund
Seit 2003 haben Amnesty International und andere Nichtregierungsorganisationen wiederholt Beweise für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwerwiegende Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht durch die sudanesischen Regierungstruppen dokumentiert. Dazu gehört die rechtswidrige Tötung von Zivilpersonen, die rechtswidrige Zerstörung von zivilem Eigentum, die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen, die Vertreibung von Zivilpersonen und der Einsatz chemischer Waffen.
2005 verwies der Uno-Sicherheitsrat die Lage in Darfur an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). 2009 und 2010 erliess der IStGH einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gegen Präsident al-Baschir. Haftbefehle des IStGH ergingen auch an drei weitere Angehörige der Regierung sowie drei Angehörige bewaffneter oppositioneller Gruppen. Im April 2022 begann vor dem IStGH der Prozess gegen Ali Kuschaib, den mutmasslichen Hauptanführer der Janjaweed-Milizen. Der Sudan hat jedoch nicht in ausreichendem Masse mit dem IStGH zusammengearbeitet; so hat er den ehemaligen Präsidenten al-Baschir und mehrere andere Regierungsangehörige immer noch nicht an den IStGH überstellt.