Was passiert aktuell im Sudan? Was passiert aktuell im Sudan?
© Amnesty International

Sudan Zivilbevölkerung leidet unter anhaltenden Waffenlieferungen aus Ländern wie China und Russland

Medienmitteilung 25. Juli 2024, London/Bern – Medienkontakt
Der Konflikt im Sudan wird durch den ständigen Zustrom von Waffen aus China, Russland, Serbien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jemen weiter angeheizt. Das Waffenembargo gegen Darfur ist demnach völlig unwirksam. Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht von Amnesty International.

Der englischsprachige Bericht New Weapons Fuelling the Sudan Conflict (PDF, in Englisch, 61 Seiten) dokumentiert, wie neue Waffen in den Sudan und umliegende Länder geliefert werden, oft unter eklatanter Verletzung des bestehenden Waffenembargos für Darfur.

Die Untersuchungen von Amnesty International ergaben, dass neu hergestellte oder erst kürzlich gelieferte Waffen und Munition aus Ländern wie China, Russland, Serbien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Jemen in grossen Mengen in den Sudan importiert werden. In einigen Fällen konnte die Menschenrechtsorganisation nachweisen, dass die Waffen nach Darfur geliefert wurden.

Seit der Eskalation des Konflikts zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) im April 2023 wurden im Sudan mehr als 16’650 Menschen getötet. Amnesty International dokumentierte, dass es nicht nur bei direkten Angriffen auf Zivilpersonen sondern auch bei wahllosen Angriffen zivile Opfer gab. Einige der Verstösse der Konfliktparteien gegen das humanitäre Völkerrecht kommen Kriegsverbrechen gleich. Schätzungen zufolge wurden mehr als 11 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen, Millionen sind unmittelbar von einer Hungersnot bedroht.

«Der ständige Zustrom von Waffen in den Sudan ist für den Tod vieler Menschen verantwortlich und verursacht unfassbares Leid in der Zivilbevölkerung», sagt Deprose Muchena, Experte für regionale Menschenrechtsfragen bei Amnesty International. «Unsere Nachforschungen zeigen, dass in das Land gelieferte Waffen in die Hände von Kämpfern gelangen, denen Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen vorgeworfen werden. Es ist klar, dass das bestehende Waffenembargo, das derzeit nur für Darfur gilt, völlig unzureichend ist. Es muss aktualisiert und auf den gesamten Sudan ausgedehnt werden. Diese humanitäre Krise kann nicht ignoriert werden. Angesichts der drohenden Hungersnot darf die Welt die Zivilbevölkerung im Sudan nicht länger im Stich lassen.»

Amnesty International analysierte mehr als 1900 Lieferpapiere von zwei verschiedenen Handelsdaten-Anbieter*innen. Ausserdem überprüfte die Menschenrechtsorganisation frei verfügbares, digitales Beweismaterial – darunter etwa 2000 Fotos und Videos –, das neu hergestellte oder erst kürzlich importierte Waffen im Sudan zeigt. Um die so gewonnenen Daten zu untermauern und die Lieferwege noch besser nachvollziehen zu können, befragten Amnesty-Mitarbeiter*innen zwischen Februar und März 2024 17 regionale Waffen- und Sudanexpert*innen.

Ein globaler Handel mit dem Tod

Amnesty International stellte fest, dass verschiedene Konfliktparteien neu hergestellte oder erst kürzlich gelieferte Kleinwaffen und Munition aus einer ganzen Reihe von Ländern bei Kampfhandlungen einsetzen. Beide Konfliktparteien nutzen moderne Drohnenstörsender, Mörser und Anti-Material-Gewehre, die in China hergestellt wurden. Die RSF setzte zudem neu hergestellte gepanzerte Mannschaftstransporter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ein.

Aus Handelsdaten geht hervor, dass türkische Unternehmen in den letzten Jahren Hunderttausende Schreckschusspistolen und Millionen Patronen in den Sudan exportiert haben. Amnesty International geht davon aus, dass diese Lieferungen im Sudan in grossem Umfang in tödliche Waffen umgebaut werden.

Amnesty International hat ausserdem festgestellt, dass Kleinwaffen, die normalerweise auf dem zivilen Markt verkauft werden, zunehmend sowohl an die Regierungstruppen als auch an bewaffnete Oppositionsgruppen geliefert werden. So exportierten Unternehmen aus der Türkei und Russland zivile Varianten von Kleinwaffen, die von beiden Konfliktparteien verwendet werden.

Die Analyse der Handelsdaten ergab, dass kleinere türkische Unternehmen – wie Derya Arms, BRG Defense und Dağlıoğlu Silah – in den letzten Jahren türkische Jagdflinten und -gewehre in den Sudan exportiert haben. So zeigt ein von der RSF auf ihrem offiziellen X-Account veröffentlichtes Video, das angeblich am 15. Februar 2024 in Nyala in Süd-Darfur gedreht wurde, einen RSF-Soldaten, der mit einem BRG 55-Gewehr des türkischen Unternehmens Burgu Metal ausgerüstet ist. Amnesty International hat ausserdem Beweise dafür gefunden, dass kürzlich hergestellte chinesische Mörser in El-Daein in Ost-Darfur eingesetzt wurden und dass neuere chinesische Kleinwaffen auch in anderen Teilen des Sudan weit verbreitet sind.

Waffenembargo muss ausgeweitet werden

Durch die Lieferung von Waffen an den Sudan verletzen die Vertragsstaaten des internationalen Waffenhandelsvertrags – wie China und Serbien – ihre rechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag und untergraben damit den rechtsverbindlichen Rahmen, der den weltweiten Waffenhandel regelt.

In Anbetracht der schwerwiegenden und anhaltenden Menschenrechtsrisiken müssen alle Staaten und Unternehmen die Lieferung von Waffen und Munition an den Sudan unverzüglich einstellen, einschliesslich der direkten oder indirekten Lieferung, des Verkaufs oder der Weitergabe von Waffen und militärischem Material. Auch das Bereitstellen von technischer Hilfe, Ausbildung oder finanzieller Unterstützung muss aufhören.

«Der UN-Sicherheitsrat muss das Waffenembargo dringend auf den restlichen Sudan ausweiten und seine Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen ausbauen», sagt Deprose Muchena. «Im Rahmen dieses erweiterten Waffenembargos müssen internationale Waffenlieferungen überwacht und illegale Waffeneinfuhren wirksam verhindert werden. Dabei muss ein möglichst breites Spektrum von Waffen erfasst werden, um Lieferungen von Schrotflinten, Jagdgewehren, Schreckschusspistolen und der entsprechenden Munition in den Sudan zu stoppen.»

Zur Methodologie

Amnesty International hat Einzelheiten zu mehr als 1900 Waffenlieferungen aus verschiedenen Ländern in den Sudan ermittelt, indem es die von zwei Anbieter*innen gesammelten Handelsdaten auf Sendungsebene für die Jahre 2013-2023 bzw. 2020-2023 überprüft hat.

Amnesty International und sein Digital Verification Corps analysierte eine grosse Anzahl von Videos und Bildern aus Social-Media-Plattformen, die bestätigten, dass die Waffen aus den Handelsdaten im Sudan ankamen. Zu den Fotos und Videos gehören Aufnahmen, die von der RSF oder der SAF gepostet wurden, aber auch Inhalte von bekannten SAF- oder RSF-Mitgliedern.

Aufgrund des anhaltenden Konflikts war es den Forscher*innen von Amnesty International nicht möglich, Untersuchungen im Sudan durchzuführen. Allen zitierten Unternehmen und Akteur*innen wurden die Ergebnisse vor der Veröffentlichung vorgelegt. Ihnen wurde die Möglichkeit eingeräumt, zu antworten und zusätzliche Informationen zu liefern. Soweit relevant, wurden Elemente aus diesen Antworten in das Briefing aufgenommen.