Willkommens-Index für Flüchtlinge Die Flüchtlingspolitik vieler Regierungen geht an öffentlicher Meinung vorbei

Medienmitteilung 19. Mai 2016, London/Bern – Medienkontakt
Die meisten Menschen auf der Welt (80 Prozent) würden Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. Viele wären sogar bereit, Flüchtlinge in der eigenen Wohnung unterzubringen. Das geht aus einer von Amnesty International in Auftrag gegebenen globalen Umfrage hervor.

Der neue «Refugees Welcome Index» (Willkommens-Index für Flüchtlinge) basiert auf einer weltweiten Umfrage der international renommierten Strategieberatungsfirma GlobScan. In 27 ausgewählten Ländern auf allen Kontinenten wurden insgesamt 27'000 Menschen danach gefragt, wie es um ihre Bereitschaft steht, Flüchtlinge aufzunehmen – in ihrem Land, ihrer Nachbarschaft oder bei sich zuhause.

Die Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Menschen weltweit eine deutlich grössere Bereitschaft zeigt, Flüchtlinge aufzunehmen, als bisher angenommen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die politische Rhetorik gegen Flüchtlinge an der öffentlichen Meinung vorbeigeht.

«Die Zahlen sprechen für sich selbst. Die Menschen würden Flüchtlinge willkommen heissen, aber die unmenschliche Antwort vieler Regierungen auf die Flüchtlingskrise geht an der Einstellung der eigenen Bevölkerung vorbei», sagt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International.  

Flüchtlinge in China, Deutschland und Grossbritannien sehr willkommen

China führt die Liste der flüchtlingsfreundlichen Länder des «Refugees Welcome Index» an, gefolgt von Deutschland und Grossbritannien. Schlusslicht ist Russland, nach Indonesien und Thailand. Knapp die Hälfte der befragten Chinesinnen und Chinesen (46 Prozent) würden Flüchtlinge in ihrer Wohnung aufnehmen. Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen (56 Prozent) würden Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft begrüssen, fast alle (96 Prozent) sind für die Aufnahme von Flüchtlingen im eigenen Land.

Auch in Grossbritannien würden 29 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger Flüchtlinge zuhause aufnehmen, 47 Prozent würden sie in der Nachbarschaft willkommen heissen und die grosse Mehrheit, nämlich 87 Prozent, im Land.

Die Akzeptanz von Flüchtlingen schwindet auch nicht in Ländern, die bereits sehr viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Jordanien und Griechenland sind gemäss des «Refugees Welcome Index» unter den Top Ten.

«Willkommens-Index» misst erstmals Akzeptanz von Flüchtlingen

Erstmals wurden 27'000 Menschen weltweit in 27 Ländern gefragt, wie nah sie Flüchtlinge auf einer mehrstufigen Skala an sich heran lassen würden: in der eigenen Wohnung, in der Nachbarschaft, ihrer Stadt oder in ihrem Dorf, in ihrem Land, oder ob sie Flüchtlinge an der Grenze abweisen würden.

Dabei stellte sich heraus, dass die meisten Menschen sehr weit gehen würden, um Flüchtlingen zu helfen:

  • Jeder Zehnte weltweit würde Flüchtlinge bei sich zuhause aufnehmen. In China sind es sogar 46 Prozent der Befragten, in Grossbritannien 29 Prozent und in Griechenland 20 Prozent. In Russland und Indonesien hingegen sinkt die Bereitschaft auf 1 Prozent der Befragten.
  • Weltweit gesehen, würden 32 Prozent der befragten Menschen Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft willkommen heissen, 47 Prozent in der eigenen Stadt oder im Dorf und 80 Prozent in ihrem Land.
  • Die Menschen in 20 von 27 untersuchten Ländern (75 Prozent der Befragten), sagen dass sie Flüchtlinge im eigenen Land willkommen heissen würden.
  • Nur 17 Prozent der Befragten weltweit wollen keine Flüchtlinge im eigenen Land. Nur in Russland sagte mehr als ein Drittel der Befragten, dass sie keine Flüchtlinge im Land wollen.
 Die Mehrheit der Menschen befürwortet das Recht auf Asyl 

Die weltweite Umfrage enthielt auch zwei Fragen zur aktuellen Flüchtlings- und Asylpolitik.

Jeder Mensch hat ein Recht auf Asyl:

  • 73 Prozent der Befragten sind der Überzeugung, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, in ihrem Land Schutz erhalten sollten.
  • Das Recht auf Asyl wird besonders in Spanien sehr hoch gewertet (78 Prozent sagen «stimme uneingeschränkt zu»). In Deutschland sagten 69 Prozent «stimme zu», in Griechenland 64 Prozent «stimme uneingeschränkt zu».

 Die Regierungen sollten mehr tun, um Flüchtlingen zu helfen:

  • 66 Prozent der Befragten stimmen weltweit dieser Aussage zu.
  • In zahlreichen Ländern, die direkt von der aktuellen Flüchtlingskrise betroffen sind, fordern Dreiviertel der Befragten, dass ihre Regierung noch mehr unternimmt, um Flüchtlingen zu helfen. (Deutschland 76 Prozent, Griechenland 74 Prozent, Jordanien 84 Prozent)
  • In Russland (26 Prozent), Thailand (29 Prozent) und Indien (41 Prozent) wollen die befragten Menschen nicht, dass ihre Regierungen mehr unternehmen, um Flüchtlingen geht zu helfen.

«Wir haben im Vorfeld der Befragung nicht erwartet, dass die Solidarität mit den Flüchtlingen so gross ist. Aber die Ergebnisse der Umfrage zeigen: Das weltweite Mitgefühl für alle, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, ist gross. Die Menschen wollen so viel wie möglich dazu beitragen, um Flüchtlingen zu helfen, und sie wenden sich nicht einfach ab», resümiert Salil Shetty.

World Humanitarian Summit: Verantwortung für Flüchtlinge teilen

Amnesty International ruft die Regierungen dazu auf, 1,2 Millionen Flüchtlinge bis Ende 2017 neu anzusiedeln, um die Flüchtlingskrise zu lindern. Das ist deutlich mehr als die 100'000 Menschen pro Jahr, die einige Länder im Moment pro Jahr aufnehmen, aber nicht einmal ein Zehntel der weltweit 19,5 Millionen Flüchtlinge.

Amnesty International fordert die Regierungen, die sich am 23. und 24. Mai 2016 in Istanbul zum World Humanitarian Summit treffen, dazu auf, endlich ein neues, dauerhaftes Verfahren zu implementieren, wonach die Verantwortung für die Flüchtlingshilfe und die Aufnahme von Flüchtlingen gerecht geteilt wird. Dieser «Global Compact on responsibility sharing», der von der Uno bereits am 9. Mai vorgeschlagen wurde, könnte dann bei einem Uno-Gipfeltreffen der Regierungschefs am 19. September diesen Jahres verabschiedet werden. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon wird an beiden Treffen teilnehmen, um über die grösste Humanitäre- und Flüchtlingskrise seit 70 Jahren zu sprechen.